
Transmediale 2014 in Berlin: Kunst gegen Überwachung
Transmediale 2014 Die Vermessung der Datenberge
Das Telefon vibriert, eine neue SMS: "Willkommen im neuen NSA-Partnernetz", schreibt jemand von der Telefonnummer 1337. Zwei Hacker haben auf dem Kunstfestival Transmediale in Berlin eine Antenne aufgestellt und eine eigene Funkzelle eingerichtet. Kommen Besucher in die Nähe, verbinden sich ihre Handys automatisch und unbemerkt mit dem neuen Netz.
Polizei und Geheimdienste nutzen diese Technik heimlich. Mit solchen IMSI-Catchern lassen sich Telefonnummern herausfinden, der Aufenthaltsort von Personen feststellen und die Kommunikation unbemerkt überwachen. Die Hacker Danja Vasiliev und Julian Oliver machen hingegen mit einer SMS auf ihre Handynetz-Entführung aufmerksam.
So kommen die Besucher der Transmediale ins Gespräch: Sie zeigen fragend ihre Handys herum und lassen sich erklären, woher die mysteriöse Nachricht kommt. Zu sehen, wie das eigene Telefon gekidnapped wird, ist unheimlicher, als von Massenüberwachung und NSA-Affäre nur zu lesen.
Kunst gegen den Überwachungsstaat
Die digitale Revolution ist vorbei, heißt es im Festivalprogramm, die Träume von der vernetzten, besseren Welt sind geplatzt. Stattdessen wachen wir auf in Bergen aus Elektro- und Datenschrott, vollüberwacht durch Konzerne und Geheimdienste. Das ist der "Afterglow", das Nachglühen also, das die Künstler zeigen wollen, das Motto der diesjährigen Transmediale.
Ein bisschen ähnelt die Transmediale einer Hacker-Konferenz. Am Donnerstagabend erklärte Trevor Paglen, wie er mit Teleskopen Spionagesatelliten nachspürt, Geheimdienstbasen und Drohnen fotografiert. Darüber hat er auch schon auf dem Jahreskongress des Chaos Computer Clubs gesprochen. Der aus den USA stammende Künstler späht zurück, beobachtet eine geheime Welt, von der eigentlich niemand wissen soll.
Netz-Aktivist Jacob Appelbaum zeigte das Bild eines USB-Kabels, in dem die NSA unauffällig Spionagetechnik versteckt, Codename Cottonmouth. "Ganz alltägliche Gegenstände werden zu Waffen, Geräte wenden sich gegen ihre Nutzer", sagte Appelbaum. Es helfe, vorsorglich paranoid zu sein: "Das ist die Welt, in der wir jetzt leben, und daran können wir so schnell nichts ändern."
"Da landen alle unsere E-Mails"
Ähnlich deprimiert äußerte sich die Filmemacherin Laura Poitras, der sich NSA-Whistleblower Edward Snowden anvertraut hat. Poitras dokumentiert die Folgen des "War on Terror". In einem ihrer Filme zeigt sie, wie die Leiche eines in Guantanamo gestorbenen Häftlings zurück nach Jemen überführt wird. Außerdem dokumentiert sie eine Baustelle in Utah, wo die NSA ein neues Rechenzentrum baut: "Da landen alle unsere E-Mails."
Ohne Daten bleibt nur Schrott. Sebastian Schmieg und Johannes P. Osterhoff haben sich bei Google die Reste von ausrangierten Festplatten besorgt. Mehrere Kilogramm kleingeschreddertes Metall liegen nun ausgebreitet im Haus der Kulturen der Welt, ausgeschüttet aus einem Paket mit Google-Klebeband.
Osterhoff findet es nur konsequent, dass die Transmediale dieses Jahr ein düsterer Ort ist: "Wenn man sich mehr mit Technik befasst, selbst programmiert, stellen sich automatisch politische Fragen." Mit Smartphones trage jeder praktisch ein Überwachungsgerät in der Hosentasche. "Jetzt wird über unsere Freiheit entschieden, wenn wir uns jetzt nicht einmischen, wann dann?" Betrachte man die Technik nüchtern und nicht als großes Heilsversprechen, müsse man sich vom "Afterglow" auch nicht herunterziehen lassen.
Den Hackern wurde mit der Polizei gedroht
Das fällt allerdings schwer. Am Samstag zeigten Sufeng Song und Didi Kirsten Tatlow, wie Feministen in China mit Protestnoten auf nackten Körpern und Performance-Kunst für Frauenrechte kämpfen. Trotz aller Repressionen, denen die Künstler ausgesetzt sind, konnte zunächst der Eindruck entstehen: Trotz des denkbar schlechten politischen Klimas in China ist nicht alle Hoffnung verloren.
Dann spielten sie ein Video des chinesischen Künstlers Ai Weiwei ein, der betrübt erklärte, die jungen Leute in seinem Land würden ihn kaum kennen. Die Internet-Zensur verhindert, dass Informationen über ihn und seine Arbeit einfach abrufbar sind, das sei frustrierend: der politische Künstler, vom Staat unterdrückt.
"Wie fühlst du dich heute?" fragt die Transmediale ihre Besucher. Es ist eine Anspielung auf Computer-Assistenten, die uns nicht mehr von der Seite weichen. Und es spielt an auf das langsame Erwachen: Dass die Technik in eine Gesellschaft totaler Kontrolle führen kann. Die Hacker wissen das schon lange. Nun wollen die Künstler dabei helfen, dass es auch alle anderen verstehen.
Das angebliche NSA-Funknetz war so eine Idee - bis es abgeschaltet wurde. Für das Betreiben der Anlage mitten im Regierungsviertel fehlte den beiden Hackern eine Genehmigung. Ihnen sei mit der Polizei gedroht worden, schreiben sie , bedanken sich aber beim Transmediale-Direktor für seine Unterstützung. Es sei notwendig für die Debatte in der Gesellschaft, mit Kunst Grenzen zu überschreiten, schreiben Vasiliev und Oliver. "Manchmal heißt das, dass man Risiken eingehen muss."