S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Was man 2013 über das Internet wissen muss, um die Welt zu verstehen
Google arbeitet an einer umfassenden, digitalen Infrastruktur, deren Grenzen von zwei Faktoren bestimmt werden: mangelnde Genialität im Bereich sozialer Medien und politische Macht. Google ist nicht böse, aber zu groß und zu börsennotiert, um gut zu sein. Wenn man unter gut versteht, sich im Zweifelsfall um das gesellschaftliche Wohlergehen stärker zu kümmern als um Aktionärswünsche. Im deutschen Sprachraum aber ist der Kern der Google-Kritik zu häufig Internetkritik. Denn hinter Google stehen einzelne Personen und deren Entscheidungen, denen man bequem Schuld geben kann. Der eigentliche Adressat ist jedoch der technosoziale Fortschritt, viel unerbittlicher und umwälzender als hundert Googles. Was nicht bedeutet, sich kritik- und kampflos zu ergeben, weder dem einen noch dem anderen.
Mark Zuckerbergs Genius besteht daraus, zu erspüren, was die sozial vernetzten Massen wollen, bevor sie es selbst wissen. Seine Trefferquote ist erstaunlich, seine geschmeidige Balance aus Beharrlichkeit und Zurückruderei ebenso. Facebooks Fall wird beginnen, wenn der Druck der Börse entscheidungsrelevanter wird als Zuckerbergs Gespür. Das angebliche Mobile-Problem des sozialen Netzwerks existiert nicht, das tatsächliche Vermarktungsproblem erfordert für die Lösung jedoch Geduld. Denn diese liegt in einem sozialen Suchlayer für das gesamte Restinternet: ein Social Adsense. Dessen Aufbau erfordert Zeit, weil es um Vertrauen und Gewohnheitsänderungen von Werbekunden geht. Und es ist ein Mythos, dass diese nur rational nach Effizienz entscheiden würden.
Apple
Die hermetischen Strukturen der Apple-Welt garantieren die zentralen Vorteile seiner Produkte: Einfachheit, Eleganz und Sicherheit. Es ist allerdings erstaunlich, dass Apple außer Stande scheint, diese Leitmotive ins moderne Internet zu übertragen, von Cloud bis zur sozialen Vernetzung. Die eigentliche Leistung des Unternehmens ist der Aufbau eines digitalen Ökosystems, bestehend aus Hardware, Betriebssystemen und Konsumplattformen. Apples Nutzprogramme dagegen pendeln zu oft zwischen Zumutung, Dysfunktionalität und Egalheit. Falls Apple plant, mehr Internet zu wagen, bleibt nur der Zukauf eines entsprechenden Unternehmens, potentielle Kandidaten wären Dropbox, Soundcloud und, ja, Twitter.
Amazon
Amazon möchte Apple werden, nur schlechter designt. Dafür aber mit einer Konsumplattform auch für nichtdigitale Produkte. Die Funktionsweise des Amazon-Browsers Silk gehört zu den potentiell gefährlichsten Entwicklungen für das offene und freie Internet. Denn damit werden alle Datenströme der neuen Amazon-Tablets über firmeneigene Server geleitet, was technisch eine ungekannte Kontrolle ermöglicht. Obwohl diese Funktion abschaltbar ist, werden so die bedrohlichsten Begehrlichkeiten geweckt. Wenn erst einmal ein Gerätehersteller technisch und damit politisch für Netzinhalte verantwortlich gemacht werden kann, ist das bereits in den Brunnen gefallene Kind ertrunken.
Privatsphäre
Das mitteleuropäische, vornetzige Verständnis von Privatsphäre lässt sich weder technisch noch gesellschaftlich halten. Die kommende Diskussion sollte sich nicht darum drehen, wie sich diese Form der Privatsphäre noch ein paar Jahre verlängern lässt. Sondern wie sich eine dringend notwendige, zukünftige Form der Privatsphäre aus den Bedürfnissen der Gesellschaft heraus entwickeln lässt und nicht nur aus denen der Datenwirtschaft.
Netzpolitik
Netzpolitik interessiert nur Leute, in deren Alltag spitze Klammern eine Rolle spielen. Für alle anderen, denen das Internet trotzdem so wichtig ist wie fließendes warmes Wasser, ergibt sich Handlungsbedarf erst, wenn es tatsächlich schmerzhaft wird. Oder zumindest so aussieht. Die digitale Infrastruktur ist nämlich so abstrakt, dass die Möglichkeit ihrer hypothetischen Bedrohung nur im Ausnahmefall breitenwirksam ist. Daraus folgt eigentlich, dass es eine Interessenvertretung der Internetnutzer geben müsste.
Piratenpartei
Die Piratenpartei hätte für das Internet sein können, was die CSU für Bayern ist. Ihre Allergie gegen das eigene Führungspersonal hat jedoch dazu geführt, dass sie Themen nicht setzt, sondern verwaltet. Aber Wähler werden nicht durch Themen überzeugt, sondern durch Haltungen - und dafür braucht man Köpfe. Für das Internet wäre einen starke Piratenpartei wichtig gewesen.
Netzneutralität
Die Erhaltung eines einigermaßen neutralen Netzes ist die wichtigste digitalpolitische Aufgabe für 2013. Das Dilemma besteht darin, dass für den kontinuierlichen Netzausbau sehr viel mehr Geld benötigt werden wird, als sich mit dem Zugangsverkauf erlösen ließe. Zur größten Bedrohung für die Netzneutralität könnten in den kommenden Jahren nicht die Telekommunikationsunternehmen werden - sondern deren Kunden. Und zwar genau dann, wenn sie in Massen entscheiden, dass ein kostenloses Paket aus Facebook, YouTube, Chat und ein paar Dreingaben ausreicht. Und man den umfassenden Netzzugang eigentlich nicht so dringend braucht. Der Feind eines netzneutralen Internets ist die Bequemlichkeit wenig versierter Nutzer.
Augmented Reality
Anfang 2013 sollen die ersten Google Glasses an Entwickler verschickt werden. Diese Datenbrillen werden Netz und Welt auf ungekannte Weise verschmelzen. Ob sie ein Gadget von digitaler Liegefahrradhaftigkeit bleiben oder größte Durchschlagkraft entwickeln, hängt hauptsächlich vom Vorhandensein einer funktionalen und angenehm bedienbaren Eingabemöglichkeit ab. Eine Brille, die nur abbildet, ist eine Spielerei. Eine Brille, die digitale Interaktion ermöglicht, ist eine Welt.
Big Data
Big Data bedeutet, dass Unternehmen versuchen zu messen und zu berechnen, was sie irgendwie bisher erraten mussten. Für Nutzer ergeben sich im Jahr 2013 außer einer leicht besseren Spracherkennung und noch etwas aufdringlicherer Internetwerbung keine spürbaren Effekte. Konzerne mit großem Datenbestand dagegen müssen unbedingt was mit Big Data machen, weil sie sonst im Jahresverlauf pleitegehen.
Cloud
Seit vielen Jahren vertrauen fast einhundert Prozent der Bevölkerung in Deutschland ihr wirtschaftlich wertvollstes Gut einer Cloudanwendung an. Das gewöhnliche Konto besteht aus einem Datum, einer Zahl auf einem Server, der einem nicht gehört, dessen Ort man nicht kennt. Wenn man die Cloud benutzen möchte, gehört also das Gleiche wie beim Konto dazu: sehr großes Vertrauen in den Anbieter, die Betonung auf Sicherheit und nach Möglichkeit eine persönlich kontrollierte Rückfallebene. Wenn man nicht gerade Kryptonerd ist, braucht man darüber hinaus auch einfach Glück.
Open Alles
Die Transformation zur digitalen Gesellschaft ist eine Frage der öffentlichen Funktionalitäten: wer kann welche Daten wie und wann nutzen? Hinter den vielen Open-Bewegungen wie Open Access, Open Data, Open Government und auch Open Source steht nicht weniger als ein neues Verständnis von Öffentlichkeit. Die vordigitale Öffentlichkeit war primär ein Kommunikationsraum, die digitale Öffentlichkeit ist zusätzlich ein Funktionsraum. Der Unterschied zwischen Öffentlichkeit und digitaler Öffentlichkeit ist vergleichbar damit, ob Informationen öffentlich zugänglich oder öffentlich zugänglich und maschinell prozessierbar sind.
Digitale Sphäre
Man sagt Internet, aber Apps gehören in der Regel nicht dazu. Man sagt Netz, aber Android kann damit kaum gemeint sein. Man sagt Web, aber Ebooks haben damit wenig zu tun. Aber Begriffe prägen Diskussionen und damit die zukünftige Entwicklung. Deshalb soll der Begriff "Digitale Sphäre" für alles stehen, was elektronisch und datenbasiert funktioniert.
Urheberrecht
Der Streit ums Urheberrecht im Internet wird 2013 zur allerseitigen Zufriedenheit aufgelöst werden.
Anmerkung: Die Idee eines Internet-Nutzerverbandes stammt ursprünglich vom Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch und ist eine ausgesprochen gute.