15 Jahre Newton Wie Apple den iPhone-Opa beerdigte
Tom Clancy war da, Tom Selleck auch - und ein paar Hundert aufgeregte IT-Manager, Reporter und Apple-Mitarbeiter: Vor 15 Jahren stellte Apple-Boss John Sculley in Boston den Urahnen des iPhones vor. Er hielt auf der Bühne ein schwarzes Plastikkästchen in Taschenkalendergröße über seinen Kopf und verkündete: "Newton ist hier!" Das Zeitalter des PDA, des "persönlichen digitalen Assistenten", hatte begonnnen. Zumindest stellte Apple sich das damals so vor.
Das Tamtam war enorm: Der Newton werde das "digitale Zeitalter definieren", ließ sich Apple-Boss John Sculley damals zitieren. Fünf Jahre lang habe man bei Apple am Newton gearbeitet, beteiligt waren Star-Entwickler, die zuvor für Unternehmen wie Hewlett-Packard tätig gewesen waren. Das Ergebnis, so Sculley: "eine Revolution für die Jackentasche".
Der Überall-Computer war zu dick
Ein Problem dabei: Die Jackentasche, in die ein Original-Newton passt, muss ziemlich geräumig sein. Denn Apples Möchtegern-Überall-Computer Newton war ein echter Klops: fast 19 Zentimeter hoch und zwei Zentimeter dick, gut 11 Zentimeter breit und 400 Gramm schwer.
Das Gerät sollte immerhin 250 Adressbuch- und 500 Kalendereinträge speichern, außerdem 200 Notizen. Das Beste: Was immer ein Newton-Nutzer notieren will, schreibt er einfach wie auf einem Blatt Papier in ganz normaler Handschrift auf den Newton, das Gerät erkennt die Handschrift und digitalisiert die Notizen.
So hätte der Newton zumindest funktionieren sollen. Ein Reporter des US-Magazins "Home Office Computing" berichtete allerdings damals von der großen Newton-Show: "Ich konnte ein Vorführgerät erst nach fünf Minuten dazu bringen, das Wort Apple zu erkennen."
Pannenstart: Der Newton versteht die Nutzer nicht
Die Macken bei der Schrifterkennung waren so gravierend und gemessen am Vorab-Tamtam um das Gerät so peinlich, dass Apple für den Newton zu Beginn vor allem Häme kassierte. Der Comicstrip-Zeichner Gary Trudeau spottete zwei Wochen nach der Newton-Show in seinem in US-Zeitungen millionenfach gedruckten Doonesbury-Strip über die Spracherkennung des Geräts. Den Satz ""I am writing a test sentence" interpretiert der Newton erst als "Siam fighting atomic sentry", dann als "Ian is riding a taste sensation".
Mit den Schrifterkennungsmacken des Newton schaffte Apple es sogar in eine Folge der Simpsons: Der Schulrüpel in der Comicserie lässt seinen Lakaien "Schlag Martin zusammen (Beat up Martin)" als Aufgabe notieren, der Newton legt das als "Iss Martha (Eat up Martha)" aus, worauf der frustrierte Rüpel dem armen Martin das 400 Gramm schwere Apple-Monster einfach an den Kopf wirft.
"Hochgeschwindigkeitszüge ohne Schienen"
Dieses Versagerimage wurde der vorab so gefeierte Newton nie los - zu dick, zu dumm und dafür ziemlich teuer. Dabei besserte Apple nach, ein gutes Jahr später erkannten die Newtons dank einer neuen Version des Betriebssystems viel zuverlässiger Handschrift, aber auch ausgeschriebene Druckbuchstaben.
Viel zu spät machte die neue Software aus dem Newton dann doch noch einen beinahe brauchbaren Überall-Computer. Beinahe, weil die wichtigste Voraussetzung für echte Mobilität damals noch fehlte. Wie das US-Magazin "Home Office Computing" schon 1994 in einem PDA-Test analysierte: "Die Menschen müssten mit diesen Geräten überall Daten senden und empfangen können (Texte, Faxe, vielleicht auch Audio- und Videodateien), Datenbanken aufrufen und Online-Dienste nutzen können."
Die Redakteure erträumten sich da all das, was man dank gut ausgebauter Mobilfunknetze heute mit jedem besseren Smartphone tun kann. Vor 15 Jahre allerdings musste "Home Office Computing" aber bilanzieren: "Leider ist das noch nicht möglich. PDAs sind Hochgeschwindigkeitszüge ohne Schienen."
Apple war mit dem Newton zu früh dran
Teuer, klobig, klapprig - Apples erster Newton blieb erfolglos, angeblich sollen nur 80.000 der Geräte verkauft worden sein. Die Newtons wurden in den folgenden sechs Jahren zwar deutlich besser, die Verkaufszahlen aber offenbar nicht. Im Februar 1998 ließ der damals als Interim-Chef angetretene Steve Jobs die Produktion einstellen, angeblich wurden 30.000 nicht ausgelieferte Geräte auf einer Apple-Müllhalde entsorgt.
Der Newton war einfach zu früh dran. Statt klobiger, teurer Überall-Rechner waren Mitte der Neunziger eher günstige, einfache Digitalnotizbücher gefragt. Das demonstrierte der Palm Pilot, der das PDA-Konzept in ein Massenprodukt verwandelte. Der Grund für den Erfolg: Palm-Erfinder Jeff Hawkins machte ein paar entscheidende Dinge anders als Apple. Hawkins hatte durch Flops mit Tablet-PCs gelernt, dass diese Unterwegscomputer schlicht zu groß und zu teuer waren. Sein Fazit: "Hemdentaschen-Größe".
Apple gibt 1998 auf
Bei der Entwicklung des Palm Pilot entwarf Hawkins folglich erst das Gehäuse, legte die Größe und die Bedienelemente fest. Danach mussten die Ingenieure die Technik anpassen. Hawkins trug wochenlang ein aus Balsaholz geschnitztes Modell seines Wunsch-PDAs mit sich herum und tat in Konferenzen so, als würde er Termine und Notizen eintragen - so jedenfalls die von ihm immer wieder erzählte Legende.
Außerdem verpasste Hawkins dem Palm eine simplere, aber dafür günstigere und zuverlässigere Eingabemethode, als Apples Newton sie hatte: Statt die Handschrift der Besitzer zu lernen, wie es der Newton zumindest theoretisch tat, verlangte der Palm Pilot den Nutzern ein paar Standardschreibweisen ab. Das funktionierte so gut, dass Hawkins Schrifterkennungsprogramm Graffiti als Zusatzprogramm für den Newton recht gefragt war.
Als Apple 1998 die Newton-Produktion stoppte, urteilte DER SPIEGEL , jetzt mache Palm niemand "mehr den Rang des coolsten Elektronik-Accessoires streitig. Marktführer waren die PalmPilot-Modelle ohnehin schon."
Und ein paar Jahre später kam das iPhone.