Umstrittenes Gesetz Bundestag beschließt Sperrlisten für Kinderpornografie

Der Deutsche Bundestag hat mit den Stimmen von CDU und SPD das umstrittene Gesetz zur Zugangserschwerung zu Kinderpornografie im Internet genehmigt. Vertreter der Opposition warnten vor "Risiken und Nebenwirkungen", Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht sollen in Kürze eingebracht werden.

In Deutschland dürfen bald Internet-Seiten mit kinderpornografischem Inhalt gezielt gesperrt werden. Ein entsprechendes Gesetz beschloss der Bundestag am Donnerstagabend mit den Stimmen der Großen Koalition. In namentlicher Abstimmung votierten 389 Abgeordnete für das bis zuletzt umstrittene Gesetz. 128 Parlamentarier stimmten dagegen, 18 enthielten sich.

Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU), die Initiatorin des Gesetzes, war der Debatte und Abstimmung ferngeblieben. Sie begrüßte die Entscheidung für das Gesetz als "wichtiges gesellschaftliches Signal".

Umstritten war und ist das Gesetz vor allem deshalb, weil seine Wirksamkeit angezweifelt wird, während zugleich Freiheitsrechte beschnitten werden: So soll das Bundeskriminalamt in Eigenregie geheime Sperrlisten erstellen, die von den Providern bindend umzusetzen sind. Als Kontrollgremium wurde kurzfristig eine Instanz eingezogen, die einmal im Quartal stichprobenhaft die Korrektheit der umfangreichen Listen überwachen soll. Das geht Kritikern nicht weit genug.

Grundsatzstreit

In der Debatte vor der Abstimmung brachten Vertreter der im Bundestag vertretenen Parteien noch einmal ihre Standpunkte vor. Während der medienpolitische Sprecher der SPD, Martin Dörmann, den Spagat zwischen Strafverfolgung und Wahrung von Freiheitsrechten im Zugangserschwerungsgesetz für gelungen erklärte, widersprach ihm anschließend sein Vorgänger und scheidender Fraktionskollege, Jörg Tauss. Schon die von Familienministerin Ursula von der Leyen initiierten Providerverträge seien "durch Nötigung zustande gekommen".

Tauss, der in der Fraktion weitgehend isoliert ist, seit Staatsanwälte gegen ihn wegen des Verdachts auf Kinderpornografie ermitteln, war einer von drei SPD-Abweichlern. Im Vorfeld hatte es Proteste unter anderem vom hessischen SPD-Landesvorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel gegeben. In der Abstimmung wahrte die SPD dann die Fraktionsdisziplin und stimmte für das umstrittene Gesetz. Wie viele der 18 Enthaltungen auf SPD-Abgeordnete entfallen, ist noch nicht bekannt.

Geschlossen zeigte sich dagegen die Opposition im Bundestag. Die Fraktionen von Grünen, FDP und Linke stimmten gegen das Gesetz.

Der FDP-Abgeordnete Max Stadler bezeichnete das Gesetz als "nicht nur nutzlos", es berühre auch Freiheitsrechte und habe "Risiken und Nebenwirkungen, vor denen man nur warnen könne". Mit den Inhalten des Zugangserschwerungsgesetzes werde sich das Bundesverfassungsgericht befassen, so wie auch mit seinem Zustandekommen "durch einen Verfahrenstrick". Denn das nun vorgelegte Gesetz sei ein anderes, als das, was der Bundestag in erster Lesung beraten habe.

Stadler bestätigte aus Sicht seiner Partei die Befürchtungen vieler Sperrlisten-Gegner, die beim BKA geplante Infrastruktur zur Sperrung von Internetseiten könne in Zukunft auf andere inhaltliche Bereiche ausgeweitet werden. Stadler: "Das ist der Einstieg in die Internet-Zensur." Bisher sei noch jedes Gesetz, das Einschnitte in die Freiheitsrechte mit sich brachte, im weiteren Verlauf ausgeweitet worden - "von der Maut bis zu heimlichen Online-Untersuchungen".

Fundamental fiel die Kritik der Linken aus. Der Abgeordnete Jörg Wunderlich befand, das Gesetz habe "mit Rechtsstaat nichts zu tun". Mit dem quartalsmäßig Stichproben der BKA-Listen kontrollierenden Gremium solle "richterliche Kontrolle vorgetäuscht werden". Da es für seinen gedachten Zweck, die Bekämpfung der Kinderpornografie, "völlig ungeeignet" sei, zog Wunderlich für die Linke den Schluss: "Dieses Gesetz ist Placebo".

Nachdem die CDU-Internetexpertin Martina Krogmann den Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar öffentlich getadelt hatte, weil dieser sich dagegen verwehrt hatte, für die Zusammenstellung des BKA-Aufsichtsgremiums in die Pflicht genommen zu werden, stärkten Vertreter der Opposition Schaar den Rücken. Die Wahrnehmung solcher "polizeilichen Aufgaben" (Stadler) sei dem Bundesdatenschutzbeauftragten "wesensfremd". Schaar würde als Datenschützer zum Beteiligten an datenschutzrechtlich bedenklichen Aufgaben.

Die gesellschaftliche Debatte über das Thema, das beschlossene Gesetz und seine "Risiken und Nebenwirkungen" dürften damit kaum beendet sein. In ihren morgigen Ausgaben kommen deutsche Tageszeitungen zu völlig unterschiedlichen Schlüssen. So kommentiert die "Eßlinger Zeitung": "Die Schaffung einer Filtermöglichkeit bedeutet einen Dammbruch. Schon gibt es Forderungen, auch den Zugriff auf Foren zu sperren, in denen junge Mädchen sich über Magersucht austauschen. Bald wird die Musikindustrie auf den Plan treten und fordern, die Filter im Kampf gegen Raubkopierer einzusetzen. Und auch die Versuchung könnte wachsen, politisch unliebsame Inhalte auszublenden. Das neue Gesetz droht, die Informationsfreiheit zu untergraben."

Mehr Vertrauen in die guten Absichten des Gesetzgebers hat die "tageszeitung": "Internetsperren können in der jetzt beschlossenen Form kaum für andere Zwecke missbraucht werden. Ein unabhängiges Kontrollgremium wird einschreiten, wenn das BKA andere Inhalte als Kinderpornografie auf die Sperrliste setzt. Betroffene Webseiten-Betreiber werden klagen, wenn legale Angebote gesperrt und interessierte Surfer auf eine Stoppseite umgeleitet werden. Außerdem enthält das gestern beschlossene Gesetz ein ausdrückliches Verbot, die Sperrtechnik für zivilrechtliche Ansprüche, etwa von Musik- und Filmindustrie, einzusetzen. Dank der massiven Kritik wurden also viele Schlupflöcher gestopft."

Nebenwirkungen: PR-Problem für die SPD

Ein Nachspiel könnte das Gesetzgebungsverfahren offenbar für die SPD haben. Ihr Online-Beirat hatte schon im Vorfeld angekündigt, seine Arbeit einstellen zu wollen und nicht für die SPD im Wahlkampf zur Verfügung zu stehen, sollte die Partei dem Gesetz zustimmen. Eine Gruppe junger Bundestagskandidaten hatte kurz vor der Abstimmung in einem offenen Brief an die Bundestagsfraktion noch einmal gedrängt, dem Gesetz eine Absage zu erteilen.

In dem von dreizehn SPD-Kandidaten um das Präsidiumsmitglied Björn Böhning unterzeichneten Schreiben hatte es wörtlich geheißen: "Wer dagegen heute aus der SPD für diesen Gesetzentwurf stimmt, entscheidet sich gegen seine Online-Gefolgschaft. Selbst dann, wenn Eure Zustimmung aus der Sorge heraus geschieht, nicht als Fürsprecher für strafbare Inhalte verunglimpft werden zu wollen, so tauscht ihr damit die begrenzte Gefahr einer negativen BILD-Schlagzeile mit der unbegrenzten Gefahr des Verlustes der Glaubwürdigkeit bei einer ganzen Generation."

Inzwischen bietet sich die Piratenpartei als Auffangbecken für frustrierte junge SPD-Mitglieder an. Die Piraten haben für Samstag zu einer Demonstration vor dem Willy-Brandt-Haus aufgerufen, bei der SPD-Mitgliedsausweise gegen solche der Piratenpartei getauscht werden sollen.

Derweil erneuerte der medienpolitische Sprecher der SPD, Martin Dörmann, sein Gesprächsangebot an den AK Zensur, der den Dialog mit der SPD nach der Einigung innerhalb der Koalition abgebrochen hatte. Dörmann: "Wir möchten (…) noch einmal betonen, dass wir auch für die Zukunft auf einen Dialog mit Ihnen und der Internet-Community setzen. Die sicherlich sehr schwierigen Themen, die mit dem Medium Internet und seiner rechtlichen Gestaltung zusammenhängen, lassen sich aus unserer Sicht nur durch Argumente, Information, Dialog und eine angemessene Abwägung unterschiedlicher Interessen und Positionen lösen.

Franziska Heine, die Initiatorin der Online-Petition gegen das Sperrlisten-Gesetz hat mittlerweile eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt.


Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels wurde der Chef der hessischen SPD, Thorsten Schäfer-Gümbel, irrtümlich als Thomas Schäfer-Gümbel bezeichnet. Jörg Tauss wurde als einziger SPD-Abweichler bezeichnet, es haben aber drei Mitglieder der SPD-Fraktion gegen das Gesetz gestimmt. Wir bitten unsere Leser, die Fehler zu entschuldigen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten