Rundfunkrecht Merkel unter Piratensender-Verdacht

Merkel (Archivbild): Einmaliger Livestream im Internet braucht keine Lizenz
Foto: dapdHamburg - Angela Merkel gibt sich modern: In einem Video-Chat will die Bundeskanzlerin am 19. April mit sechs ausgewählten Bürgern über Integration sprechen, das ganze Internet darf live zuschauen. Die virtuelle Bürgernähe sucht die Kanzlerin schon seit sieben Jahren mit einem Video-Podcast. Samstags spricht Merkel in die Kamera, was ihre Regierung gerade macht. Anschließend wird das Video ins Netz gestellt.
Mit Hilfe eines Google-Video-Chats will die Kanzlerin nun in Echtzeit ins Web. In einem solchen Hangout können bis zu zehn Nutzer gemeinsam chatten - und so ein Hangout kann für alle ins Web übertragen werden. Braucht Merkel dafür eine Rundfunklizenz, fragt nun die "Berliner Morgenpost ". Denn wer mit einer regelmäßigen Internetsendung mehr als 500 Zuschauer erreicht, braucht dafür eine Genehmigung. So steht es im Gesetz.
Rundfunk vom Staat ist außerdem verboten. Die "Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film" ist in Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert, die Obrigkeit muss sich aus der Meinungsbildung über den Rundfunk heraushalten. Bundeskanzler Konrad Adenauer blitzte 1961 beim Verfassungsgericht mit der Idee ab, eine Art staatsgelenktes Regierungsfernsehen zu installieren. Merkels Video-Livestream wäre damit gleich doppelt illegal.
Kein Merkel-Rundfunk im Web
Doch die zuständigen Medienaufseher geben Entwarnung: "In diesem Fall handelt es sich wohl nicht um Rundfunk, weil der Livechat nicht regelmäßig stattfindet", sagt Jürgen Brautmeier, der Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Medienanstalten. Nach dem Start von Google Hangout veröffentlichten die Aufseher eine Checkliste (PDF-Datei) , damit Nutzer herausfinden können, ob ihre Sendungen in die Kategorie Rundfunk fallen und lizenzpflichtig sind. Geht man die Liste durch, fällt der Kanzlerinnen-Hangout in die Kategorie Telemedien - und muss nicht genehmigt werden.
Trotzdem soll der Kanzlerinnen-Hangout auf einer der nächsten Sitzungen der Kommission für Zulassung und Aufsicht Thema sein. Turnusmäßig treffen sich die Direktoren der 14 Landesmedienanstalten alle vier Wochen, als nächstes am 16. April, drei Tage vor dem Merkel-Livestream. "Wir sind da ganz gelassen, die Frage begegnet uns nicht zum ersten Mal", sagt Brautmeier.
Damals, lange vor dem Internet, war die Sache einfacher: Das Adenauer-Fernsehen hätte knappe Sendefrequenzen belegt und damit anderen Anbietern den Platz weggenommen. Im Internet wird der Platz nicht knapp, egal, wie viele Sender es gibt. Es spricht also einiges dafür, auch Verfassungsorganen zu erlauben, ihre Öffentlichkeitsarbeit nicht nur in Form von Pressemitteilungen und aufgezeichneten Video-Podcats zu bestreiten - sondern zusätzlich auch mit Live-Übertragungen.
Zeit für einen neuen Staatsvertrag
Die Berliner Piratenfraktion streamt schon jetzt ihre Sitzungen ins Web, ebenso wurden Treffen der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" live übertragen. Streng nach den Kriterien könnte es sich dabei um Rundfunk handeln, auch wenn es eher zusätzliche Informationsangebote sind, die keine Menschenmassen aufwiegeln. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg fragt deshalb nun , wie mit solchen Politiker-Livestreams künftig umgegangen werden soll. "Das ist letztlich eine Grundsatzfrage, die wir nicht entscheiden können. Das gehört in die Politik", sagt Medienaufseherin Eva Flecken.
Nur liefert "die Politik" derzeit auch keine klare Antwort - die Ratlosigkeit ist groß. Für den FDP-Medienpolitiker Burkhardt Müller-Sönksen steht zwar fest: "Wenn Frau Merkel das Format im Wahlkampf regelmäßig nutzt, braucht sie eine Lizenz." Allerdings will er sich nicht darauf festlegen, ob man Internetshows von Politikern im digitalen Zeitalter nicht generell erlauben sollte. Auch die Grünen-Fachpolitikerin Tabea Rößner mahnt, dass das aktuelle Medienrecht "dem digitalen Zeitalter hinterherhinkt", räumt aber ein: "Die Antworten sind nicht leicht zu finden." Merkels Hangout zeige, "dass eine klare Einordnung schwer ist".
Digitale Medienordnung über Brüssel
Am Grundsatz der Rundfunk-Staatsferne will keiner rütteln. "Aber wir fordern seit längerem, dass der Rundfunkstaatsvertrag geändert wird", sagt Jürgen Brautmeier. Das Gesetz sei alt, es brauche zeitgemäßere Lösungen. Schon die Zahl der 500 Internetzuschauer sei "Blödsinn". Brautmeier plädiert für eine abgestufte Regulierung, bei der im Einzelfall geprüft wird, ob eine Internetsendung nun in den Bereich verbotener Staatsrundfunk fällt - oder ob ein Websender eine Lizenz braucht. Aktualität, Breitenwirkung und Suggestivkraft sind schon jetzt Kriterien, die für die Unterscheidung zwischen Rundfunk und Telemedien angesetzt werden.
Ganz ohne Regulierung soll es dann doch nicht gehen. Bis sich die Bundesländer auf einen neuen Staatsvertrag geeinigt haben, dauert es aber noch. Eine neue, digitale Medienordnung könne ohnehin nicht allein in Deutschland verabredet werden, sagt Brautmeier.