Spott über Gaddafi Der nasse Tyrann tanzt

Mann mit Schirm: Muammar al-Gaddafi bei einem Kurzauftritt zu Beginn des Aufstands
Foto: REUTERS/ Libya TVEs ist ein absurder, aber mitreißenden Dancefloor-Hit: DJ Noi Alusch hat die bizarre "Zenga Zenga"-Litanei von Muammar al-Gaddafi mit einem Tanzflächen-Stampfer des Rappers Pitbull verrührt. Wenn man so will, ist es ein Glücksfall, dass Alusch Israeli ist. Das verleiht der Nummer zusätzlich Schärfe. Es bietet Reibungsfläche für Anti-Israel-Fanatiker und nicht minder fanatische Israelis - und Gelegenheit für alle anderen zu zeigen, dass sich die Prioritäten der Menschen in den vergangenen Monaten verschoben haben: Alte Frontstellungen verlieren an Bedeutung, wenn es um höhere Ziele geht wie das Abwerfen von Fesseln.
"Wäre es nicht schön", schrieb ein arabischer YouTube-Nutzer als Kommentar unter das Video, "wenn wir alle nach Gaddafis Sturz zu Deinem Lied auf den Straßen von Tripolis tanzen würden?"
Und ein anderer: "Ich habe gesehen, wie die Israelis gegen ihre Regierung protestierten wegen der Angriffe auf den Libanon 2006. Ich hasse die Israelis nicht, nur ihre Regierung, aber mehr noch hasse ich die Hisbollah in MEINEM Land, die mit ihren dummen Aktionen Leid über die Leute bringt."
Der eigentliche Feind, gegen den sich immer mehr Menschen in Nordafrika und im Nahen Osten wenden, sitzt eben oft im eigenen Land, und das ganz weit oben. Der arabische Aufstand ist bisher durch und durch emanzipatorisch, es ist ein Aufbegehren gegen Herrschaftsformen, die aus der Zeit gefallen sind. Autokratisches Regieren ist schwer geworden in einer Welt, in der die Straße überall eine weltweit hörbare Stimme bekommen hat.
Und jetzt eben auch eine spöttische, unverschämt realsatirische Hymne: Zenga-Zenga, das bei YouTube inzwischen in Dutzenden Variationen und Re-Re-Mixes kursiert, ist wahrlich auf dem Weg, zum Gassenhauer des arabischen Aufstandes zu werden. "Zenga" heißt ja auch Gasse - und die, hatte Gaddafi der Welt beibrüllen wollen, werde er "Haus für Haus" wieder erobern.
Das Web lacht darüber, während zugleich in Libyens Städten Menschen sterben. Doch es sind libysche Oppositionelle, die am lautesten lachen. Ihr Spott gegen den Tyrannen steht in einer uralten Tradition: Hohn war schon immer ein scharfes Schwert gegen Herrscher, deren Macht sich auf Angst und strenge Autorität gründet. Ausgelacht, nicht ernst genommen zu werden bedeutet, an Macht zu verlieren. Gegen einen Verlachten begehrt man eher auf, als gegen einen Gefürchteten - selbst wenn der Verspottete nicht davor zurückschreckt, die eigenen Bürger zu bombardieren. Im Web lachen Gaddafis Gegner trotzdem, so laut sie können.
Wie die Reaktionen auf Gaddafis Zenga-Rede in Kreisen seiner Gegner derweil wirklich aussahen, ist auf folgendem Video zu sehen:
Das Werfen von Sitzkissen, vor allem aber Schuhen ist im kulturellen Kontext ein Ausdruck der Verachtung - also die traditionelle Version von dem, was zurzeit im Web mit digitalen Mitteln ausgedrückt werden soll.
Auf den folgenden Seiten hat SPIEGEL ONLINE einige der zurzeit populärsten Beispiele für den Web-Protest gegen Libyens Despoten zusammengestellt.
Kokain ist schon Käse
Neben dem Zenga-Zenga-Song gibt es eine ganze Reihe von musikalischen Spötteleien, die wir in Deutschland aus den bekannten Gründen aber nicht zu sehen bekommen: Der fortdauernde Lizenzstreit zwischen einigen großen Musikunternehmen und YouTube verhindert das.
Zu den vermeintlichen Duett-Partnerinnen Gaddafis gehören unter anderem Shakira ("Waka Waka") und natürlich Rihanna (genau: mit "Umbrella"), wobei die Verspottung hier vor allem im kulturellen Kontext zu verstehen ist.
Das obige Beispiel zeigt, dass die Spott-Kampagne gegen Gaddafi natürlich nicht auf den arabischen Kulturraum beschränkt ist - und die Kritik sich durchaus nicht auf den Herrscher allein konzentriert. Solche - und auch deutlich schärfere - Anklagen in Richtung westlicher Nationen, die lange Zeit mit Gaddafi paktiert haben, finden sich ebenfalls zuhauf.
Typisch Youtube - lauter kleine Gaddafis
Die Webvideo-typischste Reaktion auf das Weltgeschehen ist auch im aktuellen Fall wieder das Selfmade-Video aus Nutzerkreisen. Gaddafi selbst hat mit seinen Auftritten dafür gesorgt, dass die Videomacher gar nicht tief in die Ideenkiste greifen mussten, um dem Gewaltherrscher den Narrenspiegel vorzuhalten: Manchmal reicht es, seine Auftritte einfach nachzuspielen. Das ist Realsatire im besten Sinne.
Das ist lustig und erst beim zweiten Nachdenken gespenstisch. Noch makaberer fallen aber Satiren auf Gaddafi aus, die sich an einem anderen seiner Auftritte festmachen - da kann einem schon einmal das Lachen im Halse steckenbleiben.
Killing in the rain
Denn der berüchtigte Regenschirm-Auftritt, mit dem Gaddafi beweisen wollte, dass er zum Höhepunkt der Proteste in Tripolis noch vor Ort sei, lieferte eine Steilvorlage, die sich Web-Scherzbolde nicht entgehen ließen. Man fragt sich: Ist das noch Satire, noch Analyse, oder nur noch zutiefst bittere Anklage? "I am killing my people in the rain" - tiefer kann ein Regent nicht sinken.
Verfremden, verspotten, parodieren
Längst machen auch professionelle Produktionsfirmen mit. Moga Comedy ist ein beliebtes Format, und auch hier scheuen sich die Macher nicht vor einer eindeutigen Kommentierung. Das ist sehenswert: Es reicht schon eine kleine Tonspur mit Hintergrundgeräuschen, um dem aberwitzig-bedrohlichen Auftritt jeden Schrecken zu nehmen.
Andere bedienen sich im Repertoire überdrehter amerikanischer Zeichentrickserien. Wenig überraschend verhilft das vor allem den "Looney Tunes" (etwa: "Bekloppte Melodien", bei uns als Schweinchen Dick, Bugs Bunny etc. gelaufen) zu einer unverhofften politischen Karriere. Eine ätzende Kritik auch gegen die, die lange mit Gaddafi kooperierten.
Renn, Gaddafi, renn!
Aber nicht alles kommt so locker-flockig und spöttisch daher. Viele der Web-Spots in arabischer Sprache fallen erheblich bitterer aus. Hier ein Beispiel, wie deutlich die Macher dabei werden (ein Klick auf das kleine "CC"-Symbol in der Bedienleiste des Videos blendet englische Untertitel ein):
Grund genug, die Kritik mit Tipps an Gaddafi zu verbinden, was er stattdessen tun sollte. Es finden sich Web-Videos, die ihn mit einer Axt im Kopf zeigen und andere nur noch halb humorige, eher martialische Beiträge. Einer der von Medien derzeit mit Vorliebe vertriebenen ist halb Wunschdenken, halb Beobachtung der Entwicklung im internationalen Kontext: Zumindest bei YouTube haben westliche Nationen die Jagd auf Gaddafi schon aufgenommen.
Doch wir wären nicht im Web, wenn es am Ende nicht der Eine richten würde, der es immer richtet. Unbesiegbar, seit Jahren ein Internet-Mem, wie es Gaddafi gerade erst wird: der übermenschliche Serienheld Chuck Norris.