Razzien Die Hatz auf Film-Streaming-Dienste beginnt

Es hat begonnen: Jahrelang ignorierte die Entertainment-Industrie die immer erfolgreicheren Streaming-Seiten im Web, verfolgte stattdessen die welkende P2P-Szene. Jetzt konfiszierten Fahnder in den USA und den Niederlanden Streaming-Server, schlossen Bankkonten, durchsuchten Wohnungen.
Geschlossen und versiegelt: Das Streaming-Portal TVShack am Donnerstagmorgen

Geschlossen und versiegelt: Das Streaming-Portal TVShack am Donnerstagmorgen

Wenn man so will, war es ein Schlag mit Ankündigung: Am 21. Juni machte Fred Huntsberry, Chef des Filmstudios Paramount, klar, dass die Filmindustrie dem Treiben sogenannter Cyberlocker nicht länger tatenlos zusehen werde. Den Begriff hatte bis dahin noch keiner gehört, gemeint waren aber offenbar Filehoster: Dienstleister, bei denen man große Dateien hinterlegen kann - und auf deren Festplatten das Gros aller Filme liegt, die man über Streaming-Seiten als Progressive Download, bei dem der Nutzer bereits während des Downloads den Film ansehen kann, angeboten bekommt.

Kaum zufällig stieß am selben Tag noch in Großbritannien ein Musiklobbyverband mit ähnlicher Botschaft ins gleiche Horn: Die British Phonographic Industry (BPI) forderte öffentlich von Google, Links zu populären Filehostern wie Megaupload, 4shared, Zippyshare oder MediaFire aus dem Suchindex zu nehmen.

Damit war klar, dass die Entertainment-Industrie offensichtlich dazu übergehen will, Streaming-Dienste und Filehoster ins Visier zu nehmen. Am Mittwoch kam es zu einem ersten international koordinierten Schlag gegen diese Szene, die der ein Jahrzehnt lang so gefürchtete Filesharing-Szene schon vor Jahren den Rang abgelaufen hat. Fahnder in elf US-Bundesstaaten und in den Niederlanden starteten parallel Razzien in Privatwohnungen, konfiszierten Server, übernahmen Domains, froren Bankkonten, Werbeabrechnungskonten und Paypal-Accounts ein.

Über 100 Beamte sollen an den Aktionen beteiligt gewesen sein. Ob es zu Verhaftungen kam, ist bisher nicht bekannt. Klar ist nur, dass eine nicht spezifizierte Zahl von Tätern mit Anklagen wegen Urheberrechtsverletzungen zu rechnen hat, die zum Teil auf Haftstrafen hinauslaufen könnten.

Neun populäre Seiten auf einen Streich geschlossen

Die Fahnder konzentrierten sich dabei auf Streaming-Seiten, zu deren Angebot die Verteilung aktueller Kinofilme gehörte. Die populärste der Seiten soll eine Reichweite von über drei Millionen Nutzern im Monat gehabt haben, was die Dimension des bisher weitgehend ignorierten Streaming-Phänomens klarmacht: Der On-demand-Abruf von Streaming-Videos ist ein Massenphänomen, eine der populärsten Nutzungen des Internet und seit langem erheblich verbreiteter als die lange so gefürchteten P2P-Börsen. Es gibt Hunderte solcher Seiten, von denen viele Zehntausende von Filmen und TV-Serienfolgen anbieten, immer öfter auch in HD-Qualität.

Manche Seiten, machte ein Sprecher der Fahndungsbehörden klar, hätten ihre Reichweite allein im letzten Jahr verzehnfacht. Selbst seit längerem populäre Dienste erlebten zuletzt Nutzungszuwächse von 850 Prozent. Dass die Pressekonferenz zur Razzia-Aktion "Operation in Our Sites" auf dem Gelände der Walt Disney Studios stattfand, war dabei Teil der Botschaft: Die Industrie wurde von Disney, Paramount und diversen Lobbyorganisationen und Gewerkschaften vertreten.

"Wenn eine dieser Seiten wieder auftaucht", sagte ein Sprecher der US-Zollbehörden, "werden wir das auch tun. Wenn sie nach Übersee verlegt wird, werden wir folgen. Nehmen Sie mich beim Wort, ich glaube nicht dass wir die Internetpiraterie an einem Tag beendet haben, aber das hier ist der Beginn eines nachhaltigen Versuches."

Anstelle der gewohnten Web-Seiten werden Nutzer von TVShack, einer bereits mehrfach erfolglos geschlossenen Streaming-Seite, von PlanetMoviez, ThePirateCity, Movies-Links, FilesPump, NowMovies, ZML, von NinjaVideo und NinjaThis in den nächsten Tagen nur noch Hinweisschilder auf die Schließung zu sehen bekommen (siehe Grafik oben).

Releases: Krimineller Sport

Einige der Seiten scheinen vorerst noch zu funktionieren, einige scheinen bereits auf andere Domains umgeleitet worden zu sein: Ein Wiederauftauchen ist bei vielen wahrscheinlich. Denn hinter den von den Fahndern als Piraterieunternehmen bezeichneten Seiten stehen oft Betreiber, die die Entertainment-Branche zwar erheblich schädigen, dabei aber kaum kommerziell profitieren - es geht um eine Form ehrenamtlichen Diebstahls, wenn man so will.

Viele der sogenannten Release-Groups verstehen ihre illegalen Filmveröffentlichungen rein sportlich - es geht darum, der Erste und qualitativ Beste zu sein. Refinanziert werden die Angebote über Werbung und Spenden, viele der Stream-Seiten geraten aber immer wieder in finanzielle Schräglagen, drohen an der eigenen Popularität zu ersticken.

Was nichts daran ändern dürfte, dass die Schädigung der Branche eine reale ist: Viele Filme erscheinen auf Stream-Portalen schon vor ihrer offiziellen Kinoveröffentlichung, Serieninhalte sind binnen Stunden nach Ausstrahlung verfügbar. "Wir sehen uns mit einem dramatischen Anstieg der Zahl in- und ausländischer Web-Seiten konfrontiert", meinte dazu Kathy Garmezy vom amerikanischen Regisseursverband, "die Filme und TV-Inhalte als Stream oder Download zugänglich machen. Das gefährdet die Lebensgrundlage Hundertausender Menschen in diesen Branchen auf sehr konkrete Weise."

Garmezy spielt damit auf die Verwertungskette filmischer Inhalte an, die das Gros ihres Umsatzes erst nach der Kinoverwertung macht. Doch DVD-Umsätze wie Einnahmen aus TV-Senderechten sind in den letzten Jahren stark rückläufig - nach Meinung von Branchenvertretern auch, weil ihre Inhalte im Web allgegenwärtig sind und dadurch entwertet werden.

pat
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