Schnüffelsoftware Experten entdecken zweiten Staatstrojaner

Er soll noch potenter sein als die bayerische Schnüffelsoftware: Hacker vom Chaos Computer Club haben einen zweiten Staatstrojaner der Firma DigiTask geortet. Die Spähsoftware ermöglicht die weitgehende Überwachung eines Verdächtigen - auch ihr Einsatz könnte illegal sein.
Sitz der Firma DigiTask in Hessen: Zweiter Trojaner entdeckt

Sitz der Firma DigiTask in Hessen: Zweiter Trojaner entdeckt

Foto: dapd

Hamburg - Der Anti-Viren-Software-Hersteller Kaspersky hat nach eigenen Angaben eine weitere Version des Staatstrojaners analysiert - und dabei eine bedenkliche Entdeckung gemacht. Das offenbar von der Firma DigiTask entwickelte Programm kann mehr Programme abhören, als der vom Chaos Computer Club identifizierte Bayern-Trojaner. Auch neuere Betriebssysteme soll der Schädling infizieren können. Der Anwalt von DigiTask sagte SPIEGEL ONLINE, es handele sich offenbar um Software der Firma - wann und an wen der Trojaner geliefert wurde, sagte er nicht.

"Wir kennen diese Version", sagte Frank Rieger vom Chaos Computer Club (CCC). "Bisher haben wir aber keine konkreten Anhaltspunkte, wo dieser Trojaner womöglich eingesetzt wurde und uns deshalb mit einer Veröffentlichung zurückgehalten." Weil der entdeckte Trojaner laut CCC unsicher ist und prinzipiell die komplette Überwachung eines Computers ermöglicht , beschäftigt sich der Bundestag am Mittwoch gleich dreimal mit dem Thema.

Der neue Schädling wurde von Unbekannten offenbar mehrfach zwischen Dezember 2010 und Oktober 2011 auf die Plattform virustotal.com  hochgeladen. Dort können verdächtige Dateien auf Virenbefall gescannt werden - und Hersteller von Anti-Viren-Software beziehen von dort Informationen über neue Gefahren. Die Firma F-Secure hatte zuerst einen Zusammenhang zwischen den Dateien und dem Staatstrojaner hergestellt.

Auch neuer Trojaner kann Webbrowser überwachen

Die Verbindung macht F-Secure  unter anderem am Namen der Installationsdatei fest: "scuinst.exe" - das stehe für "Skype Capture Unit Installer". So heißt ein Überwachungsprogamm, das in einem Schreiben auftaucht, das wohl aus dem bayerischen Justizministerium stammt. In dem Dokument wird aufgelistet, wie die Kosten für Spähsoftware aufzuteilen sind. Das bayerische Justizministerium bestätigte die Echtheit des Schreibens damals nicht, bezeichnete es aber auch nicht klar als Fälschung.

Außerdem nutzt die von Kaspersky untersuchte  Software denselben Code, um die Kommunikation mit dem Steuerungsserver zu verschlüsseln. "Es ist derselbe fest eingebaute Schlüssel wie beim Bayern-Trojaner", sagte Frank Rieger. In dem Bundesland wurde in den vergangenen drei Jahren 25 Mal ein Trojaner eingesetzt, bundesweit soll es rund hundert Einsätze gegeben haben - laut Behörden wird die Software jeweils entsprechend richterlichen Vorgaben angepasst.

Die Kaspersky-Techniker gehen davon aus, dass es sich um den "großen Bruder" des vom CCC untersuchten Staatstrojaners handelt. Von der CCC-Version, die bei einer laut dem Landgericht Landshut rechtswidrigen Überwachung in Bayern eingesetzt worden sein soll, unterscheidet sich die neue Variante in diesen Punkten:

  • Der von Kaspersky untersuchte Staatstrojaner kann auch 64-Bit-Versionen von Windows-Systemen befallen. Anders als die vom CCC untersuchte Variante ist der "große Bruder" signiert.
  • Die neue Version überwacht laut Kaspersky mehr Programme als der vom CCC analysierte Trojaner.

Staatstrojaner zielt auch auf Browser ab

Nach der Analyse von Kaspersky werden insgesamt 15 Programme von dem Trojaner ausgespäht, darunter:

  • die Browser Opera, Firefox und Internet Explorer;
  • das Verschlüsselungsprogramme Simppro für Chat-Clients;
  • die Internettelefonie-Programme X-Lite, Voipbuster, Lowratevoip, Skype, Sipgatexlite;
  • Chat-Clients für Dienste wie ICQ, MSN, Yahoo Messenger.

Insbesondere die Überwachung von Browser-Aktivitäten könnte den Einsatz dieser Software rechtswidrig machen. Denn im Rahmen der sogenannten Quellen-Telekommnikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) dürfen Ermittler nur laufende Telekommunikation belauschen. Wenn jemand zum Beispiel eine E-Mail in ein Browserfenster tippt und der Staatstrojaner diesen Arbeitsvorgang mit etlichen Bildschirmfotos aufzeichnet, ist das wohl illegal: Solange eine E-Mail nicht abgeschickt wurde, hat der Überwachte nicht kommuniziert.

Online-Durchsuchung nur in Ausnahmefällen

In solchen Fällen kann eine Überwachung leicht zu einer Online-Durchsuchung ausarten - und das darf sie laut dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum sogenannten Computer-Grundrecht nicht. Online-Durchsuchungen dürfen das Bundeskriminalamt und Ermittler in Rheinland-Pfalz und Bayern nur unter hohen Auflagen durchführen.

Laut Bundesverfassungsgericht ist der Einsatz nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für Leib, Leben und Freiheit einer Person bestehen - oder für solche "Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt".

Die nun von Kaspersky analysierte Software deutet daraufhin, dass Staatstrojaner mit Funktionen, die über die Quellen-TKÜ hinausgehen, weiter verbreitet sind als bislang angenommen. Dafür gibt es mehrere mögliche Erklärungen. Die von Kaspersky untersuchte Software

  • wurde von Ermittlern im Rahmen einer Online-Durchsuchung eingesetzt.
  • wurde bei einer Quellen-TKÜ eingesetzt, konnte aber mehr als bei einer solchen Überwachungen zulässig ist - so wie schon der in Bayern eingesetzte Staatstrojaner.
  • war nicht bei deutschen Ermittlern im Einsatz und ist aus bislang unbekannten Beweggründen bei virustotal.com hochgeladen worden. Die Firma DigiTask hat Trojaner-Technik nicht nur an deutsche Bundes- und Landesbehörden geliefert, sondern auch an Österreich, die Schweiz und die Niederlande.

Sollte die untersuchte Software bei einer Quellen-TKÜ eingesetzt worden sein, stellt das die bisherigen Erklärungsversuche des Vorfalls in Bayern in Frage. Bislang haben Landespolitiker und Ermittlungsbehörden erklärt, es gäbe keinen einheitlichen Staatstrojaner. Die Software würde von Fall zu Fall neu bestellt - auf Basis der Vorgaben des Gerichts dazu, was überwacht werden darf.

Können Staatstrojaner standardmäßig mehr als erlaubt?

Wenn nun weitere Staatstrojaner auftauchen, die standardmäßig mehr überwachen als sie dürfen, ist die Einzelfall-Erklärung nicht mehr haltbar. Wie Ermittler und Späh-Lieferanten zusammenarbeiten, ist bisher nicht aufgeklärt. In einer nicht öffentlichen Sitzung des Innenausschusses hieß es nach Informationen von SPIEGEL ONLINE lediglich, dass die Bundesbehörden keinen Einblick in den Quellcode der von ihnen eingesetzten Trojaner hätten. Der bayerische Fall sei nicht eigens erörtert worden.

Der Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Günter Heiß, sagte vor einer Woche den "Stuttgarter Nachrichten", die Landeskriminalämter würden "multifunktionale Rohlinge" bei einschlägigen Anbietern einkaufen. Diese Rohlinge hätten weit mehr Fähigkeiten als rechtlich zugelassen. "Jedes Spähprogramm wird dem System angepasst, welches die Behörden penetrieren wollen", sagte Heiß. "Es gibt also nicht diesen einen Trojaner, der immer zum Einsatz kommt, alles kann und deshalb rechtswidrig ist."

Eine Anfrage dazu, auf welche Ermittlungsbehörden sich diese Aussagen beziehen, beantwortet das Bundeskanzleramt so: "Den Ausführungen von Herrn Heiß gibt es nichts hinzuzufügen."

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