S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Die Rechts-Links-Störung der deutschen Netzpolitik
Das netzpolitische Oeuvre von Siegfried Kauder (CDU), dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Bundestags, ist nicht leicht zu fassen. Er hat sich mehrfach für die Einschränkung der Pressefreiheit ausgesprochen. Ihm erscheinen Netzsperren erstrebenswert. Er möchte bei Urheberrechtsverstößen den Internetzugang kappen. Vordergründig erscheint er als Vertreter des boulevardorientierten, konservativ-autoritären Lagers - Politiker also, die erst losschießen und auch danach nicht fragen.
Die politische Überzeugung hinter seiner populistischen Pressemitteilungspolitik hat Kauder aber nicht davon abgehalten, auf seiner eigenen Homepage Bilder und womöglich sogar Textpassagen zu verwenden, an denen er keine Rechte hielt, und in der anschließenden Erklärung sowohl die Unwahrheit zu schreiben wie auch zu offenbaren, dass ihm der Unterschied zwischen Urheberrecht und Nutzungsrecht nicht geläufig ist. Was bei fast niemandem in der Bundesrepublik dramatisch wäre - bei einem Rechtsausschuss-Vorsitzenden des Parlaments jedoch schon.
Es gibt naheliegende Schlüsse, die man aus dem Fall Kauder vs. Urheberrecht ziehen könnte. Man könnte seine Eignung in Frage stellen. Man könnte fragen, ob sein Urheberrechtsverstoß, eher belangslose Fotos ungefragt zu verwenden, eigentlich nur durch die selbstproduzierte Fallhöhe erwähnenswert ist - und ob das nicht eigentlich für eine Reform spricht, die das geltende Urheberrecht behutsam in Kontakt mit der digitalen Realität bringt. Eine dritte Schlussfolgerung aber ist die spannendste. Kauder war verzweifelt auf der Suche nach einer konservativen Position für die digitale Sphäre. Dass er stattdessen Populismus und Realitätsferne gefunden hat, liegt nur zum Teil an seiner Sachunkenntnis. Aber auch daran, dass die netzpolitischen Positionen noch gar nicht ausdefiniert sind - es ist noch recht unklar, wie genau eine echte konservative Haltung auf das Netz bezogen aussieht. Das gilt auch für andere politische Haltungen, aber nirgendwo wird es so offensichtlich wie beim Konservatismus. Dieses Problem bedroht die gesamte digitale Sphäre. Denn Ablehnung, Angstmacherei, Anti-Haltung sind eher Zeichen eines grundlegenden Unverständnisses als einer politischen Überzeugung. Für eine pluralistische Gesellschaft ist eine Diskussion verschiedener, aber informierter politischer Haltungen jedoch essentiell. Es kann nicht konservativ sein, keine Ahnung zu haben - schon, weil das jede Versachlichung der Debatte verhindert.
Die politischen Positionen im Bezug auf das Netz haben sich noch nicht ausdefiniert
Betrachtet man das Internet als neu gewachsenen Kulturraum einer digitalen Gesellschaft, dann schlägt allerdings die naheliegendste konservative Anknüpfung fehl: Tradition und Bewahrung der Wurzeln heißt im Netz Bewahrung der Offenheit, Hierarchielosigkeit und Akzeptanz des Kontrollverlustes durch die Vernetzung - Stichwort WikiLeaks. Das klingt nur mäßig konservativ. Aber wie genau korreliert das Netz mit politischen Verortungen der Offline-Welt?
Wäre eine echte liberale Position für oder gegen Netzneutralität? Hat die Sozialdemokratie eine starre oder eher flexible Haltung zum Urheberrecht? Wie grün ist das Netz wirklich, inhaltlich und technologisch? Wenn Unternehmertum und bürgerliche Moralvorstellungen kollidieren, wofür entscheidet sich der Konservatismus? Es gibt in den deutschen Altparteien bisher kaum netzpolitische Verortungen, die über Willkür und Zufälle durch Einzelpersonen hinaus entstanden wären. Und gegen die inhaltliche Geschwindigkeit traditioneller Parteiapparate erscheint die Kontinentaldrift als hektischer Aktionismus.
Teile der Piratenpartei dagegen kokettieren gern damit, dass sie nicht rechts oder links, sondern vorn seien - auch das ein Anzeichen dafür, dass sich politische Positionen im Bezug auf das Netz noch gar nicht ausdefiniert haben. Und ein Hinweis darauf, dass dieser Umstand von der Netzpolitik auf die Politik der gesamten digitalen Sphäre übergreift.
Netzpolitik scheidet sich in Deutschland in informiert und uninformiert
Aber wie Umweltschutz in Deutschland lange als linkes Thema galt, ist er heute in der Geschmacksrichtung "Bewahrung der Schöpfung" auch als christlich-konservatives Thema verfügbar. Umweltschutz ist damit nicht länger eindeutig links oder rechts verortbar, sondern gilt glücklicherweise allgemein als Sache der Vernunft. Ähnlich könnte es mit der Politik der digitalen Sphäre gehen - und das ist einer der seltenen Gründe zur Hoffnung. Neben einzelnen Politikern auch in den Reihen der Konservativen: Peter Altmaier, Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, ließ bei Anne Will ein gewisses Netzweltverständnis durchscheinen, so wie Dorothee Bär, stellvertretende Generalsekretärin der CSU, es jeden Tag auf Twitter tut.
Der auch in diesen Zirkel gehörende CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Tauber erklärt in seinem Blog "Der Schwarze Peter", wie aus seiner konservativen, aber aufgeklärten Sicht der gegenwärtige politische Diskurs einzuordnen sei:
"Im Kern ist es die Debatte zwischen denjenigen, die das Internet verstehen und 'kennen' und denen, die aus den verschiedensten Gründen dem neuen Medium mit Skepsis, Angst und Unverständnis begegnen und dann noch der Überzeugung sind, Lösungen für aktuelle Fragen das neue Medium betreffend mit dem Handwerkszeug von gestern finden zu können."
Die Quintessenz: Politik für das Netz scheidet sich in Deutschland bisher weniger in links und rechts - sondern in informiert und uninformiert. Was direkt wieder zurück zu Siegfried Kauder führt. Ob der sich allerdings zum Thema Politik und Internet bis in die Diskussionsfähigkeit hinein fortbilden wird, ist fraglich. Und zwar nach seiner eigenen Anschauung. In einer Bundestagsrede wandte er sich vehement gegen das Gesetz zur Bekämpfung der Abgeordnetenbestechung und formulierte: "Bei einem Politiker genügt schon der Verdacht, der Anschein, und schon ist das Amt, das er hat, beschädigt." Es gibt kaum Hoffnung, dass sich Kauder an seinen eigenen Worten messen ließe, aber wenn, müsste er die Konsequenzen aus seiner Amtsbeschädigung ziehen. Für den Diskurs, was Konservatismus im Netz bedeutet, wenn man von Realität und Sachkenntnis ausgeht, wäre es ein Gewinn.
tl;dr
Mit Vernunft und Sachkenntnis muss entwickelt werden, was politische Überzeugungen im Netz bedeuten - abseits bloßer Netzgegnerschaft.