Worldcoin Start-up belohnt Iris-Scans mit Kryptogeld

Iris-Scan für Worldcoin: In einigen Ländern ist die Firma schon aktiv
Foto: WorldcoinDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Zeig mir dein Auge, dann gibt es Geld: Ein Start-up namens Worldcoin hat in einigen Ländern auf der Welt damit begonnen, seine gleichnamige Kryptowährung an Freiwillige auszugeben. Die Bedingung: Wer Worldcoin haben möchte, muss im Auftrag des Unternehmens seine Iris scannen lassen. Das soll verhindern, dass jemand seine virtuelle Brieftasche auf dem Smartphone ein zweites Mal mit kostenlosen Anteilen gefüllt bekommt.
Die kopfgroßen Scanner des Unternehmens sehen aus wie verchromte Todessterne aus »Star Wars«: Mit einer Kamera filmen die sogenannten Orbs die Augen von Neukundinnen und Neukunden, erstellen einen Hashwert und legen den Zahlencode mit einer Identifikationsnummer in eine Datenbank. Will jemand sein Willkommensgeld ein zweites Mal abholen, ergibt der Iris-Scan den gleichen Hashwert zuvor, so die Logik dahinter – und die Überweisung wird abgelehnt.
Namen und andere Merkmale der Gescannten werden nach Angaben von Worldcoin nicht gespeichert. Ebenso soll es nicht möglich sein, von den Werten aus der Datenbank zurück auf die jeweilige Iris zu schließen.
Worldcoin will mit dem Projekt eine »globale Währung schaffen, die fair an so viele Menschen wie möglich verteilt wird«, so das Werbeversprechen. Doch dafür müssen die Gründer erst einmal eine große Hürde überwinden: Worldcoin, das sich der Technologie von Ethereum bedient, muss ins Gespräch kommen, muss auffallen auf dem hart umkämpften Markt des Kryptogelds.
Knapp 7000 verschiedene Digitalwährungen gibt es mittlerweile . Aber, das ist die Chance für Worldcoin: Seine Idee mit den Iris-Scans rund um den Globus klingt dystopisch und originell-überambitioniert zugleich, sodass sich das Vorhaben dieser Tage über viele Presse-Erwähnungen wie diese hier freuen kann. Gut möglich natürlich, dass Worldcoin am Ende trotzdem krachend scheitert, wie viele andere Digitalwährungsprojekte zuvor.
25 Millionen Dollar von Investoren
Maximal zehn Milliarden Coins will Worldcoin insgesamt erstellen. Davon sollen 80 Prozent an die Nutzerinnen und Nutzer gehen. Der Rest ist für die Programmierung und die Orb-Produktion vorgesehen, sowie für Investoren, die schon jetzt 25 Millionen Dollar in das Start-up gepumpt haben. Was ein Coin umgerechnet in Dollar jemals wert sein wird, ist bislang völlig unklar.
Einer der Gründer des Start-ups ist Sam Altman, der unter anderem die KI-Forschungsplattform OpenAI leitet. Dem Magazin »Wired« sagt Altman, dass Worldcoin »der Welt einen neuen Weg aufzeigen könnte, über das bedingungslose Grundeinkommen nachzudenken«.
Das klingt nach einer ehrbaren Idee. Doch sonderlich dogmatisch will Worldcoin der Idee eines Grundeinkommens, bei dem allen die gleiche Summe ausgezahlt wird, nicht folgen. Das Unternehmen setzt lieber auf Marketingtricks: Wer sein Auge früh scannen lässt, soll zum Beispiel mehr Münzen bekommen. Der Startbetrag sinkt mit steigender Nutzerzahl. Eine Milliarde Nutzer will Worldcoin langfristig anwerben.
100.000 Augen haben die Orbs bereits gescannt, heißt es vom Unternehmen – zugleich aber auch, dass derzeit gerade einmal 30 Kugelscanner in Frankreich, Kenia, Indonesien, Sudan und Chile im Einsatz seien. In den USA soll erst dann gescannt werden, wenn »mehr Klarheit über die gesetzlichen Rahmenbedingungen herrscht«, sagte Mitgründer Alex Blania »Techcrunch« .
IT-Experte erkennt mögliche Betrugsszenarien
Jörn Müller-Quade vom Karlsruher Institut für Technologie hält den Ansatz des Kryptoexperiments für »gut durchdacht«. »Worldcoin ist wohl der Versuch, eine Art Weltbürgergeld an alle zu verteilen, ohne dass jemand doppelt kassiert«, sagt der Informatikprofessor dem SPIEGEL. Man müsse sich jedoch auf die Angaben der Entwickler verlassen, dass in den Kugeln ein Geheimnis steckt, das wirklich keiner kennt – damit niemand aus den errechneten Hashwerten zurück auf die Iris schließen kann.
Aus Sicht von Müller-Quade bleibt aber auch dann noch unklar, wie umgekehrt verhindert werden soll, dass jemand einen Hashwert etwa aus einem Iris-Foto errechnet. »In der Theorie sind die Kugeln angreifbar, damit wäre es möglich einer Iris eine ID zuzuordnen«, sagt Müller-Quade. So könnte man »überprüfen, ob meine Nachbarn das Geldgeschenk schon abgeholt haben«. Ist dies nicht der Fall, könne man versuchen, den Scanner etwa mit Kontaktlinsen zu täuschen, die mit einer gefälschten Iris des Nachbarn bedruckt sind, so Müller-Quade.
Biometrie-Skeptiker sollen nicht abgeschreckt werden
»Die Iris ist ja kein biometrisches Geheimnis«, sagt der IT-Experte. »Ich zeige meine Iris jeden Tag ganz offen.« Außerdem gibt Müller-Quade zu bedenken, dass es auch möglich wäre, »mit gefälschten Iris-Bildern Geld zu drucken«: indem man mit einem Fake-Auge in den Scanner schaut, das es so auch kein zweites Mal auf der Welt gibt.
Solche Tricks werden durch Worldcoins bisheriges Vorgehen zumindest ausgebremst: Momentan werden die Orbs noch gar nicht in die Hände Interessierter gegeben. Alle Scans werden von Personen durchgeführt, die von der Firma dafür beauftragt wurden.
Sobald man sein Kryptogeld erhalten hat, bringt der Iris-Scan mit einem Orb übrigens nichts mehr. Das schlagzeilenträchtige Gadget hilft zum Beispiel auch nicht dabei, seine virtuelle Geldbörse zu entschlüsseln.
Auf der Website des Unternehmens ist sogar beschrieben, dass man auch problemlos ohne Iris-Scan eine virtuelle Worldcoin-Geldbörse einrichten und mit der Währung handeln kann. Damit sollen wohl auch Kryptofans von Worldcoin überzeugt werden, die einen Augen-Scan doch etwas gruselig finden.