US-Militär Tod durch Multitasking

US-Drohne MQ-1 Predator: Was, wenn der virtuelle Pilot nicht ganz bei der Sache ist?
Foto: DPAFebruar 2010, eine Airforce-Base im US-Bundesstaat Nevada: Ein Drohnen-Steuermann und sein Team beobachten eine Menschenansammlung in Afghanistan. Sind es feindliche Kräfte? Oder Zivilisten? Die Mannschaft wertet die Bilder aus, der Stress nimmt zu. Der Mann und sein Team stehen unter kommunikativem Feuer: Neben der Evaluierung der Videobilder arbeiten sie eine Fülle von Instant-Messenger-Nachrichten, Funksprüchen und Anrufen ab - von Vorgesetzten, von Bodentruppen vor Ort, angeblich auch private Nachrichten, möglicherweise sogar von ihren Kindern.
Gleichzeitig treffen sie ihre Entscheidung. Nach bisherigem Kenntnisstand ist es eine Fehleinschätzung, die 23 Zivilisten ihr Leben kostete. Der Fall wird noch untersucht und könnte zu einem Militärgerichtsverfahren führen.
Inzwischen beginnen die US-Streitkräfte, die potentiell tödlichen Nebenwirkungen ihres selbstverursachten Information Overload zu erfassen. Seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 und den darauf folgenden Konflikten in Afghanistan und Irak, berichtet die "New York Times" in einem bemerkenswerten Artikel zum Thema , sei allein die Datenfülle, die durch elektronische Spähtechnik in jedem Augenblick zusammengetragen wird, um 1600 Prozent gestiegen. Parallel dazu wachse mit der immer besseren kommunikativen Vernetzung auch das Kommunikationsaufkommen.
Das Problem dabei: Ausgewertet werden muss diese Datenfülle am Ende von Menschen, die darauf basierend Entscheidungen zu treffen haben, die Menschenleben kosten können. Und dabei, berichtet die "Times", könne es zu fatalen Fehleinschätzungen kommen.
Studien: Junge Multitasker sind nicht besser
Die Drohnen-Crew im Kommunikationsgewitter gehört wohl zu den krassesten Beispielen für ein Phänomen, das den US-Strategen zunehmend Kopfschmerzen bereitet: Die schädlichen Nebenwirkungen der aus militärischer Sicht segensreichen Informationsflut und der wachsenden Multitasking-Mentalität einer mit Digitalmedien sozialisierten Soldatengeneration. Anders als erhofft zeigt die sich zwar zunehmend Multitasking-bereit, aber nicht unbedingt besser als frühere Generationen in der Verarbeitung solcher Informationsfüllen.
Was im Auftrag der US-Militärs tätige Forscher zu dem Thema beizutragen haben, stimmt nicht unbedingt optimistisch. In mehreren Studienprogrammen versucht das US-Militär zurzeit, den Effekten und Konsequenzen des Multitasking beizukommen. Zum einen stelle man dabei fest, dass heutige Soldaten durchaus in der Lage seien, verschiedene, sich eigentlich widersprechende Aufgaben zeitgleich zu erledigen. Zum anderen gelinge das aber nur in Maßen: Mit Digitalmedien sozialisierte, an Multitasking gewöhnte Soldaten zeigten auch eine eingeschränkte Fähigkeit zur Konzentration auf das Wesentliche. Sie sprängen zwischen Aufgaben und Kommunikationen hin und her, statt Priorisierungen vorzunehmen und sich inmitten des Kommunikationschaos auf bestimmte Informationsflüsse zu konzentrieren.
Manche der Experten gehen davon aus, dass jüngere Soldaten gerade deshalb mehr Probleme mit dem Information Overload hätten, weil sie von klein auf daran gewöhnt gewesen seien, ihre Aufmerksamkeit ständig neu auf andere Dinge zu fokussieren. Ihr Aufmerksamkeitsverhalten sei sprunghaft, zugleich zeigten Hirnstrom-Messungen, dass ihre Überforderung durch zu viel Information nicht kleiner sei als bei älteren Semestern. In klinischen Tests sähen kommunikativ überforderte Soldaten mitunter Ziele und Gefahren nicht, die sie direkt vor der Nase hätten.
In einem Trainingsprogramm auf Hawai erprobt das US-Militär nun Methoden, jungen Soldaten die konzentrierte Fokussierung auf Einzelreize beizubringen - autogenes Training lässt grüßen. Die US-Marines haben inzwischen einen Auftrag erteilt, die anfänglich akademische Studie in ein Trainigsprogramm zu überführen, das in die Marines-Ausbildung einfließen soll.
30 Kommunikationspartner zugleich - und Entscheidungen über Menschenleben

Drohnen-Leitstand: Hochstress-Job im Kommunikationsgewitter
Foto: Getty ImagesDenn einem Information Overload sind nicht nur hoch spezialisierte Drohnen-Crews ausgesetzt - die US-Streitkräfte gelten als die hochtechnisierteste, am besten vernetzte Armee der Welt. Die lebt zudem seit Jahren mit einer Situation, in der Soldaten in Konfliktsituationen oft über etliche Monate von ihren Familien getrennt leben - auch das ein Faktor, der sowohl Stress, als auch das Kommunikationsaufkommen weiter erhöht.
Das Problem dabei: Das Pentagon hat inzwischen begriffen, dass es noch mehr Stress verursachen würde, diesen Teil des kommunikativen Overloads einzuschränken. Für viele Soldaten sind Twitter, Instant Messager, Facebook und Co. das Mittel der Wahl, Kontakt zu ihren Angehörigen zu halten.
Inzwischen hat eine eigens dafür im Sommer 2009 eingerichtete Pentagon-Abteilung Regeln für die Nutzung dieser Kommunikationskanäle erarbeitet, berichtet "Wired". Diese enthalten bindende Vorschriften, in welchen Kontexten das private Instant-Messenger-Fenster aufgehen darf (in Freizeit und nur über nicht klassifizierte Netzwerke) und in welchen nicht (während man versucht einzuschätzen, ob 23 Personen am Boden Taliban oder Zivilisten sind).
Kein Social-Net-Verbot
Die Rolle digitaler Sozialer Netzwerke zur Aufrechterhaltung realer sozialer Netze wird offenbar inzwischen als so wichtig gesehen, dass selbst die Datenweitergabe durch einen US-Soldaten an die Enthüllungsplattform WikiLeaks hier nicht zu einem Kommunikationsverbot führte - der skandalträchtige Vorgang beschleunigte möglicherweise aber die Ausformulierung klarer Regeln für den Internet-Kommunikationsverkehr. Eine Vermischung privater und dienstlicher Kommunikation ist dabei nicht vorgesehen.
Wie solche dienstlichen Kommunikations- und Arbeitssituationen im Extremfall aussehen können, berichtet die "Times", die sich unter anderem in einer hoch geheimen militärischen Beobachtungs-Koordinierungsstelle in Langley umschauen durfte. Junge Soldaten werten da zeitgleich die Bilder von zehn per Monitor eingespielten Beobachtungsdrohnen aus, während sie zugleich in Instant-Messenger-Verbindung mit bis zu 30 Kommunikationspartnern - Leitständen, Truppen vor Ort, Vorgesetzten - stehen, per Funk mit einer Flugzeugbesatzung und per Telefon am anderen Ohr mit einem Vorgesetzten. Zwölf Stunden dauere so eine Schicht, berichtet die "Times", danach "tut das Gehirn weh", berichtet einer der Soldaten.