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30 Jahre Chaos Computer Club: Nerds mit Bärten

Foto: Werner Baum/ picture-alliance / dpa

SPIEGEL-Buch "Nerd Attack" Der CCC und wie die Linken das Netz verschliefen

Ein PC im Büro? Für Grünen-Abgeordnete einst eine furchterregende Vorstellung. Deutschlands Linke verabscheuten Rechner und Netze viele Jahre lang zutiefst. Nur der Chaos Computer Club begann vor 30 Jahren, für eine sozial-digitale Zukunft zu werben - bis er fast unterging.

Dieser Text ist ein stark gekürzter und bearbeiteter Auszug aus Christian Stöckers Buch " Nerd Attack  - eine Geschichte der digitalen Welt vom C64 bis zu Twitter und Facebook".

Eines Tages im Jahr 1985 brachte ein junger Mitarbeiter der Grünen seinen PC mit ins Bonner Fraktionsbüro. Viele grüne Bundestagsabgeordnete waren schockiert. Nach einer heftigen Debatte zwang die Fraktion den jungen Mann, das Gerät wieder mit nach Hause zu nehmen - man befürchtete eine "arbeitsplatzzersetzende Wirkung".

Während in Kalifornien der Geist der Hippies und die Leidenschaft der Hacker fürs Basteln und Programmieren längst eine fruchtbare Verbindung eingegangen waren, pflegten weite Teile der deutschen linksalternativen Szene damals eine grundsätzliche Abneigung gegen den digitalen Fortschritt. Computer galten den Achtundsechzigern als Unterdrückungs- und Herrschaftsinstrumente. Man verband sie mit Rasterfahndung, Volkszählung, Überwachung und technokratischer Kontrolle.

Die Konservativen begegneten digitaler Technologie ihrerseits mit einer Art wohlwollender Nichtachtung. Computer waren "Büromaschinen", auf einer Stufe mit Lochern und Kopiergeräten. Als die digitale Technik in den Neunzigern schließlich ihre transformative Wucht zu entfalten begann, war es zu spät: Die deutsche Politik hatte die wichtigste Technologie des 21. Jahrhunderts verschlafen.

"Vernetzte soziale Bewegungen rütteln am System"

Bis heute tun sich Rechte wie Linke schwer damit, die digitale Revolution in ihr Welt- und Gesellschaftsbild einzupassen. Vielleicht auch, weil dem Thema hierzulande lange schlicht die richtige Lobby fehlte. Bis zum Jahr 2010 dauerte es, bis man in Berlin Beratungsbedarf erkannte. Dann erklärte der damalige Innenminister Thomas de Maizière das Internet in einer programmatischen Rede zum Normalfall: "Die Zeit des Staunens ist vorbei." Gleich drei Ministerien setzten "Dialogveranstaltungen" an, in denen sich die Regierenden erklären lassen wollen, wie man denn nun umgehen soll mit dem Netz. Der Bundestag berief eine Enquete-Kommission zum Thema "Internet und digitale Gesellschaft" ein - fast 20 Jahre nach der Geburt des World Wide Web. Immerhin: An Lobbyisten mangelt es inzwischen nicht mehr.

Damals jedoch, Anfang der Achtziger, forderte einzig eine junge Hackervereinigung namens Chaos Computer Club ( CCC ), gegründet am 12. September 1981 in den Redaktionsräumen der "tageszeitung", die "Wiederaneignung der Technik". CCC-Mitgründer Wau Holland predigte: "Die sozialen Bewegungen, die sich vernetzen, rütteln am System", und nahm damit die digital organisierten Globalisierungskritiker der Gegenwart vorweg. Doch Deutschlands Linke waren noch längst nicht so weit. Zwar gab es seit Mitte der Achtziger linke "Mailboxen", elektronische schwarze Bretter und Diskussionsforen, genutzt von Mitgliedern der Friedensbewegung, Anti-Atomkraft-Gruppen oder Amnesty International. Doch öffentliche Aufmerksamkeit erreichten diese Anstrengungen kaum.

Deutschlands linke Netzwerker wollten beim Internet nicht mitmachen

1994 hatte das sogenannte CL-Netz, ein Zusammenschluss linker Mailboxen, in ganz Europa geschätzte 20.000 Teilnehmer. Das Internet nutzten damals bereits Millionen. 1996 entschied sich das CL-Netz-Kollektiv, sich vom Internet "abzugrenzen" und "auf eigene Strukturen" zu setzen. Das Netz, das in den USA so rasant wuchs, fand man zu kommerziell. So wurde Europas größtes linkes Netzwerk innerhalb weniger Jahre obsolet.

Im Vergleich zu den Alternativen im Bundestag aber waren die Mitglieder dieser linken Digitalszene ihrer Zeit weit voraus. Noch in der zweiten Hälfte der Achtziger weigerten sich die Grünen, ihre Büros mit vernetzten Rechnern ausstatten zu lassen. Der CCC hatte ihnen in einem eigens bestellten Gutachten dringend empfohlen, sich diese Technologie anzueignen, doch die missionarischen Hacker stießen auf eine ideologische Barriere. "Wenn die Grünen diese von unten kommende Entwicklung ideologisch ignorieren oder verbieten, blockieren sie gleichzeitig die Chance einer praktischen Entwicklung alternativer Nutzungsformen", mahnten die Autoren vom CCC - vergeblich.

Helmut Kohls Regierung blieb es überlassen, die Zukunft vorzubereiten

Als die CCC-Studie der Bundestagsfraktion der Grünen vorgestellt wurde, verließen die ersten Abgeordneten schon nach Minuten entnervt den Saal. Deutschlands Alternative blieben die einzigen Volksvertreter, die keine ISDN-vernetzten Rechner bekamen. Der schwarz-gelben Regierung unter Helmut Kohl fiel es zu, die Weichen für die digitale Zukunft zu stellen. Auch sie aber tat so gut wie nichts - außer 1986 ein Anti-Hacker-Gesetz zu verabschieden, das den Einbruch in Computersysteme und Datendiebstahl unter Strafe stellte.

Wie die Hippies sich mit den Hackern verbündeten und das Netz retteten

In den USA dagegen hatte die Protestbewegung das Potential der neuen Technik früh erkannt. Stewart Brand, Hippie-Vordenker und der Herausgeber des legendären "Whole Earth Catalog", schrieb später: "Vergesst die Antikriegsdemonstrationen, Woodstock, sogar die langen Haare. Das wahre Erbe der Generation der Sechziger ist die Computerrevolution."

Unter den Mitgliedern des "Homebrew Computer Club" etwa, gegründet im Silicon Valley im Jahr 1975, dominierten wilde Frisuren und originelle Bärte. Zu ihnen zählten spätere Stars der neuen Branche, etwa die Apple-Gründer Steve Wozniak und Steve Jobs. Der Verein wurde zum Vorbild für den deutschen CCC. Rund um dessen charismatisch-chaotischen Gründer Holland versammelten sich nun auch hier erstmals Menschen, die eine Begeisterung für digitale Technologie mit politischem Bewusstsein verbanden.

135.000 Mark erhackt, am nächsten Tag zurückgegeben

Anfänglich feierte der Club Public-Relations-Erfolge. Die Hacker um Holland überlisteten beispielsweise das ungeliebte Bildschirmtext-System der deutschen Post (BTX) und überwiesen 135.000 D-Mark aufs eigene Konto - nur um das erhackte Geld umgehend und demonstrativ wieder zurückzugeben.

Dann jedoch kam heraus, dass eine kleine Truppe von Hannoveraner Hackern in westlichen Großrechnern Raubzüge veranstaltet und die Beute an den sowjetischen Geheimdienst verkauft hatte - für insgesamt etwa 90.000 D-Mark. Der Prozess gegen die "KGB-Hacker" ließ die Stimmung kippen. Die anfängliche Sympathie wich einem tiefen Misstrauen gegenüber "Computerfreaks". Die führenden Köpfe des CCC waren plötzlich zerstritten, Holland zog sich zurück. Deutschlands digitale Bürgerrechtler waren vorerst weitgehend handlungsunfähig.

Demonstrative Akte der Informationsbefreiung, Jahre vor WikiLeaks

Fast zur gleichen Zeit ging auch in den USA der Staat zum ersten Mal massiv gegen Hacker vor. Ihnen wurde - fälschlicherweise - vorgeworfen, einen teilweisen Zusammenbruch des Telefonnetzes verursacht zu haben, einer hatte vermeintlich geheime Dokumente eines Telekom-Riesen entwendet und veröffentlicht, ein anderer illegal Software aus dem Hause Apple in Umlauf gebracht. Staat und Konzerne interpretierten diese demonstrativen Akte der Informationsbefreiung - viele Jahre vor WikiLeaks - als direkten Angriff.

Die Folge waren Hausdurchsuchungen und Verhaftungen. Secret-Service-Agenten traten Türen ein und hielten unbescholtenen Bürgern Waffen unter die Nase. Jugendzimmer wurden durchsucht, Computer beschlagnahmt. Verwirrte und verzweifelte Eltern blieben ohne Erklärung - und meist ohne Telefon - zurück.

Auch John Perry Barlow, Althippie, "Grateful Dead"-Songtexter, ehemaliger Rinderfarmer und zu diesem Zeitpunkt bereits bekannter Protagonist des frühen amerikanischen Cyberspace bekam Besuch vom FBI, von einem eigentlich auf Viehdiebstahl spezialisierten Agenten. Barlow bekam Angst. Der Staat schien sich plötzlich in die Belange jener Pioniere einmischen zu wollen, die den Cyberspace zu ihrer neuen Heimat gemacht hatten, und zwar bar jeder Kenntnis des Terrains. In einem Text namens "Verbrechen und Verwirrung" brachte Barlow seine Begegnung mit dem ahnungslosen FBI-Mann auf eine kurze Formel: "Kafka im Clownskostüm".

Die wichtigste Bürgerrechtslobby der digitalen Welt

Den Artikel las auch Mitch Kapor, Software-Millionär mit einem Faible für Meditation und progressive Rock. Im Juni 1990 gründeten der Hippie und der Reiche eine Stiftung zur Verteidigung digitaler Bürgerrechte. Innerhalb weniger Monate sammelte die Electronic Frontier Foundation (EFF) Hunderttausende Dollar Spenden von den IT-Millionären aus Kapors Bekanntenkreis ein, darunter auch Apple-Mitgründer Steve Wozniak. Bis heute ist sie die wichtigste Bürgerrechtslobby der digitalen Welt.

Schon 1993 hatte Kapors Wort in Washington so viel Gewicht, dass er gemeinsam mit dem damaligen Vizepräsidenten Al Gore eine Strategie für die digitale Zukunft entwerfen durfte. Das Internet sollte für jedermann zugänglich sein, seine Mechanismen offen und öffentlich bleiben, jeder sollte einen Knotenpunkt im globalen Netz schaffen können - Ideen, die auch Wau Holland stets gepredigt hatte. Kapor aber setzte seine Vorstellungen durch, trotz des Widerstands etwa der US-amerikanischen Kabelnetzbetreiber, die gerne jeden Haushalt mit Settop-Boxen für Fernseher ausgestattet hätten, über die man auf ihr Internet hätte zugreifen können - so wie es die Post mit BTX versucht hatte.

Deutschlands Herrschende übten sich weiterhin in freundlicher Ignoranz. Bundeskanzler Helmut Kohl antwortete 1994 einem TV-Reporter auf eine Frage nach der Bedeutung der "Datenautobahn", Deutschland sei "ein föderal gegliedertes Land, und Autobahnen sind elementar - auch mit Recht - in der Oberhoheit der Länder". Das lässt an Barlows "Kafka im Clownskostüm" denken.

Heute haben in Berlin haben zwar alle Abgeordneten vernetzte Computer, viele aber noch immer ein gespanntes Verhältnis zur digitalen Welt. Der CDU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl etwa kommentierte den Massenmord von Oslo und Utøya mit den Worten, diese Tat sei "im Internet geboren" worden, um anschließend die prophylaktische Überwachung digitaler Kommunikation zu fordern. Die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ist derzeit mal wieder das Lieblingsthema der Unionsparteien. Immerhin: Die Grünen widersprechen da inzwischen.

Der Chaos Computer Club hat sich 30 Jahre nach seiner Gründung vom Schlag des "KGB-Hacks" längst erholt. Seine führenden Mitglieder beraten Bundestag, Parteien und das Verfassungsgericht, sie schreiben Bücher und Kolumnen. Aber ihre Arbeit ist noch lange nicht getan.

Dieser Text ist ein stark gekürzter Auszug aus Christian Stöckers "Nerd Attack! Eine Geschichte der digitalen Welt vom C64 bis zu Twitter und Facebook" - Ein SPIEGEL-Buch. DVA; 320 Seiten; 14,99 Euro.
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