Games Convention Schlichte Spiele für die Massen
Der erste echte Meilenstein der Filmgeschichte war ein rassistisches Machwerk übelster Sorte. In D. W. Griffiths "Birth of a Nation" von 1915 planen verschlagene, lüsterne, dummdreiste Schwarze, verkörpert von schlecht geschminkten Weißen, den Umsturz der jungen US-Demokratie. Am Ende muss die Kavallerie in Gestalt einer Horde berittener Anhänger des Ku-Klux-Klans ein paar eingeschlossene Weiße vor einem schwarzen Mob und die Welt vor der dunklen Bedrohung retten.
Diese Szene gilt als erste in der Filmgeschichte, in der die Parallelmontage als Spannungsmacher eingesetzt wurde: Kapuzenmänner - bedrängte Weiße - Kapuzenmänner - bedrängte Weiße. Sie gehört an Filmhochschulen zum Pflichtprogramm. Die Filmgeschichte hat längst trennen gelernt zwischen Form und Werkzeug und manchmal fragwürdigem Inhalt.
Die erzählerischen Meilensteine der Videospielgeschichte sind nicht rassistisch und ideologisch meist unverdächtig - aber oft auch ziemlich fragwürdig. "Doom", die "Grand Theft Auto"- und "Half-Life"-Serien - viele der wichtigsten Spiele aus der kurzen Geschichte des Mediums strotzen vor Gewalt. Jetzt startet die Industrie eine Offensive zu guten, nützlichen, familientauglichen und generationenübergreifenden Spielen - und opfert dabei das so hart erarbeitete Handwerkszeug.
Schnellvorlauf-Slapstick mit Tortengags
Der Drei-Stunden-Brocken "Birth of a Nation" war ein Blockbuster. Das wahre Geld aber wurde in den frühen Tagen des Kinos mit anderen Filmchen auf dem narrativen Niveau eines Bilderbuchs verdient. Filmen wie denen, die in den Achtzigern im deutschen Vorabendprogramm als "Männer ohne Nerven" und "Väter der Klamotte" liefen: Schnellvorlauf-Slapstick mit Tortengags.
Der Spieleindustrie sind die eigenen Frühwerke inzwischen ein bisschen peinlich. Nun hofft man, um im Bild zu bleiben, auf die Überzeugungskraft der Tortengags. Die Sache mit der Gewalt ist schlecht fürs Image.
Und außerdem kann man die brutalen, schwierigen Produkte nicht so vielen Leuten verkaufen, wie das eine Branche, die zum Unterhalter Nummer eins aufsteigen möchte, gern hätte. Die Meilensteine der Spielgeschichte stellen, im Gegensatz zur oft vollkommenen Anspruchslosigkeit eines Kinobesuchs, auch noch Hürden auf, die zum Wesen des Mediums gehören: Sie erfordern Training, ja Hingabe. Das Erwerben neuer Fertigkeiten ist eins ihrer zentralen Merkmale - und je höher der Anspruch, desto kleiner die Zielgruppe.
"Oma knackt den Highscore"
Die Leipziger "Games Convention", Europas größte Spielemesse, steht diesmal deshalb ganz im Zeichen des gesenkten Anspruchs. "Casual Games" ist das Summ-Wort der Messe, alle vom Enkelchen über die Hausfrau bis zum Opa sollen zu Gelegenheitsspielern gemacht werden. Die Zielgruppe könne bis zu zwei Milliarden Menschen groß werden, hat der Chef des Softwarehauses Ubisoft unlängst verkündet - und für so einen Absatzmarkt wirft man denn auch schon mal alles über Bord, was man eben selbst noch wichtig fand.
Deshalb wurde Ubisofts Pressekonferenz mit dem Motto "Spiele für mich - Oma knackt den Highscore" beworben, deshalb führt der Weltmarktführer Electronic Arts neben dem Hightech-Shooter "Crysis" - dessen Schöpfer wegen der "Killerspiel"-Debatte gerade mit Abwanderung drohen - nun endlich auch eine neue Gelegenheitsspiel-Serie vor, deshalb präsentiert die Spieleseite "Gameduell" Gamer jenseits der Fünfzig, die der Presse von ihren Erfahrungen mit Online-Kartenspielen und PC-MahJongg berichten sollen. Dabei gibt es durchaus Belege, dass ältere Herrschaften auch die echten Knaller der Branche zu schätzen wissen.
Selbstoptimierung mit der Spielkonsole
Die beiden großen Vorbilder der Industrie sind das Moorhuhn und Nintendo. Ersteres hat die anspruchslose Büro-Daddelei in Minutenhäppchen in den Mainstream gebracht. Und Nintendo hat mit seiner Mobilkonsole DS und der bewegungsgesteuerten Wii einen Überraschungserfolg erzielt, der Phantasien weckt. Er wird darauf zurückgeführt, dass Nintendo die Zielgruppenverbreiterung zum zentralen Unternehmensziel gemacht hat. Mit Titeln wie "Nintendogs", "Gehirnjogging", und "Wii Sports" wurden nacheinander kleine Mädchen, Rentner und Fernsehfamilien ins Zentrum der Marketingbemühungen gerückt. Jetzt führt Nintendo noch eine Art Digitalwaage ein, mit der die Konsole im Wohnzimmer zum Yoga- und Fitnesscoach gemacht werden soll: Balancetraining vor dem Bildschirm.
Die Japaner sind der "Casual Games"-Konkurrenz, die das Spielen bloß leichter machen will, schon wieder einen Schritt voraus: Nintendo erklärt die eigenen Produkte zum universellen Werkzeug zur Selbstoptimierung für Körper und Geist.
Doch wieder brutal zur Sache
Wie jeder Medienvergleich hinkt natürlich auch der zwischen Film und Spiel. Trotzdem kann man sagen: Die Gamesbranche hat sich darauf verlegt, erstmal mehr "Väter der Klamotte" zu machen.
Nintendo und die Epigonen streuen zusätzlich noch ein paar erbauliche Lehrfilme ins Programm ein. Für die Industrie ist das gut, schließlich geht es ihr ums Geld und nicht um Kunst. Für die Konsumenten ist es ganz nett - endlich mal Daddeln mit Oma, und dabei vielleicht sogar noch was fürs Gedächtnis oder gegen den Bewegungsmangel tun. Für das Medium Videospiel aber ist die Entwicklung schlecht - weil mit den zurückgeschraubten Anforderungen auch der Anspruch zu sinken droht. Die x-te Neuauflage von "Tetris" bringt vielleicht Geld in die Kassen, das Medium Spiel aber nicht weiter.
Die Apologeten des Trends halten dem entgegen, Spiele wie die "Singstar"-Reihe oder eben Nintendos Bildschirmgymnastik seien trojanische Pferde: Stehe die Konsole erstmal im Wohnzimmer, würde früher oder später auch mal etwas Komplexeres ausprobiert.
Zu hoffen ist jedenfalls, dass die Wünsche der "Spiele für alle"-Vermarkter in Erfüllung gehen: Dass nämlich zusätzliches Geld hereinkommt über die neuen Zielgruppen. Und dass dieses Geld investiert wird, um nicht nur Tortengag-Spiele zu entwickeln für die Daddelrunde zwischendurch, sondern dass auch mal ein "Metropolis" oder "Moderne Zeiten" dabei ist. Ein paar Titel, die das Erzählen im Spiel vorantreiben sollen, gibt es auch auf der Games Convention zu sehen - sie heißen "Assassin's Creed", "Crysis", "Mass Effect" oder "Fallout 3" - aber schon die Titel lassen erahnen, dass es auch darin wieder ziemlich brutal zur Sache gehen wird.