Axel Voss auf der Netzkonferenz re:publica Der "meistgehasste Mann des Internets" will reden

Axel Voss auf der re:publica
Foto: YouTube/ republica 19Ob er Genugtuung empfinde, wird Axel Voss als erstes auf der re:publica-Bühne gefragt - in der "Höhle des Löwen", wie es Moderator Jo Schück ausdrückt. Tatsächlich könnte Voss zufrieden sein, schließlich hat er gerade ein wichtiges Kapitel seiner Politikerlaufbahn erfolgreich zu Ende gebracht: Mitte April hat es die EU-Urheberrechtsreform, bei der er Berichterstatter des EU-Parlaments war, durch die Institutionen und damit in Richtung nationale Gesetzgebung geschafft.
Doch Voss weiß, wo er sitzt, nämlich auf einer Digitalkonferenz und in einer Live-Ausgabe des ZDFkultur-Formats "Lass uns reden", in dem sonst über Themen wie Abtreibung oder Kopftücher für Kinder gestritten wird. Also sagt er, "aufgrund der Gegenwehr" halte sich sein Gefühl der Genugtuung "etwas in Grenzen".
Mit der Gegenwehr meint Voss die Proteste, die die Urheberrechtsreform vor allem in deutschen Städten hervorgerufen hatte. Im Fokus der Gegner standen besonders die Artikel 15 und 17 (zuvor 11 und 13), die ein europaweites Leistungsschutzrecht einführen und viele Plattformen dazu zwingen könnten, sogenannte Uploadfilter einzusetzen (mehr zu den Filtern hier).
In Deutschland gingen Zehntausende gegen Artikel 17 auf die Straße, darunter viele Netzaktivisten und YouTube-Nutzer. Hashtags wie #NiemehrCDU landeten in den Twitter-Trends - und in Voss' Partei, der CDU, wurde heftig über den Umgang mit diesem Widerspruch vor allem junger Menschen gerungen.
Schaden begrenzen, die Debatte umlenken
Auf der re:publica diskutierte Axel Voss nun mit "netzpolitik.org"-Chefredakteur Markus Beckedahl, der nicht nur Reformkritiker ist, sondern auch die re:publica mitgegründet und dort somit Lokalmatador ist. Gegenwind war für Voss in Berlin also erwartbar, so wie 2017 auch für den damaligen Innenminister Thomas de Maizière, der damals auf der Konferenz voller Überwachungsgegner staatliche Überwachung verteidigte.
Trotzdem ergibt es Sinn, dass Voss auch und gerade jetzt, wo die Reform beschlossen ist, weiter dazu Stellung bezieht. Man kann das als Versuch sehen, die Pläne zu verteidigen und nebenbei den Imageschaden zu begrenzen, den die Proteste für Voss und die CDU zur Folge haben. "Sowohl die CDU, als auch die EU hat mehr zu bieten als einen Artikel 13", sagte Voss.
Voss, der auch bei der Europawahl kandidiert, sagt allerdings selbst, er habe das Gefühl, "jetzt eine Generation irgendwie in Frustration zurückzulassen, ohne die Möglichkeit zu haben, das mal vernünftig zu erklären". Deshalb seien ihm Auftritte wie der in Berlin wichtig. Die Art, wie Voss sich nach Abstimmung präsentiert, deutet zudem darauf hin, dass er die Debatte umlenken will - von der eigenen Person weg.
Voss wird seit Wochen und Monaten teils drastisch angegangen, etwa im Kontext mitunter skurriler Interview-Äußerungen . Im Netz wird ihm Dummheit oder Lobbyhörigkeit vorgeworfen - und solche Beiträge sind oft noch die netteren. Die "Wirtschaftswoche" nannte ihn den "meistgehassten Mann des Internets". Erst kürzlich machte in den sozialen Netzwerken ein Foto die Runde, für das ein Voss-Wahlplakat auf ein Pissoir gestülpt wurde: Voss' Gesicht fehlte, das wurde mit dem Hinweis "gefiltert" erklärt.
"Lauter Kompromisse"
In Berlin, wo viele für seinen Aufritt Schlange standen, sagt Voss nun Sätze wie "Nicht überall, wo Voss draufsteht, ist auch Voss drin" oder "Ich bin jetzt zwar irgendwie das Gesicht dieser ganzen Urheberrechtsreform, aber wie man am Abstimmungsergebnis sieht, bin ich gar nicht allein." Ebenso betont er, dass für die Reform "lauter Kompromisse" zwischen acht Parteien und drei Institutionen eingegangen worden seien.
Mancher Zuschauer mag das als Flucht aus der Verantwortung sehen, zumal kaum jemand auf der re:publica Voss die These abnimmt, die Reform werde im Internetalltag kaum etwas ändern. Dafür sorgt auch Markus Beckedahl, der Voss höflich, aber klar die Expertise in Sachen Urheberrecht abspricht und ihn mit mancher Detailfrage vorführt. Einmal fragt Beckedahl Voss: "Sie haben mal in einem Interview gesagt: Das betrifft nur eins bis fünf Prozent aller Plattformen im Internet. Haben Sie mal durchgezählt, wie viel das sind?" Voss antwortet darauf: "Natürlich nicht."
Beckedahl sagt, er befürchte, dass bei der Reform mit der Schrotflinte auf YouTube geschossen und dabei das "halbe Internet mitgetroffen" werde. Voss dagegen stellt es mehrmals so dar, als habe es keine Alternativen zu den Plänen gegeben - außer gleich das Urheberrecht ganz aufzulösen. "Wie wollt ihr es denn dann regeln?", fragt er Zuschauer, die gegen die Reform anklatschen.
Voss ist nicht mehr die wichtigste Person
Voss und Beckedahl finden an diesem Dienstagvormittag nicht zusammen, doch das war abzusehen. Für die Netzaktivisten könnte und sollte Voss' Auftritt trotzdem eine neue Phase der Debatte ums Urheberrecht einläuten. Nachdem der Protest gegen die Reform diese auf EU-Ebene nicht aufhalten oder ausreichend entschärfen konnte, geht es nun immerhin noch um die Frage, wie genau die Richtlinie in Deutschland umgesetzt wird. Und dafür ist nicht mehr Axel Voss die wichtigste Person.
Dazu passt, dass Jo Schück gegen Ende der Veranstaltung Markus Beckedahl fragt, was er sich von der deutschen Umsetzung der Richtlinie wünscht. Beckedahl sagt, er fände es sinnvoll, dass Zitatrecht "so weit es geht zu erweitern, dass selbstverständlich Remixe darunter fallen können". Es geht so um einen konstruktiven Blick voran statt um den frustrierten Blick zurück.
Axel Voss sagt dem Publikum zum Schluss, dass es jetzt "eine schöne Chance" gebe, "dass Sie sich alle einbringen, um zu sagen: Wie soll es denn jetzt zeitgemäß laufen?" Danach wird er noch gefragt, ob er die Rolle des Berichterstatters bei dieser Reform noch einmal übernehmen wollen würde. "Das würde ich mir in der Tat stark überlegen", sagt Voss und für eine Sekunde wirken das Publikum und er einmal gemeinsam erleichtert. Es sei eine "sehr anstrengende Zeit" gewesen.