Pferdespiele für Mädchen Deutschlands heimliche Boombranche

Streicheln, füttern, reiten: Mit klassischen Mädchenthemen hat sich fast unbemerkt ein Spielemarkt entwickelt, den Jungs grauenhaft finden - Spielehersteller dafür umso besser. Das Geschäft mit Tierspielen boomt, und viele erfolgreiche Titel kommen aus Deutschland.

Kleine Mädchen spielen anders. Diese Erfahrung durfte gerade der Spielehersteller Eidos machen. Während der englische Hersteller bisher hauptsächlich Actiontitel wie "Tomb Raider", "Hitman" oder "Just Cause" vertrieben hat, ist mit "Ponyfriends" gerade das erste Pferdespiel erschienen. Und damit mussten sich die Mitarbeiter der Hamburger Niederlassung ganz neuen Herausforderungen stellen. Zum Beispiel, dass bei einem Preisausschreiben mit Malwettbewerb Postkörbe voller Einsendungen kommen.

"Sowas habe ich hier noch nicht erlebt," staunt PR-Manager Theodossios Theodoridis und erzählt von kunstvoll gemalten Bildern und aufwändig gestalteten Bastelarbeiten, die eingeschickt werden. Marina Selikowitsch hat das Staunen schon länger hinter sich. Sie vertritt das Hamburger Softwarehaus dtp, das mit Titeln wie "Meine Tierpension" oder "Meine Tierarztpraxis" Marktführer im Bereich der Mädchenspiele ist. Und davon Mengen verkauft, über die die meisten Anbieter erwachsenerer Games mehr als glücklich wären. Im niedrigen sechsstelligen Bereich liegen die Verkaufszahlen viele der Tierspiele. Das sind Zahlen, die nur wenige Actiontitel erreichen.

Mundpropaganda statt Marketing

Dazu kommt eine Verkaufskurve, von der die meisten Spielehersteller träumen. Denn eigentlich gilt im Spielemarkt: Was sich in den ersten drei Wochen nach Veröffentlichung nicht verkauft hat, bleibt liegen und verkauft erst wieder, wenn der Preis gesenkt wird. Bei den Tierspielen ist es umgekehrt: Sie erreichen die besten Verkäufe erst Wochen nach dem Erscheinen und verkaufen sich auch Monate später noch gut. Eine treue Fanbasis macht es möglich. Empfehlungen werden auf dem Schulhof ausgetauscht. Weshalb sich beispielsweise "Ponyfriends" erst ab der dritten Woche richtig gut verkauft hat.

Mädchen sind wählerisch: "Denen reicht es nicht, ein pinkes Gerät zu haben," sagt Selikowitsch in Anspielung auf Versuche von Nintendo oder Sony mit pinken Spielekonsolen Mädchen anzulocken, "am liebsten mögen sie Aufbau- und Strategiespiele." Wer hier jedoch an Burgen, Siedler und Piraten denkt, liegt falsch. Bei "Meine Tierpension" etwa geht es darum, eine ebensolche zu betreiben und auszubauen.

Angefangen wird mit einer Schildkrötenschlafstelle, am Ende ist es ein ganzes Tierhotel. Managementfähigkeiten werden mit Tierliebe verknüpft, denn natürlich darf keiner der Gäste vernachlässigt werden. Hunde brauchen Auslauf, Katzen müssen geknuddelt werden und Pferde gestriegelt. Jungs werden sich mit Grausen abwenden, die Mädchen finden es toll.

"Ponyfriends" und "Tierartzpraxis", "Catz" und "Dogz"

Erstmals offen gezeigt hat sich das Phänomen bei "Nintendogs", einer Welpensimulation für Nintendos DS-Konsole. Nach verhaltenem Start hat sich das Hunde-Tamagotchi mit Streichelfunktion über ein Jahr hinweg so gut verkauft, dass es immer wieder Lieferengpässe gab – vor allem zu Weihnachten und Ostern. Das Spiel ist einer der wichtigsten Titel für den Gameboy-Nachfolger und zu einem großen Teil mitverantwortlich für dessen Erfolg in Kinderhänden.

Weshalb inzwischen auch andere Hersteller auf die Mini-Konsole setzen. Kein Wunder: Mehrere Millionen Stück wurden davon allein in Europa verkauft, viele davon gehören der Zielgruppe. Weshalb Eidos mit "Ponyfriends" auf der Konsole vertreten ist, dtp mit "Meine Tierarztpraxis" und Ubisoft mit den pseudocool benannten "Horsez", "Catz" und "Dogz". Atari hat sich sogar die offizielle Lizenz des Reitsportverbandes Lizenz Fédération Equestre Internationale (FEI) gesichert und verkauft nun ein Spiel namens "My Horse & Me".

Der Erfolg beschränkt sich nicht auf deutsche Mädchen, die nach "Hanni und Nanni"-Ersatz suchen. Die Tierspiele von dtp laufen in vielen Ländern gut. Das Grinsen von Marina Selikowitsch bei der Frage nach den Verkaufszahlen in den USA kann man durch die Telefonleitung hören. Auch wenn sie keine genauen Zahlen herausgeben möchte, war der größte Triumph, einen Monat lang mit "Meine Tierpension" in den amerikanischen Charts direkt hinter dem Megaseller "World of Warcraft" gelegen zu haben.

Zur Abwechslung haben die Deutschen die Nase vorn

Bei vielen dieser Spiele handelt es sich um deutsche Produkte. Kleine Entwicklerstudios aus der ganzen Republik arbeiten mit vergleichsweise niedrigen Budgets an diesen Titeln – und liefern gute Qualität ab. Das müssen sie auch: "Es spricht sich sehr schnell rum, wenn ein Spiel nicht gut ist", sagt Selikowitsch. Weshalb es für die Firmen auch wichtig ist, ein offenes Ohr für Kundinnenwünsche zu haben. "Die Mädchen sind sehr mitteilsam," erzählt sie, "weshalb wir unsere Foren sehr genau lesen und auch schnell reagieren, wenn Fragen aufkommen."

Künftig wolle man den Spielerinnen mit einem erweiterten Angebot auch bei technischen Problemen schnell zur Seite stehen. Zwischen sechs und zwölf Jahren alt sind die wählerischen Spielerinnen der Tiertitel, danach ebbt das Interesse sehr schnell ab. "Sobald Jungs ins Spiel kommen, sind Pferde ganz schnell uninteressant," sagt Selikowitsch lachend. dtp hat vorgesorgt: Mit "My Boyfriend" und dem Spiel zu "Germany's next Topmodel" werden die Spielerinnen auch in ihrer nächsten Lebensphase begleitet. Auf einen Malwettbewerb zu diesen Themen kann man gespannt sein.

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