US-Gesetzesinitiative Obamas Notfall-Ausschalter fürs Internet

Draufhauen, abschalten: Soll Obama im Fall der Cyber-Krise die Netze kappen können?
Foto: TISCHER Fahrzeugbau"Third time lucky" sagt man im Englischen, was man mit "Erfolgreich im dritten Anlauf" übersetzen kann: Nicht nur der unabhängige US-Senator Joe Lieberman hofft zurzeit darauf, dass der Spruch auf seine neueste Gesetzesinitiative passt. Bereits zum dritten Mal in dieser Legislaturperiode liegt dem US-Senat mit dem " Protecting Cyberspace as a National Asset Act " (PCNAA) ein Gesetzentwurf vor, der Barack Obama - und den US-Sicherheitsbehörden - weitreichende Kontrolle über Amerikas Netz- und Telekommunikationsinfrastruktur geben soll.
Dem Präsidenten wird darin die Möglichkeit gegeben, eine Art Cyber-Notstand zu erklären. Neu ist der Gedanke nicht: Zweimal scheiterte das Vorhaben bereits.
Denn ob der US-Präsident, das Pentagon oder Geheimdienste so viel Macht über die Kommunikationsflüsse bekommen sollen, ist quer durch die US-Parteien und die Gesellschaft hochumstritten. Das Für und Wider lässt sich in zwei Kernpunkten zusammenfassen:
- Unstrittig ist, dass die Bedrohung durch kriminelle und irgendwann möglicherweise kriegerische Hack-Attacken steigt, die USA darauf schlecht vorbereitet sind und eine zentralere Struktur nötig ist, um wirklich große Angriffe rechtzeitig erkennen und adäquat darauf reagieren zu können.
- Strittig ist, was für Befugnisse genau vergeben werden und inwieweit die Behörden bereits präventiv beobachten, kontrollieren oder sogar eingreifen sollen.
Die einen fürchten um die Sicherheit der Netze, heute gleichbedeutend mit der Handlungsfähigkeit von Staat und Wirtschaft. Die anderen fürchten um die Freiheit, befürchten einen Trend zum Überwachungsstaat. Zwischen diesen beiden Polen spielt sich die Diskussion immer ab, wenn es um den Fluss von Daten und Informationen geht. Die Gretchenfrage also: Wie viel Freiheit darf man einschränken, um sie zu schützen?
Warnungen vor dem GAU
Es ist ein haariger Deal, der da ansteht, und entsprechend hitzig ist die Debatte. Die Befürworter greifen dafür ins Klischeekästchen des absoluten GAU, setzen auf Angst statt Argumente: "Wir können es uns nicht leisten", sagte etwa Senator Jay Rockefeller, Verfasser einer ähnlichen, im Sommer 2009 gescheiterten Gesetzesvorlage, "auf ein Cyber-9/11 zu warten, bis unsere Regierung begreift, wie wichtig der Schutz unserer Cyber-Ressourcen ist."
Die katastrophalen Terroranschläge von 2001 als Argument für mehr Einfluss auf die Kommunikationswege? Das ist nicht als Appell an die Obama-Regierung gedacht, sondern soll der öffentlichen Meinung den rechten Drall geben: Es sind scharfe, unnötige Töne, denn die Obama-Administration wird man zu dieser Party kaum tragen müssen. Immer wieder, bemängelte etwa "Wired", fielen regierungsnahe Ex-Geheimdienstler damit auf, dass sie in der Öffentlichkeit die Angst vor immanenten Cyber-Attacken schürten - als reine Panikmache, um Bereitschaft für mehr Kontrolle zu schaffen.
Mitunter könnte man diesen Eindruck wirklich bekommen. Die nun auch im Senat wieder aufbrechende Debatte wird seit Monaten von verschiedensten Seiten vorbereitet. Nicht nur NSA-Chef Keith Alexander, seit Mai offiziell Amerikas oberster Cyber-Wächter und damit Sieger in einem Gerangel der Geheimdienste NSA und Homeland Security über die Kontrolle der Netze, trommelt seit mehr als einem Jahr vehement für die Schaffung staatlich-zentraler Strukturen zur Erkennung, Erfassung und Bekämpfung sogenannter Cyber-War-Attacken. Auch Industrievertreter wie zuletzt Microsofts Sicherheitsexperte Scott Charney sekundieren ihm da letztlich: In Wirtschaft wie Politik herrscht Konsens darüber, dass man vor allem Art, Qualität, Urheberschaft und Stoßrichtung von Datenattacken viel besser erfassen muss als bisher.
Nichts hat das so deutlich gemacht wie die sogenannten Google-Hacks, in deren Verlauf zum Jahresende 2009 zahlreiche US-Unternehmen virtuell attackiert und ausgeforscht wurden - offenbar ein breit angelegter Fall von Netz-basierter Wirtschaftsspionage. Selbst Google, von vielen Skeptikern als der vermeintlich weltweit größter Datenkrake apostrophiert, war gegen die Attacken so wehrlos, dass das Unternehmen öffentlich die NSA um Hilfe bat.
Der Fall hat weltweit den Druck zur Schaffung von Abwehrstrukturen erhöht. Denn neben den Unternehmen waren auch politische Ziele betroffen - vorwiegend Personen oder Organisationen, die zu den Gegnern des chinesischen Regimes gezählt werden. Schnell wurde so aus der Google-Attacke ein chinesischer Cyber-Angriff.
Keiner kann sagen, wer da ballert, wenn es kracht
Den bestreitet China bis heute - ob zu Recht oder nicht, weiß niemand genau. Denn tatsächlich sind kriminelle von kriegerischen Angriffen in den Datennetzen kaum zu unterscheiden. Wenn also US-Unternehmen attackiert werden, sind die Reaktionen darauf schnell so reflexhaft wie bei Angriffen auf lettische Webserver, südkoreanische Blogger oder israelische Firmen: Oft viel zu schnell steht der Vorwurf der staatlich sanktionierten Attacke im Raum, vergiftet das politische Klima, verschärft Krisen - gemessen an den normalen diplomatischen Gepflogenheiten viel zu oft.
Doch natürlich dürften viele solcher Attacken tatsächlich staatlich sanktioniert sein - es fehlt nur an den Methoden und Strukturen, das auch zu beweisen. Die NSA selbst beteiligte sich über Jahrzehnte an Wirtschaftsspionageaktionen sogar gegen Bündnispartner, um etwa US-Luftfahrtunternehmen Vorteile gegenüber Konkurrenten aus der EU zu verschaffen. Doch was ist was, wenn gerade wieder ein Angriff läuft? Soll man mit normalen Cybersecurity-Maßnahmen reagieren oder mit diplomatischen Protesten, Eingriffen in die Netz-Infrastrukturen und vielleicht gar mit aggressiven Gegenmaßnahmen?
Auch um solche Fragen geht es in der PCNAA-Bill, die darum bereits bei der Prävention ansetzt: Ein Frühwarnsystem will sie schaffen, das sich zum Teil auf einen proaktiven, ungehinderten Informationsfluss von Privatunternehmen zu staatlichen Überwachern stützt. Schmackhaft gemacht wird der Plan den Unternehmen damit, dass die Teilnahme am Monitoring-System mit weitreichenden Haftungsfreisprüchen verbunden ist - der Staat haftet stattdessen für potentielle Klagen von in ihren Rechten beschnittenen Kunden. Schon das empört US-Bürgerrechtler, erst recht aber, wenn die PCNAA-Bill einfordert, dass etwa die Homeland Security den Absicherungsstatus privatwirtschaftlicher Netzinfrastrukturen als eine Art Daten-TÜV kontrolliert und überwacht.
Dieser TÜV soll National Center for Cybersecurity and Communications (NCCC) heißen und wäre den Firmen gegenüber weisungsbefugt: Im Extremfall könnte das NCCC einer Telefonfirma wegen Nichteinhaltung der Datensicherheitsstandards den Stecker ziehen. Das einzige, wovor die PCNAA-Bill zurückschreckt, ist der erneute Versuch, eine generelle Vorratsdatenspeicherung und Telekommunikationsüberwachung zu verordnen - nicht zuletzt daran waren die beiden ersten Gesetzentwürfe vom März und August 2009 gescheitert.
Deren Verfasser haben sich nun hinter Liebermans PCNAA-Bill gestellt, die von Beobachtern als eine Art Synthese aus den beiden zuvor gescheiterten Entwürfen gesehen wird - sie ist ein Vermittlungsvorschlag, der bei beiden Parteiblöcken im Senat auf Beifall stoßen könnte. US-Medien sehen den Gesetzentwurf jedenfalls schon auf der "Schnellstraße" zur Umsetzung: Am 15. Juni wird Lieberman den Antrag in den Heimatschutz-Ausschuss des Senats einbringen, am 23. Juni soll das Gremium seine Diskussion darüber beendet haben, wenn es nach Lieberman geht. Den Abnicker des Entwurfs durch das Fachkomitee erhofft sich Lieberman noch vor der Sommerpause ab 4. Juli.
Dann hätte vor allem eine Branche Zeit, sich über die Sommermonate auf einen bisher ungeahnten Nachfrageboom vorzubereiten: Die IT-Security-Firmen - denn Netzwerksicherheit würde mit der PCNAA zu einer sanktionsbehafteten gesetzlichen Verpflichtung.