Onlineverwaltung Scholz verspricht schnellere Behörden-Digitalisierung – und rauscht ab

Moderatorin Zervakis und Kanzler Scholz auf der re:publica-Bühne: »Ich habe heute einen neuen Personalausweis und Pass offline beantragt«
Foto: ANNEGRET HILSE / REUTERSOlaf Scholz ist am Donnerstagnachmittag bei der Netzkonferenz re:publica aufgetreten. In einer Rede und einem anschließenden Gespräch mit der Moderatorin Linda Zervakis streifte der Kanzler diverse Themen im Bereich Digitalisierung und Netzpolitik von Hass im Netz und Datenschutz über die Halbleiterproduktion in Deutschland bis zur Start-up-Förderung.
Dabei versprach Scholz etwa, die Dauer von Verwaltungsverfahren in Deutschland auf allen staatlichen Ebenen um mindestens die Hälfte zu verkürzen. Der entsprechende gesetzliche Rahmen dafür solle bis Ende des Jahres stehen, so Scholz. Auf eine Nachfrage von Moderatorin Zervakis, ab wann genau Personalausweise online verlängert werden könnten, wollte Scholz keinen konkreten Zeitpunkt nennen. »Das möchte ich nicht so genau sagen, weil ich ja die Abläufe kenne in Deutschland«, so Scholz schmunzelnd.
Statt weitere Details zu seinen Plänen zur Digitalisierung der Verwaltung zu nennen, erzählte der Kanzler die persönliche Episode, dass er selbst am heutigen Tag noch beim Bürgeramt gewesen sei, um seine Ausweisdokumente zu verlängern. »Ich habe heute einen neuen Personalausweis und Pass offline beantragt«, so Scholz heiter. »Das ging nicht anders.« Er wünsche sich aber auch eine schnellere Digitalisierung und werde das Thema mit größter Geschwindigkeit vorantreiben, fügte der Kanzler allgemein hinzu.
Auf die eklatanten Defizite Deutschlands in der Digitalisierung angesprochen antwortete der Bundeskanzler sinngemäß, es sei nicht alles schlecht. Beispielhaft verwies er auf die Entscheidung des US-Chipgiganten Intel, ein neues Werk in Magdeburg zu bauen – dafür dürften allerdings eher die zugesagten Milliardensubventionen gesorgt haben als etwa die digitale Infrastruktur des Landes.
Kanzler verlässt die Konferenz unmittelbar nach dem Vortrag
Der Auftritt von Scholz markierte den ersten Besuch eines amtierenden deutschen Regierungschefs auf der re:publica. Vergeblich hatten sich die Organisatoren zuvor jahrelang bemüht, Angela Merkel für einen Besuch zu gewinnen. Stärkeren Applaus erhielt Scholz bei der Schelte für die Vorgängerregierung, zu seinen eher allgemeinen digitalpolitischen Ankündigungen in der Rede gab es dagegen nur vereinzelt Applaus aus dem Publikum. Die Digitalpolitikerin Anke Domscheit-Berg von den Linken kritisierte den Auftritt von Scholz als »maximal unverbindlich«. Sie wies darauf hin, dass der Onlineperso eigentlich als einer von 25 Diensten bis Ende 2022 kommen sollten.
Am Abend zuvor hatte der Netzexperte und SPIEGEL-Kolumnist Sascha Lobo bei seinem re:publica-Vortrag dem Publikum noch zugerufen, den Besuch des Kanzlers und der anderen Ministerinnen und Minister kritisch zu begleiten. »Setzt morgen Olaf Scholz und jeden Minister und jede Ministerin, die hier herkommt, unter Druck, dass sie den Shit hinkriegen sollen und es endlich mit der Digitalisierung in Deutschland, in Europa und der Welt hinbekommen«, sagte er am Mittwochabend.
Scholz betonte zweimal in seiner Rede, dass er sich freue, über verschiedene Themen mit dem Publikum später ins Gespräch zu kommen. Allerdings waren Publikumsfragen nicht vorgesehen und konnten nicht gestellt werden. Der Kanzler verließ die Veranstaltung unmittelbar nach seiner Rede. »Mehr Interaktion gab es heute nicht, wir nehmen aber gerne sein Angebot an und würden uns über einen weiteren Dialog freuen«, sagte re:publica-Organisator Beckedahl dem SPIEGEL.
Scholz kritisiert Netzpolitik von China und Russland
Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine warnte Scholz vor einer Instrumentalisierung des Internets als Machtinstrument. »Immer häufiger werden digitale Technologien als geopolitisches Machtinstrument missbraucht, teils auch gezielt für Desinformationskampagnen«, sagte der SPD-Politiker. Das Risiko gezielter Beeinflussungskampagnen aus Russland könne man nicht ernst genug nehmen, so Scholz weiter.
Ausdrücklich kritisierte der Kanzler China und Russland für den Versuch, das Internet zu reglementieren. »Wissen ist Macht. Und von dieser Macht des Wissens fühlen sich nicht wenige bedroht«, sagte er. »Deshalb erleben wir, wie staatliche Akteure dem freien Internet Grenzen setzen«. Es gelte, »das Internet als den progressiven, demokratisierenden Raum für weltweite Vernetzung und Wissensaustausch zu erhalten und zu stärken«, sagte der Kanzler.
Scholz äußerte sich auch zu den kontrovers diskutierten EU-Plänen, im Kampf gegen Kindesmissbrauch auch private Chats zu überwachen. Im Kampf gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder müsse zwar mehr getan werden, aber man müsse das richtige Maß finden. Innenministerin Nancy Faeser und Digitalminister Volker Wissing hätten beide im Blick, dass es eine »pragmatische Lösung« geben werde, so Scholz. Es brauche eine Lösung, die »die notwendige Kontrolle ermöglicht, aber nicht zu sehr in private Lebensräume eingreift«, sagte Scholz zu dem Thema und schob damit auch den aktuell schwelenden Konflikt weg von sich aus dem Kanzleramt auf seine Kabinettskollegen.
Volker Wissing (FDP) hatte sich zuvor auf der re:publica noch einmal sehr vehement und umfassend gegen die Pläne der EU-Kommission ausgesprochen, Chat-Nachrichten zu scannen. Innenminister Nancy Faeser (SPD) hatte den Vorstoß zunächst unterstützt, sich später aber von der Chat-Überwachung distanziert. (Lesen Sie hier mehr über die Pläne der EU.) Die EU-Innenminister beraten am Freitag in Luxemburg erstmals über den Plan, die Anbieter, unter anderem die von Messengerdiensten, zu verpflichten, Chats auf Kindesmissbrauchsdarstellungen zu kontrollieren. Datenschützer warnen, dass auf der Suche nach mutmaßlichen Pädophilen künftig auch verschlüsselte Chats ausgespäht werden könnten.