Speedruns in Computerspielen Stunden trainieren, um Sekunden zu sparen

Für manche Spieler ist es die größte Herausforderung, ein Game möglichst fix zu Ende zu bringen. Dabei zählt jede Sekunde. Ein Meister dieser Disziplin erklärt, was ihn an Express-Spielen fasziniert.
Screenshot aus »Tomb Raider«

Screenshot aus »Tomb Raider«

Foto: Square Enix

Für die ersten zehn Minuten des 2013 erschienen Spiels »Tomb Raider« hat Joey Boekholt etwa zehn Stunden gebraucht. Er kam über die anfänglichen Hürden des Spiels nicht hinweg, versuchte es wieder und wieder, bis er endlich gut genug war, um weiter voranzukommen – und sich die nächsten zehn Minuten vorzunehmen. Boekholt sagt, er hat Spaß daran. Obwohl er nicht nur zum Vergnügen zockt, denn er hat ein Ziel: Rekorde brechen.

Joey Boekholt ist 31 Jahre alt, wohnt in Göttingen, ist von Beruf Logistiker. In seiner Freizeit aber, ist er Speedrunner. Seine Leidenschaft ist es, Hunderte Stunden in einem Videospiel zu verbringen, um es schließlich in möglichst kurzer Zeit durchspielen zu können. Er gehört zu einer Gaming-Community, die sich auf Events trifft, Livestreams veranstaltet und Tutorials erstellt, nur um jeden Fehler, jede Abkürzung zu finden und möglichst effizient zu nutzen. Das ist für Spaß – aber auch Arbeit.

»Am Anfang der Entscheidung, ob ich ein Spiel speedrunne, steht eine einfache Frage: Hat mir das Game schon beim normalen Durchspielen Spaß gemacht?«, sagt Boekholt. Ein langweiliges oder frustrierendes Spiel könne er nicht für Hunderte Stunden aushalten. So auch bei seinem letzten großen Projekt: »Tomb Raider« . »Ich habe beim Zocken erkannt, dass in dem Spiel sehr viele Dinge passieren können, die eigentlich nicht passieren sollen.« Ideale Voraussetzungen.

Nackt und in Rekordzeit

Speedrun-Arten gibt es viele. Es kann um die beste Zeit gehen, darum, einen Durchlauf zu schaffen, ohne Schaden zu nehmen. Manche stellen sich die Spieler besonderen Herausforderungen, lassen ihren Charakter etwa in einem Spiel wie »Dark Souls« nackt, also ohne Rüstung  und dadurch leicht verwundbar, auftreten.

Es gibt Speedruns, die gezielt Glitches, also Fehler im Spiel, ausnutzen, das Spiel also brechen, gegen den Strich spielen. So ist eine Gaming-Subkultur mit eigenen Regeln und Begriffen entstanden. »Routing« etwa bedeutet, den schnellsten Weg in einem Spiel zu finden, Filmsequnzen zu umgehen, ganze Level auszulassen. »Glitch hunting« ist die Jagd nach Fehlern im Spiel, die Spieler etwa durch den Boden fallen oder durch eine Tür gleiten lassen, um Bereiche zu erreichen, die eigentlich niemand sehen sollte. Joey Boekholt macht das nun schon seit gut sechs Jahren.

Zuerst kommt die Vorbereitung: Er schaut mehrere Tutorials, verschafft sich einen Eindruck von den Aufgaben, die vor ihm liegen. Zwar könnte er auch ein Spiel in Angriff nehmen, für das noch niemand einen Speedrun kreiert hat, aber das würde zu viel Zeit verlangen, sagt er. »Ich mache das alles ja neben meinem Vollzeit-Job.« Es gehe ihm darum, auf den Erkenntnissen von anderen aufzubauen und deren Techniken zu perfektionieren. In Phase zwei probiert er Stück für Stück die Tricks aus, die er zuvor in Videos gesehen hat.

Es kann frustrierend werden

Ein solcher Trick kann zum Beispiel ein Glitch sein, durch den er 40 Minuten einspart. Den zu erklären ist schon kompliziert – ihn umzusetzen mühsam. In »Tomb Raider« etwa, muss Lara Croft mit dem Rücken an einer schrägen Wand stehen, um eine Fallanimation auszulösen, in der die Spielfigur stecken bleiben kann, den sogenannten »Skywalk«.

Szene aus »Tomb Raider«: Fehler finden, damit man schneller fertig wird

Szene aus »Tomb Raider«: Fehler finden, damit man schneller fertig wird

Foto: Square Enix

Ist das geschafft, kann Boekholt sie die Wand hochrutschen lassen. Dann muss er ein paar Pixel finden, auf denen Lara sicher stehen kann, um sie erneut durch den »Skywalk«, aus der Spielwelt hinausspringen zu lassen. »Dabei muss ich immer darauf achten, keine Todesanimation auszulösen. Das Ziel ist es schließlich, einen Wasserfall hinaufzurutschen«, sagt er. Um das hinzubekommen, braucht Boekholt viele Stunden. »Das benötigt ein Mindset wie im E-Sport. Speedrunning ist immer auch kompetitiv.«

So saß er nach der Arbeit und auch an Wochenenden an seinem PC und versuchte, »Tomb Raider« an jeder möglichen Stelle zu brechen und so teils Millisekunden zu gewinnen. Das ist Phase drei, die frustrierend sein könne. Alle Tricks sind gelernt, es geht nur noch darum, besser zu werden.

Warum?

Nun mag sich die Frage aufdrängen, wieso jemand einen großen Teil seiner Freizeit damit verbringt, ein Videospiel möglichst schnell durchzuspielen. »Vor allem, weil es Spaß macht und mich immer wieder der Ehrgeiz packt«, sagt Joey Boekholt. Erfolgreich einen Glitch ausführen, ein paar Sekunden Zeit gewinnen – nach einem stressigen Tag könnten solche Erfolgserlebnisse ihn euphorisch machen. Genauso wichtig sei aber die Speedrun-Community.

Um die Idee, Videospiele schnell durchzuspielen, ist eine Szene entstanden. Auf Events wie dem »Games Done Quick«  treffen sich Hunderte Menschen, um ihre Skills zu zeigen und in Livestreams ihr Wissen an andere weiterzugeben. Eine Person sitzt am PC oder der Konsole, eine Leinwand überträgt das Videosignal. Hinter dem Spieler oder der Spielerin steht üblicherweise eine Couch, darauf sitzen andere Gamer, die kommentieren. Auch sie kennen das jeweilige Spiel in- und auswendig und können genau erklären, was die spielende Person gerade macht.

So funktioniert das Speedrun-Ritual und teilweise sehen Millionen Menschen im Livestream zu oder rufen die Videos ab . Genutzt werden diese Happenings, um Geld für gute Zwecke zu sammeln: Krebsforschung, Umweltschutz, Anti-Bullying-Kampagnen. Auch Joey gehört einer Speedrun-Community an, genannt Germench , die Events organisiert.

»Ich mag diese Community sehr. Wir sind hilfsbereit, freuen uns, wenn neue Spieler und Spielerinnen einen Speedrun versuchen«, sagt Boekholt. Zu seinem Geburtstag im Juli haben ihn mehrere Freunde aus ganz Deutschland besucht, die er durch Speedruns kennengelernt hat. Es wurde gegrillt, getrunken, geredet – nicht nur über Videospiele.

Schlussendlich hat Joey Boekholt seinen besten Speedrun für »Tomb Raider« in knapp anderthalb Stunden hingelegt. Gewöhnliche Gamer brauchen dafür zwölf Stunden. 350 Stunden hat er in investiert, um es auf Platz vier der Weltrangliste geschafft. Und trotz einiger Frustmomente: Der Controller ist dabei heil geblieben.

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