Internet-Verschlüsselung Bundesregierung redet Snowden-Enthüllungen klein

Verschlüsselte E-Mail: Bundesregierung nennt Enthüllungen "völlig unbewiesene Behauptungen"
Foto: SPIEGEL ONLINEHamburg - Der NSA-Skandal weitet sich aus: Dokumente, die der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden kopieren konnte, deuten auf Sicherheitslücken bei der Internet-Verschlüsselung hin. Offenbar haben Geheimdienste Mittel und Wege gefunden, private Netzwerke (VPN) und verschlüsselte Verbindungen (SSL) anzugreifen - und nehmen mit Millionenaufwand Einfluss auf Unternehmen.
Die deutsche Bundesregierung will davon allerdings nichts wissen. Am Freitag mussten sich Journalisten erneut anhören, es handele sich bei den NSA-Enthüllungen weniger um einen Skandal als um "völlig unbewiesene Behauptungen", wie ein Sprecher des Innenministeriums sagte.
Dass der amerikanische Geheimdienst und sein britisches Pendant GCHQ offenbar massiven Einfluss auf "New York Times" und "Guardian" genommen haben, um die Veröffentlichung zu verhindern, ficht die Bundesregierung nicht an. Zum Teil haben die Medien auf die Nennung von Details verzichtet, schreiben sie.
Klassisches Ablenkungsmanöver
Der Sprecher des Innenministeriums lässt sich davon nicht beeindrucken. Schon einmal hätte sich eine Behauptung Snowdens als falsch herausgestellt, sagt er: "Damals hat Herr Snowden behauptet, in Deutschland würde die NSA flächendeckend bei deutschen Bürgern die gesamte Kommunikation abfischen. Dieser Verdacht ist völlig ausgeräumt worden und hat sich als gegenstandslos erwiesen."
Nur haben weder der Whistleblower Edward Snowden noch die an den Enthüllungen beteiligten Medien diesen Vorwurf erhoben. Die Bundesregierung stellt hier selbst eine Behauptung in den Raum, um sie danach widerlegen zu können - ein klassisches Ablenkungsmanöver. Vielmehr ging es um die Erfassung von Millionen von Kommunikationsdaten durch den deutschen Bundesnachrichtendienst, die an die NSA übermittelt wurden. Ein beträchtlicher Teil davon stammt aus der Funkzellenauswertung in Afghanistan.
Die Bundesregierung weist also einen Verdacht zurück, der nicht geäußert wurde - um tatsächliche Vorwürfe nicht weiter kommentieren zu müssen: "Genauso haben wir auch für diesen neuen Verdacht von Herrn Snowden bislang keine Anhaltspunkte", so der Sprecher des Innenministeriums am Freitag mit Blick auf mögliche Angriffe auf die Verschlüsselung im Internet.
Die Bundesregierung sei "da ja nicht gefragt"
Die Reaktion der Bundesregierung auf die NSA-Affäre, auf die Überwachung des europäischen Internetverkehrs durch den britischen Geheimdienst, besteht bisher aus Abwiegeln. Der für die Geheimdienste zuständige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla hat vor Wochen schon versucht, die Affäre für beendet zu erklären.
Was unternimmt die Bundeskanzlerin zum Schutz der Bürger vor Ausspionierung? Der stellvertretende Regierungssprecher stellte am Freitag fest, "zunächst einmal" sei die Bundesregierung "da ja nicht gefragt". Im Übrigen, sagte der Sprecher des Innenministeriums, "rät der Bundesinnenminister weiterhin zur Verschlüsselung von Daten via E-Mail, und wir bieten dafür die De-Mail an." Bei dem kostenpflichtigen E-Mail-Ersatz müssen sich Nutzer ausweisen, das System soll sicher gegen Spionage sein. Weil auf eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bei der De-Mail aber verzichtet wird, können Provider und Ermittler die Kommunikation theoretisch auslesen, wenn sie denn wollen.
Überhaupt tut die Bundesregierung weiter so, als hätte es die Enthüllungen der vergangenen Monate nicht gegeben. Es gebe "keine Anhaltspunkte dafür, dass ausländische Dienste hier E-Mails mitlesen", so der Sprecher des Innenministeriums. Im Fernsehen, als Gast bei "Illner Intensiv" hatte sich Friedrich sogar noch deutlicher festgelegt: "Es werden normale Bürger in diesem Land nicht ausspioniert, weder von unseren Diensten noch von amerikanischen Geheimdiensten." NSA-Dokumente legen allerdings den umgekehrten Schluss nahe: Deutschland ist demnach das Land in der EU , aus dem die meisten Daten kommen sollen.
Kritiker fordern Antworten
Gegen das Aussitzen und Abwiegeln der Regierung kommt selbst in den eigenen Reihen Widerstand auf: Anders als Innenminister Friedrich hält CSU-Chef Horst Seehofer gar nichts für aufgeklärt.
Und am Donnerstag äußerten sich auch deshalb die Datenschützer des Bundes und der Länder in seltener Deutlichkeit. Sie warfen der Regierung Untätigkeit vor - und halten die Affäre für alles andere als aufgeklärt. Der Bundesbeauftragte, Peter Schaar, bemängelte eine mangelnde Kooperationsbereitschaft des Innenministeriums. Zahlreiche Fragen zur Überwachung und zur Kooperation mit internationalen Geheimdiensten seien unbeantwortet geblieben.
Der Sprecher des Ministeriums wies die Vorwürfe zurück: "Vielmehr gilt es, Herrn Schaar darauf hinzuweisen, dass auch für ihn geltendes Recht gilt." Für die Arbeit der Geheimdienste, die in den Bereich des Grundgesetzes fallen, also heimliche Ausspähung von Personen, sei Schaar gar nicht zuständig.