Digitaler Wahlstift Hamburger ignorieren ihre Schnupperwahlen

Ein neues Wahlsystem, einfach und voll digital: In Hamburg wurde den Bürgern jetzt ein elektronischer Wahlstift zum Testen präsentiert. Doch die Leute ignorierten die Aktion. Und Hacker teilten mit, sie hätten das System schon wieder ausgetrickst.
Von Khuê Pham

Hamburg - Im Billstedter Einkaufszentrum im Osten Hamburgs ist heute Mittag wenig los. Vereinzelt schlurfen Rentner und Studenten durch die Läden, nur das Eiscafe "Cafe Veneto" ist gut besetzt. Vor Karstadt und H&M hat sich ein Stand platziert, hinter dem drei Männer in schwarzen Anzügen stehen. Auf ihren Flyern steht: "Hier Schnupperwählen". Bunte Kreise mit Kreuzchen runden den peppigen Look ab.

Die Herren, die da so freundlich lächeln, sind von der Hamburger Wahlleitung. Sie sind gekommen, um den Bürgern das neue Wahlsystem zu verkaufen.

Doch die Billstedter scheinen an den Schnupperwahlen keinen Geschmack zu finden, die meisten Besucher gehen einfach weiter. Der sorgsam aufgestellte Demonstrationstisch samt digitalen Wahlstiften, Laptop und Muster-Stimmzetteln hat deutlich weniger Anziehungskraft als die Schnäppchen vom Billig-Schuhladen um die Ecke. Die, die sich um den Stand und Landeswahlleiter Willi Beiß drängen, sind hauptsächlich Journalisten oder Wahlhelfer, ein paar neugierige Einkäufer stehen schüchtern am Rande.

"Wir sind zu Ihnen gekommen, um zu zeigen, dass das neue Wahlsystem gar nicht kompliziert ist", verkündet Beiß der Runde und hält dabei einen rosa und einen gelben Stimmzettel hoch. Dann zeigt er auf die schwarzen digitalen Wahlstifte ("wie Kugelschreiber"), mit denen die Zettel ausgefüllt werden sollen. Die Hamburger sollen jetzt schon mal für die Bürgerschaftswahl am 24.Februar 2008 üben, denn bei dieser Abstimmung könnte sich viel ändern. Zum einen könnten sie viel mehr Kandidaten als bisher wählen, da die Wahlkreisabgeordneten direkt gewählt werden, und zum anderen täten sie das digital.

Zukünftig können Bürger mit dem Wahlstift bis zu sechs Kreuze pro Stimmzettel machen, der Stift schreibt die Zeichen wie ein normaler Kugelschreiber und speichert die Daten gleichzeitig. Die Wahlhelfer docken das Gerät dann an den Auslesecomputer, der die digitalen Kreuze anonym in das System einspeist und anschließend die Informationen löscht. Der angekreuzte Stimmzettel wird dann in die Urne geworfen, die Papierzettel sollen als Sicherheitscheck dienen. Die Wahlleitung hofft, mit dem digitalen System die weitaus größere Stimmenanzahl – maximal 12 Stimmen pro Wähler - schneller auszählen zu können.

Doch gerade für ältere Leute hört sich diese Art der Wahl eher nach Qual an. Die vielen Kreuze pro Zettel sind an sich schon verwirrend genug, dazu kommt noch der digitale Wahlstift. Ein Senior macht sich schnell wieder davon, dem "aber das ist doch alles ganz einfach" des Wahlhelfers schmettert er ein "ich habe kein Vertrauen in dieses System" entgegen. Die 70-jährige Billstedterin Nora Narozny befürchtet, dass viele ältere Menschen nächsten Februar einfach nicht wählen werden. "Ich persönlich finde den Wahlstift sehr gut, aber viele meiner Bekannten werden sich damit nicht zurecht finden."

Chaos Computer Club kündigt neuen Hack an

Direktwahl, weniger Bürokratie, schnelle Wahlergebnisse – das neue System verspricht eine schöne neue Welt, doch die ist nicht ohne Probleme. Wenn beispielsweise ein Bürger in der Wahlkabine heimlich seinen eigenen Kugelschreiber benutzen würde, würde sein Stimmzettel ungültig. Bei Diskrepanzen zwischen den Papierstimmen und digitalen Stimmen wird letzteren der Vorzug gegeben. Der Kugelschreiber-Wähler wäre dadurch diskriminiert.

Der Chaos Computer Club sieht darin einen Betrug an den Wählern. "Die Leute denken, sie würden ganz normal auf Papier wählen, aber in Wirklichkeit handelt es sich um eine Computerwahl", kritisiert Sprecherin Constanze Kurz - und die sei sehr leicht zu manipulieren. Nachdem der Club vor kurzem einen Trojaner entwickelt hatte, haben sie nun einen neuen Hack angekündigt. Der Trick soll am morgigen Freitag bei der Expertenanhörung im Verfassungsausschuss der Bürgerschaft vorgeführt werden. Außer dass er "simpler und effizienter" als der Trojaner sei, verrät Kurz jedoch nichts.

Kurz ist sich aber sicher, dass die Abgeordneten am Freitag gegen den Stift stimmen werden, denn sie wähnt die Mehrzahl der SPD und Grünen auf ihrer Seite. Wahlleiter Willi Beiß glaubt das Gegenteil. Er sei von der Sicherheit des Stiftes überzeugt und glaube fest, dass das neue System im Februar zum Einsatz kommen werde.

Und die Wähler?

Die gehen lieber weiter einkaufen.

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