Palantir-Programme Verfassungsgericht schränkt Einsatz von Polizei-Software ein

Erster Senat des Bundesverfassungsgerichts
Foto: Sebastian Gollnow / picture alliance / dpaDie Regelungen zum Einsatz einer neuartigen Datenanalyse-Software bei der Polizei in Hessen und Hamburg sind in ihrer derzeitigen Form verfassungswidrig. Das gab das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Donnerstag bekannt.
Das Urteil bezieht sich auf Hessen, wo die Polizei bereits seit Ende 2017 die Analysesoftware »Hessendata« einsetzt, die auf dem Programm Gotham der US-Firma Palantir basiert , sowie auf Hamburg, wo es für den möglichen Einsatz der Software bisher aber nur eine gesetzliche Grundlage gibt.
Der Erste Senat erklärte Paragraf 25a Abs. 1 Alt. 1 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) sowie Paragraf 49 Abs. 1 Alt. 1 des Hamburgischen Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei (HmbPolDVG) für verfassungswidrig Darin geht es jeweils um Befugnisse der Polizei, bereits vorliegende personenbezogene Daten automatisiert »im Rahmen einer Datenanalyse (Hessen) oder einer Datenauswertung (Hamburg) weiter zu verarbeiten«, wie es in der Pressemitteilung des Gerichts heißt. Die Vorschriften verstoßen demnach gegen die informationelle Selbstbestimmung, die Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Grundgesetz ist, »weil sie keine ausreichende Eingriffsschwelle enthalten«.
Gericht: »Breite Einbeziehung von Daten Unbeteiligter«
Unter anderem bemängelten die Richterinnen und Richter, dass die Art und die Menge der einsetzbaren Daten kaum begrenzt sei: »Die Vorschriften unterscheiden insbesondere nicht nach Daten von Personen, die einen Anlass für die Annahme geben, sie könnten eine Straftat begehen oder in besonderer Verbindung zu solchen Personen stehen, und anderen Personen. Sie lassen eine breite Einbeziehung von Daten Unbeteiligter zu, die deshalb polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen unterzogen werden könnten.«
Die Folge: Der Paragraf im hessischen HSOG muss spätestens bis zum 30. September 2023 geändert werden, bis dahin gilt er mit Einschränkungen weiter. Der Paragraf im HmbPolDVG ist nichtig. Grundsätzlich hält das Gericht eine verfassungskonforme automatisierte Datenanalyse oder -auswertung aber für möglich.
Ausgewertet werden mit der hessischen Software zunächst einmal nur Daten aus Polizeibeständen. In einer der entsprechenden Datenbanken sind allerdings auch Opfer und Zeugen erfasst – oder jemand, der einmal einen Kratzer am Auto zur Anzeige gebracht hat. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Überprüfung in Karlsruhe angestoßen hat, sieht außerdem die Gefahr, dass auch externe Daten einfließen, etwa aus sozialen Netzwerken. Das System lade geradezu dazu ein, immer mehr Informationen einzuspeisen.
Bayern hat einen Rahmenvertrag mit Palantir abgeschlossen
Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) hatte den Richterinnen und Richtern des Ersten Senats in der mündlichen Verhandlung versichert, es gebe keine Anbindung ans Internet und auch keinen automatisierten Zugriff auf Daten aus sozialen Netzwerken. Journalisten hatte er vor der Verhandlung gesagt, unter bestimmten Voraussetzungen könnten auch Daten von außen zugespielt werden. Das sei aber die Ausnahme und nicht die Regel.
Laut Palantir ermögliche die Software deutschen Polizeibehörden, »ihre rechtmäßig erhobenen Daten schneller und effektiver zu verarbeiten«, sagte der Strategiechef des Unternehmens für Europa, Jan Hiesserich, dem »Handelsblatt«. »Welche Daten dabei ermittlungsrelevant sind, bestimmen dabei ausschließlich unsere Kunden im Einklang mit relevanten rechtlichen Bestimmungen.«
Ein hessischer Landesbeamter hatte es in der Verhandlung an einem Beispiel erklärt: Demnach sei ein mutmaßlicher Geldautomatensprenger festgenommen worden, nachdem Hessendata gezeigt hatte, dass ein bestimmtes Auto in der Nähe mehrerer Tatorte war.
Auch in Nordrhein-Westfalen ist Palantir-Software schon im Einsatz, Bayern arbeitet an der Einführung. Andere Länder könnten bald folgen, denn Bayern hat mit dem US-Unternehmen federführend einen Rahmenvertrag geschlossen. Damit können alle Polizeien von Bund und Ländern das System ohne zusätzliche Vergabeverfahren übernehmen.
Die GFF betrachtet das Urteil als Erfolg, auch wenn nicht alle Punkte ihrer Beschwerden angenommen wurden. Der Prozessbevollmächtigte Bijan Moini teilte mit: »Das Bundesverfassungsgericht hat heute der Polizei den ungehinderten Blick in die Glaskugel untersagt und strenge Vorgaben für den Einsatz von intelligenter Software in der Polizeiarbeit formuliert. Das war wichtig, weil die Automatisierung von Polizeiarbeit gerade erst begonnen hat.«