Neue virtuelle Spiele Zweitwelten für Kids

Communitys wie Second Life gelten als nicht mehr angesagt. Doch der Abgesang kommt womöglich zu früh: Spielefirmen und Start-ups arbeiten daran, die Grenzen zur virtuellen Welt zu verwischen. Sie haben, was den Avataren fehlt: Themen und Zielgruppen.

Wenn mein Sohn, 15, beginnt, sich mit der dritten Instanz zu beschäftigen, ist es höchste Zeit, den Strom abzudrehen. Für ihn ist "Instanz" ein mehrdeutiger Begriff aus "World of Warcraft " (WoW), der entweder einen möglicherweise mit einer definierten Aufgabe verbundenen Ort beschreibt, die man durchspielt, oder die Aufgabe selbst, die er zusammen mit anderen erledigen muss. Da es dabei erstens meist darum geht, irgendwelche Blutelfen zu überfallen, und das zweitens eine Menge Zeit erfordert, fällt das elterliche Urteil meist schon in erster Instanz: "Wenn du damit durch bist, mach die Kiste aus!"

Fleiß ist ja wünschenswert, aber anderenorts sinnvoller eingesetzt als bei "WoW". Andererseits bin ich ja steinalt und habe von solchen Dingen keine Ahnung. Sagt Sohnemann.

Er ist einer von schätzungsweise zehn Millionen "WoW"-Spielern, die sich regelmäßig in einer reichlich martialischen Online-Welt treffen. Sie rennen dort durch die Pampa und sammeln Punkte und Status durch das Erlegen von Wölfen und andere tägliche Pflichten. Dabei sind sie selten allein. Sohn ist meist im Duett mit einem stierköpfigen Muskelberg unterwegs, den ich im "Real Life" als meinen hundert Kilometer entfernt lebenden, rund zwei Meter kleineren Neffen kenne.

Kampf und Kommunikation

Die beiden treffen sich zwei-, dreimal die Woche und kommunizieren nonstop, wenn sie nicht gerade Wölfe erlegen oder ihre Ausbildung im Ledergerben fortsetzen. Regelmäßig treffen sie sich mit unzähligen anderen Zwergen, Stier-Wesen oder Magiern, um chattend und koordiniert gemeinsamen Interessen nachzugehen. Zusammenrottungen dieser Größe wären im realen Leben als Demonstrationen genehmigungspflichtig. Ob wir Eltern und Nicht-Rollenspielern das nun akzeptieren oder nicht: So scheinbar einsam der Sohn vor dem Rechner sitzt, pflegt er dabei durchaus Sozialkontakte. Und ab und zu treffen sich die Gemeindemitglieder sogar, wenn sie nicht aussehen wie Stiere - an der frischen Luft.

Was ich damit sagen will? Wer glaubt, dass Online-Communitys mausetot seien, nur weil im vergangenen Jahr über das wirklich weitgehend sterile Second Life  hergezogen wurde, irrt. "WoW" mit seinen permanenten Überbevölkerungsproblemen ist das beste bestehende Beispiel dafür. Und es zeigt, wie virtuelle Communitys wirklich funktionieren: Man muss Menschen mit gemeinsamen Interessen zusammenbringen und ihnen eine Beschäftigung geben. Punkte sammeln, Wölfe erlegen, gemeinsame Aufgaben. Dann klappt das auch mit der virtuellen Kommunikation.

Die Communitys haben vor allem dann Potential, wenn sie den Nutzern etwas zum Spielen geben. Nur rumhängen und reden wie im Second Life reicht einfach nicht. Als Spielplätze aber sind Communitys so stark, dass die Vereinbarung von Regeln für den Online-Zugang des Nachwuchses unter Sucht-Prophylaxe fällt.

Virtuelle Welten leben

Während das Thema Avatar-Communitys in der Öffentlichkeit kaum mehr diskutiert wird, fließt weiter Geld in die Entwicklung neuer Plattformen. Die Spanne reicht dabei von Spielwelten, die wie "WoW" eben auch virtuelle Community sind, bis zu virtuellen Communitys, die Anreize durch spielerische Elemente bieten. Sie alle haben eines gemein: Themen, die auf eng einzugrenzende Zielgruppen perfekt zugeschnitten sind.

Dabei kommt den Entwicklern der Fortschritt in der Vernetzung zugute. Konzepte, die irgendwann als Spiele für Einzelpersonen begannen, durch Multiplayer-Funktionen erweitert wurden, entwickeln sich hin zu virtuellen Dörfern, in denen sich die am Thema interessierten digital treffen. Da fügt sich Stein auf Stein - im Falle Lego, hoffen die Macher, sogar im Sinne des Wortes.

Anfang 2009 will der dänische Bauklotz-Klassiker ein eigenes Universum eröffnen. Das Konzept: wie bei "WoW" ein Spiel, das über den Handel in Umlauf gebracht, aber online gespielt wird. Als reichlich eckiger Avatar soll der vorzugsweise kindliche Spieler daran mitbauen, auch und gerade im Verbund mit anderen. Und weil man dabei richtige Maurer- oder Architekten-Karrieren machen kann, hoffen die Dänen auf so viel Suchtpotential, dass man die jugendliche Zielgruppe dafür monatlich zur Kasse bitten kann.

Wunschzettel inklusive

Das geht ganz einfach: Man muss den Nachwuchs nur anfixen und belohnen. Wer viel spielt, wird viele Steine verdienen und kann mehr bauen. Wer viel baut, bekommt virtuelles Geld, mit dem man wieder Steine kaufen kann. Man ahnt bereits: Spätestens Weihnachten 2009/2010 wird es Berichte über erste millionenschwere Baulöwen im Grundschulalter geben. Und damit die Eltern das auch gut finden, soll das Lego Universe massig Anreize zum gemeinsamen Spiel enthalten.

Was Lego außerdem ganz besonders gut finden würde, wäre, wenn außer Spielverkauf und Abo-Gebühr auch das letzte Steinchen in der Verwertungskette funktioniert: Gebäude, auf die der kleine Spieler besonders stolz ist, kann man auch bestellen. So erarbeitet der Abonnent nicht nur seine virtuelle Welt, sondern zugleich auch die Bestellliste für die Auslieferung des Weihnachtswunschzettels.

Für Lego ist das mehr als nur eine Spielerei. Es waren auch PC-Spiele, die den Konzern vor rund fünf Jahren aus den roten Zahlen rissen. Das Lego Universe, hoffen die Dänen, soll den Laden erst so richtig zum Brummen bringen. Rund hundert Angestellte in Dänemark und den USA arbeiten zurzeit an der Plattform.

Die Nase vorn hat derweil Smoodoos , eine Art Mischung aus Social Network und Spielwelt, die sich ziemlich genau an die Lego-Zielgruppe richtet. Deren Macher denken in ähnlichen Kategorien, verknüpfen Offline- und Online-Spiel: Wer bei Smoodoos mitmachen will, muss sich erst einmal ein Smoodoo-Kuscheltier kaufen - eine Art Plüsch-Knut mit Herzchen unterm Arm, der zur Salzsäule erstarrt ist. Der Ansatz ist limitiert, aber Zielgruppengerecht. Ähnlich wie bei den Social Networks entstehen derzeit spielerische, Avatar-basierte Communitys für verschiedenste Altersgruppen - für eine stufenweise Karriere in aufeinander folgenden virtuellen Welten.

Der Erfolg ist nicht garantiert - die Sims scheiterten. Trotzdem kommt im Herbst eine virtuelle Weltenschwemme

Das alles kann klappen, muss aber nicht so sein. In der vergangenen Aprilwoche machte Game-Riese Electronic Arts einen Rückzieher und verkündete die Schließung seiner 2002 eröffneten, erst kürzlich in EA-Land umbenannten Sims-Online-Plattform  zum August 2008. Auch die war einst mit großen Hoffnungen gestartet. Immerhin gilt "The Sims" als meistverkauftes Spiel aller Zeiten: Insgesamt konnte Electronic Arts von allen Versionen seit 2000 zusammengenommen mehr als hundert Millionen Exemplare verkaufen, meldete das Unternehmen Mitte April.

Online floppte das Spiel trotzdem, was auch kaum verwundert: Die Sims sind ein Ego-Spiel, in der sich die Welt um den Spieler selbst dreht. Wozu da andere besuchen?

Nein, virtuelle Welten sind da sinnvoll, wo sie Leute zusammenführen, die etwas gemeinsam tun wollen - egal ob es nur um Chatten geht wie in der süßen Welt der Barbie-Girls  (Motto: "Think Pink!") oder darum, gemeinsam Aufgaben zu bestehen wie bei "WoW", "Everquest" oder auch "Stargate" (im Betatest) und vielen anderen Spiel-basierten Welten.

Selbst vornehmlich als Shop gedachte Online-Plattformen wie das Playstation-Network  haben durchaus Community-Aspekte. Hier kann man Kontakte für das online gespielte Multiplayer-Spiel machen - und natürlich dabei chatten, in Text oder per Headset.

Bereits im vergangenen Jahr machte Sony klar, dass es hier noch mehr plant: "Playstation Home" sollte eigentlich schon im Herbst 2007 an den Start gehen, wurde dann erst auf das Frühjahr 2008 und nun auf den Herbst dieses Jahres vertagt. Sony macht keinen Hehl daraus, wo es hakt: Die Ambition ist, den Spielern ein dreidimensionales Social-Network irgendwo zwischen Sims und Second Life, Shop, Spiel-Treffpunkt und Heimkino bieten zu wollen.

Dieses Ziel erfordert offenbar mehr Feilen am Detail. "Wir sind zu dem Schluss gekommen", erklärte kürzlich Kazuo Hirai, Chef von Sony Computer Entertainment, "dass wir mehr Zeit benötigen, um das Angebot so zu verfeinern und wir ein noch geballteres Spielerlebnis als derzeit gewährleisten können."

Interessant an dieser salbungsvollen Satzblase ist vor allem das Wort "Spielerlebnis", denn das erwartet der Nutzer von einem Netzwerk, zu dem er über eine Spielekonsole Zugang erhalten soll. Bei all der Liebe zum Detail, die Screenshots aus dem geschlossenen Betatest dokumentieren (siehe Bildergalerie), werden die PS3-Nutzer nicht vornehmlich nur ein schickeres Second Life erwarten. Wenn virtuelle Welten funktionieren sollen, müssen sie mediengerechten Spaß bieten.

Der Sommer der Avatare

Ähnliche Pläne wie Sony hat auch das Berliner Unternehmen Metaversum - und hat die Eröffnung seiner virtuellen 3D-Welt "Twinity"  ebenfalls mehrere Male verlegt. Im Sommer soll es nun losgehen - mit einer virtuellen Welt, die ähnlich wie Playstation Home auf ungewöhnlichen Realismus setzt. Vor Jahresfrist hätte das gereicht, um sich genügend von der Polygon-Welt von Second Life abzusetzen. Auch "Twinity" setzte ursprünglich vor allem auf Kommunikation.

Jetzt haben die Macher erkannt, dass mehr passieren muss: Woran derzeit vor allem noch geschraubt wird, das sind spielerische Elemente. Bei Papermint , einer bewusst bizarr-zweidimensionalen Chat-Welt im Comic-Stil, sind die nicht nur Beiwerk, sondern Teil des Konzeptes. Wer sich in dieser Welt bewegen will, muss essen, sonst geht ihm der Saft aus. Zu diesem Zweck wächst überall "Minze", das Hauptnahrungsmittel der Bewohner. Der Gag daran: Irgendwann ist die Minze an einem virtuellen Ort abgegrast, was die Bewohner zur Bewegung zwingt - und die Nahrung wächst nur langsam nach.

Damit sind die Chatter im Netzwerk auf Schiene gesetzt: Ihre gemeinsame, regelrecht erzwungene Grundbeschäftigung ist die Wanderung durch verschiedene Erlebniswelten. Das Minze-Sammeln ersetzt das in Rollenspielen übliche Punktesammeln - virtuell rumhängen ist nicht.

Aber wer will das auch schon?

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