
Geheimdienstkontrolle Warum ich ein Fan des neuen BND-Gesetzes bin


BND-Zentrale in Berlin
Foto: FABRIZIO BENSCH/ AFPAm kommenden Freitag wird voraussichtlich das neue BND-Gesetz verabschiedet. Rechtzeitig vorher möchte ich festhalten: Ich bin großer -ach was, begeisterter! - Fan dieser Neuerungen. Sie erscheinen mir als vielleicht einziger noch gangbarer Weg - was vielleicht näher erklärungsbedürftig ist.
Der ehemalige BND-Chef Gerhard Schindler war die zweite Person weltweit, die wegen der Snowden-Enthüllungen ihren Job verlor (mit einiger Verzögerung). Die erste war Edward Snowden selbst.
Das jetzt vorgelegte Gesetz erscheint politisch als Folge der gleichen Ursache, die auch für Schindlers Entlassung verantwortlich war. Dabei handelt es sich nicht etwa um die zu Hauf vom BND begangenen Illegalitäten. Denn es scheint aus Sicht der Bundesregierung richtig und wichtig, dass sich Geheimdienste kaum um Gesetze scheren, sondern sie eher als Vermarktungshinweise begreifen.
Schindler wurde nicht gegangen, weil der BND unter seiner Leitung massenhaft Gesetze brach, sondern weil der BND dabei ertappt wurde. Und weil die anschließende Öffentlichkeitsarbeit zur Relativierung misslang. Ein BND-Präsident ist immer auch Verkäufer der Leistungen seines Dienstes.
Hier liegt der Schlüssel zur neuen Gesetzgebung, die sich in einem Satz grob umreißen lässt: Das neue BND-Gesetz legalisiert weitgehend die illegalen Aktivitäten des BND. Das neue BND-Gesetz ist damit auch eine zukünftige Vermarktungshilfe für den Geheimdienst, weil das wichtigste Hindernis wegfällt. Wenn fast alles legal ist, kann der BND kaum noch bei irgendetwas ertappt werden. Spoiler: Er wird es trotzdem schaffen.
Wichtiger aber noch - das neue BND-Gesetz ist ein gesetzgewordenes Eingeständnis umfassender politischer Ratlosigkeit. Denn eigentlich - eigentlich! - müssten Geheimdienste in Zeiten islamistischen wie rechtsextremen Terrors funktionieren. Genau dafür wurden sie geschaffen.
Wenn man so will, könnten sie eine Art Staatsfeuerwehr sein, und jetzt brennt es: durch dritte Staaten finanzierte rechtsextreme Propaganda und Parteien, von Naziterroristen angezündete Flüchtlingsheime, Attentate mörderischer Islamisten in ganz Europa.
Die demokratische Kontrolle wird zum Feigenblatt
Aber die Geschichte zeigt, dass die Methoden, die Strategien und die Philosophien von Geheimdiensten sie für Missbrauch extrem anfällig machen. Der Keim steckt schon im Begriff "Geheim", denn die daraus folgende Intransparenz ist das Gegenteil von Kontrolle, besonders von demokratischer Kontrolle. Die man aber zwingend braucht, um die Missbrauchsolympiade, die Snowden aufdeckte und die auch deutsche Dienste betraf, wenigstens einigermaßen in demokratische Grenzen zurückzuführen.
Stattdessen wird mit dem neuen BND-Gesetz die demokratische Kontrolle verkompliziert. Die dafür sinnvollste Instanz - die gewählten Volksvertreter im Parlament nämlich - bekommen nicht etwa geeignete Befugnis und ausreichende Mittel für ihre wichtige Kontrollfunktion. Stattdessen wird zusätzlich zu den drei vorhandenen Gremien ein viertes eingerichtet.
Dieses wird in einem tolldreisten PR-Stunt zugleich von der Geheimdienste steuernden Bundesregierung eingesetzt und von der Geheimdienste steuernden Bundesregierung als "unabhängig" bezeichnet. Die meisten Missbrauchsszenarien von Geheimdiensten aber sind strukturelle Missbräuche, die eine Vielzahl verschiedener Bereiche betreffen. Wenn dann die demokratische Kontrolle derart zerfasert wird, wird sie Feigenblatt statt Funktion.
Dabei wäre sie wichtiger als je zuvor. Denn der Hauptgrund für den Selbstüberwachungsschlamassel der westlichen Gesellschaften ist: Mit der Verschiebung wesentlicher Teile der Gesellschaft in die digital vernetzte Sphäre und der immer größeren Wirkmacht der Datenverarbeitung sind die Möglichkeiten der Geheimdienste exponentiell gestiegen. Die parlamentarische Kontrolle dagegen ist noch die gleiche wie vor 40 Jahren, mit teilgeschwärzten Schwarzweiß-Kopien und knappen Lesezeiten in zumutungsbasierten Akteneinsichtsräumen.
Das alles kann der BND vielleicht bald machen
Das ist die Botschaft der Bundesregierung: Wir wollen um jeden rechtsstaatlichen Preis unseren naiven Glauben aufrechterhalten, dass die Geheimdienste den Terror nur dann in den Griff kriegen, wenn sie praktisch alles dürfen und man sie kaum kontrolliert. Es ist, als würde man nach der ersten eingefangenen Ohrfeige als Gegenmittel eine Watschenbaum-Schüttelmaschine kaufen. Mit 10.000 PS. Was dazu führt, dass der BND bald Folgendes machen kann (unter anderem):
- Personen im Inland überwachen. Das war vorher verboten, denn der BND ist ein Auslandsgeheimdienst. Diese absichtliche Macht-Einschränkung war eine Folge der fatalen Rolle, die die Geheimpolizeien in der Nazizeit gespielt haben.
- Metadaten automatisiert an die NSA weiterleiten. Das hat der BND bisher ohne echte Rechtsgrundlage eh schon getan, aber jetzt wird es legal. Das macht den Begriff "Geheimnisträger" fast irrelevant, Journalisten, Anwälte, Ärzte, Geistliche überwachbarer.
- Menschen mit wirklich jeder Begründung überwachen. Bisher ging es um Gefahrenabwehr. Das neue Gesetz sagt nun aber wörtlich, dass eine Überwachung erlaubt ist, um "sonstige Erkenntnisse von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung über Vorgänge zu gewinnen". Sonstige Erkenntnisse über Vorgänge, Gesetzessätze von fantastischer Schwammigkeit, darunter fällt, wenn man möchte, nämlich alles.
"So baust du dir deinen eigenen Geheimdienst-GAU"
Und der BND möchte, denn er mochte schon in der Vergangenheit eine deutsche NSA sein. Mit dem neuen BND-Gesetz kommt er diesem Ziel gewaltig näher. Denn auch die Bundesregierung will den BND zur NSA machen.
Deshalb haben sich neben den Oppositionsparteien und den üblichen Aktivisten unter anderem folgende Institutionen gegen das BND-Gesetz gewandt: Amnesty International, Reporter ohne Grenzen, Deutscher Journalistenverband, Deutscher Anwaltverein, verschiedene Verbände der Internetwirtschaft, ARD und ZDF, die OSZE, eine Handvoll Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen sowie eine Reihe namhafter Juristen, darunter zum Beispiel der stellvertretende Vorsitzende eines der drei oben erwähnten Kontrollgremien (G-10-Kommission). Sie alle sehen die Medienfreiheit in Gefahr und sorgen sich um die fehlende Kontrolle, die Missbrauchseinladung, die wahrscheinliche Verfassungswidrigkeit.
Warum also bin ich jetzt Fan dieses fürchterlichen Gesetzes? Weil ich fast jeden Glauben an den Willen der beiden Parteien mit Regierungsabo zu einer grundlegenden Reform der Geheimdienste verloren habe - fast. Es sei denn, es gäbe ein Geheimdienst-Großdebakel von meteoriteneinschlaghafter Wirkung.
Die möglichen Richtungen einer solchen Eskalation unkontrollierter Geheimdienste ist - abgesehen vom Verfassungsschutz-NSU-Kindesmissbrauchs-Irrsinn - seit Snowden bekannt: geheime Foltergefängnisse, illegale Drohnenmorde, Gruppenverschleppungen Unschuldiger.
Das BND-Gesetz ist ein grandioses "recipe for desaster", was grauenvollerweise die letzte Chance für die Einsicht in die Reformnotwendigkeit sein könnte. Denn wenn es nicht vom Bundesverfassungsgericht vernichtet werden sollte, wirkt das neue BND-Gesetz wie eine YPS-Bastelanleitung "So baust Du Dir Deinen eigenen Geheimdienst-GAU".
tl;dr
Die Regierung will den BND zur deutschen NSA machen: alle Befugnisse, kaum Kontrolle. Ein hervorragendes "recipe for desaster".
