Verfassungsbeschwerde Blogger kämpft fürs Laienprivileg

Nürburgring-Website 20832.com: Unterlassungserklärung führt zu Verfassungsbeschwerde
Hamburg - Mike Frison ahnte nichts von der Gefahr, die auf seiner Website schlummerte. Der Blogger und Forenbetreiber hat mit 20832.com eine Plattform für Fans des Nürburgrings geschaffen. Als er im Januar 2011 eine Abmahnung erhielt, war er zunächst ratlos: Er sollte einen Artikel aus einer lokalen Zeitung aus seinem "N-Forum" entfernen. Ein Nürburgring-Manager, über den in dem Artikel kritisch berichtet wurde, hatte kurz nach Erscheinen des Artikels eine einstweilige Verfügung gegen die Zeitung erwirkt, weil der Zeitungstext falsche Tatsachenbehauptungen enthielt. Nun verlangte der Anwalt des Managers von Frison, den Text zu löschen und eine strafbewehrte Unterlassungserklärung zu unterschreiben.
"Ich musste den Text selbst erst mal suchen", erinnert sich Frison, der schließlich den bereits eineinhalb Jahre alten Eintrag fand und aus dem Netz nahm. Die Unterlassungserklärung lehnte er ab. Einige Tage danach flatterte ihm eine einstweilige Verfügung in den Briefkasten. "Da war ich dann richtig geschockt", sagt Frison. Ihm wurde verboten, verschiedene Behauptungen "zu verbreiten", "verbreiten zu lassen" oder auch nur einen bestimmten "Eindruck zu verbreiten". Und das bei Androhung eines Ordnungsgelds von bis zu 250.000 Euro oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten.
"Das war eine Riesen-Bedrohung"
Auch wenn das nur die theoretischen Höchststrafen sind, wurden besonders die letzten beiden Formulierungen zum unkalkulierbaren Risiko. Verbreiten zu lassen heißt im Klartext: Wenn irgendein ein Nutzer die beanstandeten Behauptungen im Forum schreibt, besteht die Gefahr, dass Frison als Betreiber den Kopf hinhalten muss . Und wann bereits ein Eindruck erweckt wird, ist äußerst dehnbar. Frison: "Das war eine Riesen-Bedrohung."
Der heute 46-Jährige machte sein Forum erst einmal dicht und wehrte sich - doch vor dem Landgericht Köln scheiterte er ganz, vor dem Oberlandesgericht Köln teilweise . Um die einstweilige Verfügung zu kippen, musste Frison eine Unterlassungserklärung abgeben. Die ist enger gefasst und auch nicht mehr strafbewehrt. Der Rechtsstreit schien erledigt, bis der Kostenbescheid kam: Das OLG brummte Frison den Großteil auf, rund 10.000 Euro. Frisons Anwälte Dieter Frey und Matthias Rudolph haben deshalb Verfassungsbeschwerde eingereicht.
Frison will sich nicht einschüchtern lassen. "Ich hätte den Text auch rausgenommen, wenn mich einfach einer angerufen hätte", sagt Frison, "ich bin ja nicht auf einem Feldzug unterwegs". Die Gegenseite aber offenbar schon. Denn obwohl der eineinhalb Jahre alte Text in den Tiefen des Archivs verborgen lag und umgehend entfernt wurde, setzte sie gerichtlich nach. Beabsichtigt war der Ärger für den Blogger aber laut Nürburgring-Management nicht. In einer Erklärung hieß es: "Dass Herr Frison sein Nürburgring-Forum schließt, war niemals unsere Absicht und ist zudem auch unnötig. Wir stehen für Meinungsfreiheit und eine offene und freie Dialogkultur."
Blogger mit Klagen zu überziehen ist ein beliebtes Drohinstrument. Für Aufsehen in der Szene sorgte etwa die Auseinandersetzung zwischen dem Sportjournalisten Jens Weinreich und DFB-Präsident Theo Zwanziger. Der Blogger und Journalist Hardy Prothmann stellte jüngst seine Idee für einen Verein vor , um Blogger und freie Journalisten gegen den "Abmahnwahn" mit überzogenen Streitwerten und daraus folgenden Anwaltskosten zu helfen.
Journalisten haben Privilegien, aber auch Pflichten
Wenn die Karlsruher Richter die Beschwerde annehmen, wird die Posse um das Forum zur Grundsatzfrage. Denn dahinter steht die Problematik, wo die Grenzen zwischen Bloggern und Journalisten liegen. Wer nicht berufsmäßig publiziert, darf sich ohne eigene Prüfung auf Informationen aus Presseberichten verlassen - anders als etwa Journalisten, die von den Landesmediengesetzen zur Sorgfalt verpflichtet werden.
Das Landgericht Köln lehnte dieses sogenannte Laienprivileg für Frison noch ab.
Begründung: Er "schafft durch die von ihm betriebene Web-Seite eine auf Dauer angelegte mediale Öffentlichkeit." Als Betreiber des Forums könne er sich daher nicht auf das Laienprivileg berufen, "unabhängig davon, ob er sich dieser Tätigkeit hauptberuflich oder in seiner Freizeit widmet."
Wer Journalist ist und wer Laie, ist schwammig geregelt. Das Laienprivileg ist nicht gesetzlich festgeschrieben, sondern wurde vom Bundesverfassungsgericht selbst in seiner Rechtsprechung entwickelt. Reicht es aus, dass eine Plattform auf Dauer ausgelegt ist, um das Laienprivileg zu verlieren? Oder muss sich der Betreiber auch noch berufsmäßig damit befassen, zumindest nebenberuflich? Was nach einer Detailfrage für Juristen klingt, wird erhebliche Konsequenzen haben.
Journalisten haben neben der Sorgfaltspflicht auch spezielle Rechte - ein Zeugnisverweigerungsrecht zum Beispiel, Auskunftsrecht bei Behörden, das Redaktionsgeheimnis schützt sie vor Durchsuchung und Beschlagnahme. Laien können sich darauf nicht berufen.
Die Crux dabei ist, dass längst nicht alle Blogger sich auf das Laienprivileg berufen wollen, sondern lieber nach journalistischen Regeln arbeiten. In Berliner Kreisen ist zu hören, dass diese Fragen auch die bereits eingesetzte, aber noch nicht gestartete Projektgruppe "Kultur, Medien, Öffentlichkeit" der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" bald beschäftigen werden. Und womöglich auch das Verfassungsgericht.