Unterdrückung in China Web-Wut gegen die Willkür

Der aktuelle Fall ist typisch für eine Obrigkeit, die es gewohnt ist, in die Privatsphäre ihrer Bürger einzudringen, für einen Staat, der alles kontrollieren will. Die chinesischen Behörden haben der Pornografie den Kampf erklärt - und erachten es für notwendig, dafür auch die SMS von Privatleuten zu sichten. Wer SMS-Texte mit "ungesundem" Inhalt versende, verkündeten die Regierungen einiger ausgewählter Regionen, riskiere fortan, dass sein Handy blockiert wird. Ertappte müssen sich auf der Polizeiwache melden und darum bitten, dass das Gerät wieder freigeschaltet wird.
Doch der Versuch, im Privatleben der rund 600 Millionen Nutzer von Mobiltelefonen zu spionieren, provoziert in Internetforen und Blogs unerwartet sarkastische Reaktionen. Schlüpfrige Texte gefährdeten nicht die "Staatssicherheit", höhnt ein Blogger, es gebe also keinen Grund, die " Freiheit der Kommunikation" einzuschränken.
Die Bürger wollen sich Arroganz, Machtmissbrauch und Willkür der Funktionäre nicht länger gefallen lassen. Selbstbewusst wagen sie den Widerstand. Wie der populäre Rennfahrer und Schriftsteller Han Han beispielsweise. Er kündigte im Internet an, aus Protest so lange obszöne SMS zu verschicken, bis seine Karte gesperrt werde. Damit tue er allen Landsleuten, die nicht wissen, was mit "obszön" gemeint ist, einen Gefallen: Er werde die Worte veröffentlichen, die den Kontrolleuren nicht gepasst haben.
"Entwische der Katze"
Vor allem die Polizei bekommt das erwachte Selbstbewusstsein zu spüren. Immer öfter beschweren sich die Bürger etwa über die gängige Praxis, Geständnisse durch zu erzwingen oder Mitgefangene auf Verdächtige zu hetzen, um sie zu zermürben. So erging es Li Qiaoming, den Polizisten beim illegalen Holzhacken erwischt hatten. Kaum saß er in Untersuchungshaft, verprügelten ihn die Zellengenossen, wenige Stunden später war er tot. Seinen entsetzten Verwandten erklärten die Wachleute, Li habe mit seinen Mitgefangenen Verstecken gespielt - was auf Chinesisch "Entwische der Katze" genannt wird. Dabei sei er heftig mit dem Kopf gegen die Wand geprallt.
Eine von den örtlichen Behörden eingesetzte Untersuchungskommission bestätigte die Version der Polizei - und Chinas Bürger wurden wütend. "Entwische der Katze" ist seither ein geflügeltes Wort und Synonym für Gewalt in Arrestzellen. Rechtsexperten verlangten öffentlich, der Polizei die Aufsicht über Häftlinge zu entziehen. Die angesehene Finanzzeitschrift "Caijing" nutzte die Gelegenheit, politische Reformen zu fordern. Das Vertrauen der Gesellschaft könnten die Behörden nur zurückgewinnen, wenn die Justiz unabhängig werde, schrieb das Blatt.
Druck der Medien auf die Machthaber
Die Kommunistische Partei, nicht gerade bekannt für große Toleranz gegenüber Kritikern, duldet die Bürgerschelte. Sie erlaubt der Bevölkerung, Dampf abzulassen, solange sich die Unzufriedenen nicht organisieren und keine gemeinsamen Aktionen planen, die ihre Macht in Frage stellen könnten.
Doch Chinas Medien enttarnen die allgegenwärtige Willkür der Polizei. Es sind Beispiele wie die des Shanghaier Berufsfahrers Sun Zhongjie, die die Gemüter erregen. Der 19-Jährige nahm im Oktober vergangenen Jahres auf dem Weg zum Supermarkt einen nur spärlich bekleideten Mann mit. Kurz darauf stoppten Polizisten Suns Wagen. Er habe sich als illegaler Taxifahrer verdingt, lautete ihr Vorwurf. Das Lieferauto würde er nur gegen ein Bußgeld von 10.000 Yuan, umgerechnet rund 1000 Euro, zurückerhalten. Sun schnitt sich zu Hause die Fingerkuppe ab - als Beweis dafür, dass er unschuldig sei: Er habe den Mann aus reinem Mitleid mitgenommen und nicht, um sich zusätzliches Geld zu verdienen, beteuerte er.
Die Medien stellten sich nahezu geschlossen hinter den jungen Mann, sein Passagier wurde als von der Polizei gedungener Lockvogel entlarvt. "Wer bricht da wohl das Gesetz?" fragte der TV-Sender CCTV 2. Sun musste schließlich keine Strafe zahlen. Wenn der Zorn hochkocht, geben die Behörden schon mal nach.
Empörung über die Selbstherrlichkeit der Funktionäre
Da die KP über die Justiz regiert, kann sie schnell und populistisch handeln. Dies erfuhr auch die Kellnerin Deng Yujiao aus der Provinz Hubei. Die 21-Jährige hatte einen Funktionär in einem Badehaus offenbar in Notwehr erstochen, als er sie sexuell bedrängte. Als Deng wegen Mordes angeklagt werden sollte und ihr sogar ein Todesurteil drohte, füllten empörte Kommentare über die Selbstherrlichkeit von Funktionären Zeitungen, Diskussionsforen und Blogs.
Der Aufschrei war so laut, dass die Partei beschloss, ein wenig Gnade könne ihrer Macht nicht schaden, aber die Volksseele beruhigen. Ein Wink an Staatsanwälte und Richter genügte - nach kurzem Prozess war Deng wieder frei.