Suchtgefahr Drogenbeauftragte will Online-Spiele für Jugendliche sperren

Die Bundesdrogenbeauftragte Sabine Bätzing (SPD) fordert, "Computerspielsucht" stärker zu untersuchen und besonders populäre Online-Spiele nur für Erwachsene freizugeben. Ob es eine spezifische Suchterkrankung bei Computernutzern tatsächlich gibt, ist unter Fachleuten aber nach wie vor umstritten.

Berlin - Man müsse "Eltern und Lehrer unterstützen, eine Mediensucht im Frühstadium zu erkennen und wirksam zu verhindern", erklärte Bätzing (SPD) am Freitag anlässlich einer Fachtagung zum Thema. Zudem forderte sie schärfere Altersbeschränkungen. Es sei unverständlich, warum Spiele wie "World of Warcraft" für Kinder ab zwölf Jahren freigegeben seien, sagte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Denn solche Onlinespiele könnten abhängig machen. Sie forderte die für den Jugendschutz zuständigen Länder auf, eine Zulassung von "World of Warcraft" erst ab 18 Jahren zu prüfen.

Um ihre Forderung zu untermauern, nannte Bätzing Zahlen, die einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen entstammen. In deren Rahmen wurden 15.000 Schülerinnen und Schüler der neunten Klassenstufe mittels eins Fragebogens in als "süchtig" oder "nicht süchtig" eingestuft.

Die Ergebnisse der Studie, die schon seit März bekannt sind, klingen in der Tat dramatisch: Ihnen zufolge spielt jeder zehnte der befragten Jugendlichen - 15,8 Prozent der Jungen und 4,3 Prozent der Mädchen - in der Freizeit exzessiv am Computer, das heißt über viereinhalb Stunden täglich. Drei Prozent der Jungen sowie 0,3 Prozent der Mädchen seien demnach gar computerspielabhängig, weitere 4,7 Prozent der Jungen und 0,5 Prozent der Mädchen werden als gefährdet eingestuft.

Aus Sicht von Fachleuten allerdings sind sowohl das Vorgehen als auch die Resultate der Kriminologen mit einer gewissen Skepsis zu betrachten. Eine eben erste veröffentlichte Studie der Berliner Humboldt-Universität beispielsweise relativiert das Suchtrisiko bei Jugendlichen durch Online-Angebote im Allgemeinen, nicht nur im Hinblick auf Spiele: Nur vier von hundert Jugendlichen seien demnach exzessive Internet-Nutzer. Von Sucht könne nur bei 1,4 Prozent der 12- bis 19-Jährigen gesprochen werden, so Sabine Meixner vom Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie. Für die Studie hatten die Forscher 5200 Schüler in Hamburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt befragt.

Umstritten ist auch, ob die Diagnosekategorie "Sucht" sich in diesem Bereich überhaupt sinnvoll anwenden lässt. Die American Medical Association, deren Entscheidungen in diesem Bereich Fachleuten weltweit als Richtschnur dienen, hatte erst im Jahr 2007 einen Antrag, diese Diagnose in offizielle Handbücher aufzunehmen, abgelehnt.

Louis Kraus von der American Academy of Child and Adolescent Psychiatry sagte damals, es handele sich bei exzessivem Spielkonsum "nicht notwendigerweise um einen einfachen Fall von Ursache und Wirkung. Es könnte sein, dass es bestimmte Kinder gibt, deren Verhalten eine zwanghafte Komponente beinhaltet". Mit anderen Worten: Ständiges Spielen könne ein Symptom für andere Probleme wie Zwangs-, Angststörungen oder Depressionen sein. Dennoch seien exzessive Spieler in Gefahr, sagte Kraus damals: Die so verbrachte Zeit fehle für Schularbeiten und auch soziale Interaktionen.

Auch Sabine Meixner von der Humboldt-Universität sagt, Ängstlichkeit, Einsamkeit, ein geringeres Selbstwertgefühl, Überforderung, Kommunikationsstörungen und Depressionen begünstigten exzessive Internetnutzung. Ursache, Wirkung und vermittelnde Faktoren, da sind sich die meisten Fachleute einig, müssten erst einmal gründlich erforscht werden.

Nach Ansicht Bätzings geht es denn auch zunächst darum, Diagnoseinstrumente für "diese Sucht" zu erarbeiten, um sie auch tatsächlich als Krankheit einstufen zu können. Außerdem müssten die Therapiemöglichkeiten erweitert und Eltern und Lehrer in die Lage versetzt werden, Mediensucht bei Kindern frühzeitig zu erkennen.

Unter Therapeuten, die ähnliche Forderungen seit längerem erheben, wird sie damit zweifellos auf Beifall stoßen. Der Hintergrund dieser Forderung ist nicht zuletzt finanziell: Kostenträger sind sehr viel leichter zu überreden, bestimmte Therapien zu bezahlen, wenn sie in solchen offiziellen Diagnosehandbüchern auftauchen.

Olaf Wolters, einerseits Sprecher des Bundesverbandes Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU), andererseits Geschäftsführer der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), sieht Bätzings Vorstoß erwartungsgemäß kritisch. Die USK beschäftige sich mit der Thematik bereits seit mehr als 2 Jahren, so Wolters im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE, und "auch die Anbieter haben das Problem erkannt. Insbesondere in zeitaufwendigen Spielen werden zunehmend Warnhinweise und die Spieldauer angezeigt." Es gebe zudem technische Spielzeitbegrenzer. "Wir hätten uns gewünscht, dass diese bereits bestehenden Hilfestellungen aufgegriffen würden", so Wolters. Außerdem warnt er vor einer "pauschalen Stigmatisierung von Spielern" durch die Verwendung des Begriffes "Sucht".

Bätzings Forderung, Spiele wie "World of Warcraft" als Produkte nur für Erwachsene einzustufen, würde vermutlich Gesetzesänderungen erfordern. Denn der deutsche Jugendmedienschutz kennt "Suchtgefahr" als Kriterium bislang schlicht nicht - Kinder und Jugendliche sollen per Gesetz nur vor Sex und Gewalt in Medien geschützt werden, nicht vor exzessivem Medienkonsum.

Für die Selbstkontrolleinrichtung der Branche, deren Einstufungen von Vertretern der Bundeesländer mitgetragen werden, steht vor einem weitern Problem - welche Spiele abhängig machen könnten, ist vorher schwer zu beurteilen. Wolters: "Die Gutachter der USK haben bislang keine Faktoren identifiziert, die es vorab erlauben würden, Spiele zu identifizieren, die zu exzessivem Konsum führen können." Dennoch habe das Thema Extremkonsum "eine Relevanz für die USK".

Mit Material von AP, AFP, Reuters

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