Vorratsdatenspeicherung Wie Bayern den Geheimdienst doch an die Daten lassen will

Justizminister Maas (Archivbild): Neue Debatte über sein VDS-Gesetz
Foto: MORRIS MAC MATZEN/ REUTERSEiner der strittigsten Punkte bei der Vorratsdatenspeicherung (VDS) ist die Frage, wer Zugriff auf die sensiblen Informationen hat. Bundesjustizminister Heiko Maas verteidigte sein kontroverses Gesetz auch mit dem Argument, dass der Inlandsgeheimdienst keinen Zugang zu den Daten haben werde. Der SPD-Politiker, der sich selbst vom Gegner zum Befürworter der VDS wandelte, wollte damit Bedenken zerstreuen.
Doch ähnlich deutlich wie Maas einst den Zugriff des Verfassungsschutzes ausschloss, will Bayern dem eigenen Verfassungsschutz jetzt den direkten Zugang zu den Daten gewähren.
Das Kabinett in München hat ein neues Verfassungsschutzgesetz beschlossen, das dem Dienst ermöglicht, die gespeicherten Informationen anzuzapfen. Bei der VDS wird unter anderem gespeichert, wer mit wem, wann, wie lange und von wo aus kommuniziert hat.
Die Informationen sollen vor allem Polizei und Staatsanwaltschaften bei der Verfolgung schwerer Straftaten helfen. Doch mit dem Versuchsballon aus Bayern bekommt die Debatte um den Zugriff der Dienste neue Fahrt.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) erklärte am Dienstag: "Es kann nicht sein, dass unsere Nachrichtendienste weniger wissen als Polizei und Strafverfolgungsbehörden." Er verwies auf die islamistische Bedrohung und die Anschläge von Paris.
"Das erste Bundesland mit VDS für den Verfassungsschutz"
Interessant ist, wie Hermann den Vorstoß rechtfertigte: Er sei der Ansicht, "dass die vom Bundestag beschlossenen gesetzlichen Grundlagen diese Möglichkeit jetzt auch für den Verfassungsschutz eröffnen". Der CSU-Politiker ließ kaum Zweifel daran, dass das Ganze auch ein politisches Manöver ist. "Bayern ist daher das erste Bundesland, das die Vorratsdatenspeicherung für den Verfassungsschutz einführt. Wir setzen damit ein klares politisches Signal und fordern, dass auch der Bund und die anderen Länder diesem Beispiel folgen."
Ein Seitenhieb auf Maas. Als der im Frühjahr einmal zum Thema gefragt wurde , sagte er: "Der Verfassungsschutz, das Verfassungsschutzamt ist in dem Gesetz nicht vorgesehen für einen Zugriff nach den Regeln, die wir in diesem Gesetz vorschlagen werden." Der Zusatz "Verfassungsschutzamt" ist wichtig, schließlich gibt es nur ein Bundesamt, aber daneben noch die 16 Landesämter für Verfassungsschutz.
Der Beschluss aus Bayern nimmt keinen Bezug auf die neuen Paragrafen aus Maas' Gesetz, sondern auf den alten, weiter bestehenden Teil des nun ergänzten Paragrafen 113 im Telekommunikationsgesetz. Dort werden bei den Auskunftspflichten neben Strafverfolgungsbehörden auch explizit "die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, der Militärische Abschirmdienst und der Bundesnachrichtendienst" genannt.
In Maas' neuen Paragraphen ist hingegen beim Zugriff auf die Daten nur von Strafverfolgungsbehörden und "Gefahrenabwehrbehörden der Länder" die Rede, nicht von den Verfassungsschutzämtern.
Verfassungsschützer unzufrieden
Maas' Ministerium will auf Anfrage den Vorstoß aus Bayern nicht kommentieren. Kritik an Unklarheiten im Gesetz hatte es wiederholt gegeben, auch aus Reihen des Ministeriums sowie wie in der Stellungnahme der EU-Kommission.
"Der Vorstoß aus Bayern zeigt, dass wir endlich klare rechtliche Vorgaben für die Geheimdienste im Digitalen brauchen", sagt Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz gegenüber SPIEGEL ONLINE. "Die Erfahrungen im NSA-Ausschuss zeigen, wie problematisch es ist, wenn Geheimdienste Zugriff auf hochsensible Kommunikationsdaten haben."
Der Bundestag hatte trotz scharfer Kritik von Opposition und Datenschützern im Oktober eine Wiedereinführung der VDS beschlossen - Telekommunikationsanbieter sollen die IP-Adressen von Computern und Verbindungsdaten zu Telefongesprächen zehn Wochen lang aufbewahren. Standortdaten von Handy-Gesprächen sollen für vier Wochen gespeichert werden. Den Abruf der Informationen muss ein Richter der Polizei erlauben. Noch ist das Gesetz nicht in Kraft.
Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern sind mit dem Gesetz nicht zufrieden - sie fürchten, kaum noch Bewegungsprofile erstellen zu können, weil sie nicht mehr an genügend Kommunikationsdaten kommen. "Viel interessanter als die Frage, was gesprochen wurde, ist für uns häufig die Information, wer wann mit wem gesprochen hat und wo er zu dem Zeitpunkt war", sagte ein Nachrichtendienstler vor einiger Zeit SPIEGEL ONLINE. Die gesetzliche Aufgabe des Verfassungsschutzes würde dadurch erheblich erschwert, so der Beamte.
"Gesetz muss nachgebessert werden"
Im Unterschied zu Polizeibehörden, die erst nach Straftaten aktiv werden dürfen, sollen die Inlandsnachrichtendienste in Deutschland verfassungsfeindliche Bestrebungen und Strukturen im Vorfeld von Verbrechen erkennen. Dazu dürfen sie unter anderem V-Leute einsetzen, Observationen durchführen, Telefone und E-Mails überwachen. Über das Abhören entscheidet aber in jedem Einzelfall die sogenannte G-10-Kommission des jeweiligen Parlaments. "Gerade um Beziehungen zwischen Extremisten zu erkennen, sind Kommunikationsdaten für uns ausgesprochen wichtig", sagt ein Verfassungsschützer.
Im Verfassungsschutzgesetz des Bundes ist etwa geregelt, dass der Dienst derartige Daten abfragen darf. Dazu zählen auch IP-Adressen. "Die betroffene Person ist über die Beauskunftung zu benachrichtigen", heißt es in Paragraf 8d. Das Gesetz bleibt von Maas' neuer Vorratsdatenregelung unberührt.
Derweil nutzen VDS-Gegner den bayerischen Vorstoß für neue Kritik am Justizminister. Maas' Amtsvorgängerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger forderte, Maas müsse das Gesetz jetzt nachbessern. "Das Mindeste ist, dass im Gesetz klar gestellt wird, dass keine Geheimdienste Zugriff auf die Verkehrsdaten bekommen", sagte sie SPIEGEL ONLINE. Die FDP-Politikerin hat angekündigt, Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz einzulegen. Ihre Erfolgsaussichten dabei würden "durch eine solche Praxis aus den Ländern größer", sagt sie.