
Corporate Social Responsibility Der Kapitalistische Krieg gegen Russland


Microsoft: Kontrolle verschiebt sich dramatisch in Richtung der Digitalunternehmen
Foto: GERARD JULIEN / AFP»Wie der Rest der Welt sind wir entsetzt, wütend und traurig über die Bilder und Nachrichten vom Krieg in der Ukraine und verurteilen die ungerechtfertigte, grundlose und widerrechtliche Invasion von Russland«. Der Mann, der diese Worte schreibt , lässt keinen Zweifel an seiner Position. Er erklärt, wie er und die seinen der Ukraine gegen Russland helfen werden, wie genau er mit »den Regierungen der USA, der EU und Großbritanniens zusammenarbeitet«, wie sie sich mit »dem Roten Kreuz« und »verschiedenen Uno-Agenturen« koordinieren. Sein Statement liest sich in weiten Teilen wie das des Präsidenten eines mittelgroßen Landes. Es stammt jedoch von Brad Smith, und der ist zwar »President«, aber von Microsoft. Der IT-Konzern hat seine Geschäfte mit Russland komplett eingestellt, aber er geht weit über die Erfordernisse durch die Sanktionen hinaus. Microsoft hat sich öffentlich zur Kriegspartei gemacht.
Nun ist es wahrscheinlich nicht so, dass Putin durch den Verlust seines Office-365-Abos vor Wut aufhört, Menschen in der Ukraine ermorden zu lassen. Russland hat einige Microsoft-Produkte schon länger verbannt, wegen angeblicher Spionage und irgendwie auch wegen Bill Gates. Aber es hat sich ein regelrechter Wettbewerb unter Weltkonzernen herausgebildet, wer am schnellsten und intensivsten keine Geschäfte mehr mit und in Russland macht: Ikea, H&M, Obi, Puma und Louis Vuitton schließen ihre Filialen, BMW, Mercedes, Volvo, General Motors, Ford und VW schränken ihre Produktverfügbarkeiten und teilweise Produktionen in Russland ein – wie eine Vielzahl weiterer Firmen. Auch hier handeln Unternehmen zum Teil deutlich umfassender, als sie rechtlich müssten.
Bekenntnisse großer Konzerne zum Krieg sind natürlich alles andere als neu. Aber inzwischen beziehen sie im wahrsten Sinne des Wortes öffentlich Stellung, weniger mit dem von früher bekannten Kriegspatriotismus. Sondern, indem sie moralisch und sogar emotional argumentieren, »wütend und traurig«. Der Kapitalistische Krieg ist da. Nur anders, als man von links dachte.
Nicht nur Logos färben, sondern auch danach handeln
Der Kapitalistische Krieg des 21. Jahrhunderts präsentiert sich als CSR-Krieg . CSR ist einer der Megatrends für Unternehmen der letzten Jahrzehnte, das heißt Corporate Social Responsibility (etwa: gesellschaftliche Unternehmensverantwortung). CSR ist der Grund für temporäre Aids-Schleifchen und Regenbogenflaggen in Firmenlogos und sollte nicht als Quatsch oder reine Mode abgetan werden. Dieser Bekenntniskapitalismus wird von vielen Menschen – von links, von konservativer Seite und natürlich auch von rechts – heftig attackiert. Dabei kann diese Form des unternehmerischen Aktivismus durchaus zivilgesellschaftliche Bewegungen stärken, er ist sogar ein substanzieller Teil der Zivilgesellschaft im 21. Jahrhundert. Eine Vielzahl unbedingt bewundernswerter Hilfsaktionen für aus der Ukraine Geflüchtete zum Beispiel wurde hinter den Kulissen aus privatwirtschaftlichen Unternehmen heraus organisiert oder unterstützt.
Mächtige Unternehmen können die Gesellschaft durchaus im Sinne eines gesellschaftlichen Fortschritts verändern. Jedenfalls, wenn sie es ernst meinen und nicht nur Logos färben, sondern auch danach handeln. Fast überall dort zum Beispiel, wo Diversität als Zielsetzung funktioniert, haben große Unternehmen dafür gesorgt, oft aus Überzeugung (was man daran erkennt, dass investiert wird und Kosten entstehen). Aber die weltweite Unternehmenskriegserklärungswelle gegen Russland stellt eine neue Dimension dar, denn offenbar lautet die CSR-Einsicht hier: Unsere Unternehmenswerte verbieten uns, bei diesem Angriffskrieg neutral zu bleiben, deshalb werden wir Kriegspartei.
Was in einem Bogen zurückführt zu Microsoft, das hier als strukturelles Beispiel dienen soll. Denn in der Digitalwirtschaft findet seit Jahren eine enorme Verschiebung statt, die den Krieg der Digitalunternehmen auf eine neue Ebene hievt. Normalbürgerinnen bemerken sie vielleicht, wenn sie versuchen, Office-Software zu kaufen, ohne ein Abo abzuschließen. Weil man damit einfacher mehr Geld verdienen kann, ersetzt oder ergänzt bei Software nach und nach das Prinzip Abonnement fast überall das Prinzip Kauf: vom Produkt zum Service. Praktischerweise wird zugleich oft eine Onlinekomponente eingeführt, die Software funktioniert nur (richtig), wenn sie zum Heimatserver Kontakt aufbaut.
Zusätzlich sind in den letzten Jahren eine Reihe von Software-Mehrwerten entstanden, die sich tatsächlich nur online einigermaßen anständig realisieren lassen. Spracherkennung zum Beispiel und damit Alexa und Siri, alle Effekte der sozialen Vernetzung, aber auch ein engmaschiges Sicherheitsregime funktionieren heute faktisch nur, wenn die Software ständig Kontakt zum Mutterserver hält. Die vorläufige Spitze dieser Entwicklung sind Internetplattformen, bei ihnen sind einfach alle relevanten Kommunikationen, Prozesse und Daten ins Netz verschoben, statt auf den Servern und Festplatten der Kunden zu laufen.
Damit aber verschiebt sich die Kontrolle dramatisch in Richtung der Digitalunternehmen, was wiederum völlig neue Möglichkeiten im Konfliktfall eröffnet. Auch Oracle und SAP haben ihre Dienste und Verkäufe in Russland eingestellt, aber es ist bisher nicht ganz klar , was genau das bedeutet.
Technisch möglich wäre alles bis hin zum »Kill Switch«, gewissermaßen der Atombombe des Kapitalistischen CSR-Kriegs. Das wäre ein roter Knopf bei Oracle, der sämtliche Oracle-Anwendungen in Russland lahmlegt. Fast jedes größere Unternehmen weltweit verwendet heute digital vernetzte Warenwirtschafts-, Kommunikations- und ERP-Systeme (Enterprise Ressource Planning, also Unternehmensorganisation), ohne die schlicht kein Arbeiten möglich wäre. Und nicht alle achten darauf, dass ihre Software im Zweifel auch autark und gegen den Willen des Urhebers funktioniert.
Der Nachfolger von Wandel durch Handel
»Kill Switch« hört sich irgendwie martialisch an, aber wenn man seine Servicegebühren nicht bezahlt, hört die Software ja auch auf, zu funktionieren. Die meisten Industrieländer stehen kurz vor oder schon mitten in einer sehr tiefen Abhängigkeit von ein paar Dutzend Digitalkonzernen, und damit ist jetzt nicht gemeint, dass ein paar Leute nervös werden, wenn sie Instagram nicht benutzen können. Es geht um die gesamte Ökonomie, aber auch die Organisation des privaten Alltags.
PayPal funktioniert nicht mehr in Russland, Google Pay und Apple Pay auch nicht. Google verkauft keine Anzeigen mehr und Apple hat den Verkauf seiner Hardware-Produkte eingestellt – aber was den Sturz des Landes in den ökonomischen Abgrund beschleunigen würde, wäre die komplette Abschaltung der russischen App Stores. Und das wäre nicht einmal die »Nuclear Option«. Selbst wenn Google und Apple es leugnen oder nicht erwähnen wollen – es wäre für sie natürlich technisch möglich, die von ihnen betriebssystemversorgten Smartphones in Russland weitgehend lahmzulegen oder stark einzuschränken. Seit 2018 baut Apple nachweislich in seine Laptops einen (bisher noch nicht aktivierten) Kill Switch ein. Und zwar für den Fall, dass »unautorisierte Reparaturen« am Gerät vorgenommen werden. Dann hat man statt eines MacBooks nur noch ein unhandliches silbernes Tee-Tablett. Die Technologie gibt es also schon, da liegt die Forderung nahe, sie auch im Kriegsfall einzusetzen. Und Smartphones sind überall, sie betreffen jeden Lebens- und Wirtschaftsbereich.
Das verändert die Weltpolitik in einem gerade für Deutschland entscheidenden Punkt. Speziell unter Angela Merkel hieß die Strategie für den Umgang mit demokratiebedrohenden Konfliktpotenzialen oft: Wandel durch Handel. Konkret dachte man, dass eine enge wirtschaftliche Verflechtung mit Russland Putin dazu bringen würde, nicht zu eskalieren, sondern die Öffnung und Demokratisierung weiter voranzutreiben. Im 20. Jahrhundert mag das ein paar Mal funktioniert haben, aber Merkels geopolitische Strategie ist bei Putin nicht einfach nur detoniert. Sie ist Deutschland in den Händen explodiert, als komplette Abhängigkeit von Öl, Gas und Kohle unter Putins Kontrolle. Zur Stunde finanzieren Deutschland und andere Staaten den russischen Angriffskrieg deshalb mit fast einer halben Milliarde Dollar Öl- und Gasgeld – pro Tag. In gewisser Weise ist der CSR-Krieg der Nachfolger von Wandel durch Handel, und der Schlüssel ist die Bedrohung, die sich für eine Volkswirtschaft durch die Macht insbesondere der Digitalkonzerne ergibt. Aber eben nicht nur für die Wirtschaft.
Manche sagen, dass Sanktionen die Zivilbevölkerung möglichst nicht treffen sollen, aber das ist romantischer Unfug. Wie fast alle wirtschaftlichen Maßnahmen entfaltet auch der digitalkapitalistische Krieg seine Wirkung zuallererst in der Bevölkerung. Was dann wiederum den Druck auf die Mächtigen erhöhen soll. Man kann über Sinn und Legitimität des Zielens auf die Bevölkerung streiten, aber es ist eine hohle, scheinedle Phrase, zu behaupten, man greife quasi nur die Oligarchen an. Aus meiner persönlichen Sicht kann es unter bestimmten Umständen sinnvoll sein, den digitalwirtschaftlichen Druck auch auf die Bevölkerung zu erhöhen. Der Absturz Russlands in die faschistische Kriegsdiktatur ist nicht allein das Werk Putins, auch wenn solche Erklärungen – ein einzelner böser Mann ist schuld! – in manchen deutschen Ohren einen wohlig warmen Klang entfalten dürften. Noch unterstützen rund 60 Prozent der Russinnen und Russen Putin und damit seinen Krieg gegen die Ukraine. Auch wenn zehntausende Mutige, Bewunderswerte in Russland auf die Straße gehen unter größter Gefahr für Freiheit und Unversehrtheit: Putins Macht stützt sich maßgeblich auf die Stimmung der Mehrheit der Bevölkerung. Auch, wenn die durch Propaganda hergestellt wird. Man kann nicht Vollzeit auf die verblendeten »Querdenker« schimpfen, aber dann so tun, als spiele der verblendete Teil der russischen Bevölkerung in Putins Krieg gar keine Rolle.
Das wiederum ist vielleicht ein Ansatz, wo der Kapitalistische Krieg Menschen zum Nachdenken, zum Zweifeln, vielleicht irgendwann zur Gegenrede bringen kann. Natürlich könnte auch der gegenteilige Effekt eintreten und eine Trotzreaktion die Menschen noch stärker zu Putin treiben. Aber weil Putins imperiales Bestreben deutlich innenpolitisch motiviert ist – die großrussische Erzählung und ihre Wirkung auf das nationalistische Publikum – wäre der Worst Case: Putin führt Krieg und der ihn unterstützende Teil der Bevölkerung spürt nichts Negatives davon. Hier ist der CSR-Krieg, ethisch begründete Wirtschaftssanktionen plus, wahrscheinlich das neue Mittel der Wahl.
McDonalds hat den Betrieb in Russland eingestellt , am letzten Abend war die Schlange vor einer Moskauer Filiale einen Kilometer lang. Der letzte Burger. Netflix hat zunächst die Filmproduktionen in Russland eingestellt und schließlich auch die Plattform selbst . Das ist vermutlich für Wladimir Putin so gerade eben noch bewältigbar, aber man muss suchen, um ein passenderes Signal für die breite Bevölkerung zu finden: Der Krieg geht auch euch an.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung dieses Artikels hieß es fälschlicherweise, Deutschland allein finanziere den russischen Angriffskrieg durch seinen Kauf von Öl und Gas mit fast einer halben Milliarde Dollar pro Tag. Wir haben den Satz korrigiert.