S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Das Kuckucksei des Boulevards
Ein alter, deutscher Witz, vermutlich aus den zwanziger Jahren, wurde so erzählt: "Die Krupps sind Kommunisten." - "Was?" - "Ja. Was sie sowieso schon haben und was sie bei der großen Umverteilung zusätzlich noch bekommen..."
Das von der schwarz-gelben Koalition geplante Leistungsschutzrecht ist als Referentenentwurf bekannt geworden. Vordergründig ist es ein Gesetz, das Verlagen erlaubt, die Verwendung kleinster Textschnipsel kostenpflichtig zu lizenzieren. Tatsächlich handelt es sich um den Versuch der Umverteilung, so realistisch wie im Krupps-Witz. Das Netz hat zur Verschiebung enormer Werbebudgets geführt. Wo früher Verlage teure Anzeigen neben teuren Inhalten verkauften, fließt heute alles zu Google, die billige Anzeigen neben kleinen, von ihnen unbezahlten Textschnipseln verkaufen (vereinfachte Darstellung).
Das Leistungsschutzrecht soll diese Verschiebung zum Teil rückgängig machen. Kleine Textschnipsel, das hört sich zunächst harmlos an, aber kleine Textschnipsel sind die Nervenimpulse des Internet. Suchbegriffe in Suchmaschinen sind kleine Textschnipsel, jeder Link bei Facebook verwandelt sich automatisch in verlinkte Textschnipsel, Tags, also kategorisierende Stichworte, sind Textschnipsel, und Twitter hat gleich ein ganzes Social Network um Textschnipsel herumgebaut.
Die Verlage treiben das Schnipselvermarktungsgesetz aus einer gewissen Notsituation voran. Es ist schwierig geworden, journalistische Inhalte im Netz zu refinanzieren. Doof nur, dass das Leistungsschutzrecht ein Schrotgewehr von Gesetz ist, und wenn man auf Google zielt, erwischt man potentiell alle anderen Textschnipselverwender. Auch sich selbst. Um im Bild zu bleiben: Für die Verlage wird das Leistungschutzrecht ein Schuss von hinten durch die Brust ins eigene Knie. Mit Anlauf. Auch wenn die Metapher damit ins anatomisch Unglaubwürdige gerät.
Allerdings gilt das nicht für alle. Und das hängt direkt mit der Funktion von Textschnipseln im Netz zusammen, die nämlich Zitate und Verlinkungen ergeben. Zwar betont der erste Entwurf, dass es mit dem Zitatrecht keinen Konflikt gäbe - aber es wird nicht klar, warum das so sein soll. Was bei Gesetzen automatisch heißt, dass es gerichtlich zu klären sein wird.
Gut möglich, dass Plattformen wie Facebook ihre Linkfunktion für bestimmte Seiten aussetzen. Ganz sicher aber wird die Diskussion in Onlinemedien, auf Blogs, auf Twitter ohne Verlagstextschnipsel stattfinden. Auch, weil die Internetpeople sich in ihrer Textschnipselehre angegriffen fühlen. Und da zeigt sich, warum der Axel-Springer-Verlag das Leistungsschutzrecht so glühend vorantreibt, wie man an geschätzt sechsundzwanzigtausend Artikeln auf dem Blog eines Verlagsmanagers ablesen kann, das hier zu Trainingszwecken schon mal nicht zitiert und nicht verlinkt ist.
Die gesellschaftlichen Debatten verschieben sich immer mehr ins Digitale
Denn Boulevardmedien wie Springers "Bild"-Zeitung haben eher Konsumcharakter. Textmedien wie Zeit Online, Süddeutsche.de, Faz.net oder SPIEGEL ONLINE aber haben eher Diskurscharakter - sie brauchen die Netzdiskussion, weil ihre gesellschaftliche Relevanz immer mehr davon abhängt. Wenn das Leistungsschutzrecht kommt, gehen automatisch die textschnipselbasierten Verlinkungen zurück, und das schadet besonders denjenigen Medien, die den Netzdiskurs brauchen. So wird das Leistungsschutzrecht ein Boulevard-Kuckucksei im Zeitungsnest.
Google wird die Verlage (wie in Belgien bereits geschehen) daraufhin aus dem Suchindex auslisten müssen, um nicht mit völlig unberechenbaren Forderungen überhäuft zu werden, Constanze Kurz hat das Szenario im März 2012 beschrieben. Das hat nicht nur den Einbruch der Nutzerzahlen zur Folge sowie die Abschreibung sämtlicher Investitionen in Suchmaschinenoptimierung. Es würde den Internetdiskurs auch rückwirkend um alle Verlagsbeiträge bereinigen. Bis auf ein paar Leute mit sehr gutem Gedächtnis würde niemand wissen, ob ein witziges Wortspiel zur Euro-Krise oder ein misslungener Hitlervergleich nicht schon vor ein paar Monaten irgendwo anders standen.
Die gesellschaftlichen Debatten verschieben sich immer mehr ins Digitale. Und wenn Verlage dort nicht mehr auffindbar sind - Google hat in Deutschland einen Marktanteil von 96 Prozent - dann geht ihnen etwas verloren, was noch immer den Kern ihrer publizistischen Macht darstellt: die Deutungshoheit. Dieser netzsperrenhaft dämliche Leistungsschutz-Stunt der Verlage wird Googles Macht zementieren.
Was sehr problematisch ist, denn Google ist nicht böse, aber ein Konzern, von dem mehr Geschäftsmodelle und Gesellschaftsprozesse abhängig sind, als sinnvoll sein kann. Zudem fühlt sich Google seit ein paar Jahren in die Ecke gedrängt, hat die Quote seiner irrationalen Entscheidungen deutlich erhöht und hört immer weniger auf seine Nutzer. Stattdessen investiert Google mehr in Lobbyismus - übrigens auch in "Igel", die "Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht", ohne dass deren Betreiber das so deutlich sagen würden oder gar die Summen offenlegen würden. Dass eine Seite unsauber spielt, heißt ja nicht, dass die andere automatisch sauber ist.
Deutschland ist ein digitalwirtschaftliches Entwicklungsland
Das langfristig größte Problem des Leistungsschutzrechts aber ist ein wirtschaftliches. Denn hier wird exemplarisch vorgeführt, wie man mit der digitalen Disruption, den Verschiebungen der Wirtschaft durch das Netz, nicht umgeht. Deutschland ist ein digitalwirtschaftliches Entwicklungsland. Im Dax ist kein einziger Internetkonzern. Das ist schlecht, weil sich amerikanische Unternehmen im Zweifel um deutsche und europäische Interessen weit weniger kümmern als ortsansässige. Ihre strategischen Entscheidungen beeinflussen Wirtschaft, Politik, Kultur und Sozialleben, ohne dass umgekehrt ein realistischer Einfluss der hiesigen Gesellschaft auf die Konzerne besteht.
Deshalb war es ein so besorgniserregendes Symbol, dass Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner 2010 aus Protest ihr Facebook-Profil löschte - und exakt nichts passierte. Deutlicher lässt sich die Hilflosigkeit der deutschen Politik gegenüber der gesellschaftsprägenden, digitalen Welt nicht darstellen. Diese digitale Hilflosigkeit soll nun in Gesetzesform gegossen werden, und sie wird als schlechtes, aber leuchtendes Beispiel fungieren.
Denn wenn die Verlagsbranche ein Gesetz bekommen hat, das sie vor den disruptiven Marktverschiebungen durch das Internet schützen soll, werden andere Branchen nachziehen. Sie werden Hoffnungen und Mittel zur Innovation im digitalen Wandel abziehen und investieren in Lobbyarbeit, weil das eine anstrengend, unsicher und teuer ist - Gesetze aber offensichtlich recht kostengünstig herbeizulobbyieren sind.
Umverteilung eben, in Form von Subventionen. Die Branche der eingangs erwähnten Krupps übrigens kann aus ihrer Historie sagen, wie falsche Subventionen wirken können, zur Überprüfung zähle man einfach die noch im Betrieb befindlichen Hochöfen im Ruhrgebiet. Weiterführende Details lassen sich ausgehend vom Begriff "Stahlkrise" im Netz recherchieren. Aber man beeile sich, die Presseartikel zum Thema sind im Netz bald nur noch schwer auffindbar.
tl;dr
Das Leistungsschutzrecht wird für Verlage nicht funktionieren, aber als schlechtes Vorbild für Politik im digitalen Wandel schon.