Digitalradio DAB Hörgenuss oder Elektroschrott?
Für DAB wird es eng: An einen Durchbruch der digitalen Hörfunk-Norm, die spätestens im Jahr 2015 das analoge UKW-Radio ablösen soll, mag niemand mehr so recht glauben. Millionenbeträge sind in den Netzausbau, in Pilotprojekte für einige hundert industrienahe Tester und in die Entwicklung erster Empfangsgeräte geflossen. Die Begeisterung der Kunden hielt sich bislang in Grenzen.
Die Wurzeln des Digital Audio Broadcasting (DAB) reichen bis in das Jahr 1987 zurück. Um den Alleinstellungsanspruch zu betonen, wurde das System durch die Initiative Marketing Digitaler Rundfunk in Digitalradio umbenannt. Dabei gehen der DAB-Lobby langsam die Argumente aus: CD-Klangqualität, programmbegleitende Daten - all das können andere Sendesysteme auch bieten.
Der Hauptkonkurrent von Digitalradio ist das künftige terrestrische digitale Fernsehen DVB-T. Tatsächlich spürt das Fernsehen, nicht zuletzt wegen der steigenden Internetnutzung zur Prime Time, einen Erneuerungsdruck, der dem Radio fehlt. So ist die Systementscheidung für DVB unumstritten. Auf der diesjährigen Funkausstellung buhlen deshalb das marktreife Digitalradio DAB und das im Teststadium befindliche DVB-T um die Aufmerksamkeit der Messebesucher.
Längst hat die Diskussion um DAB zu einer politischen Lagerbildung geführt. So befürwortet die medienpolitische Sprecherin der Bündnis 90/Die Grünen-Bundestagsfraktion, Grietje Bettin, ein Digitalradio-Moratorium, also einen Stopp der Finanzierungsmittel für den DAB-Sendernetzausbau. Dafür findet sie bei den norddeutschen Bundesländern Unterstützung - dort wird das digitale Fernsehen DVB-T als möglicher Radio-Vertriebskanal anvisiert.
Angst vor der Abkopplung
Der Systemstreit verdichtet sich auf die Frage, warum zwei Sendernetze aufgebaut werden sollen, wenn das Ziel eines digitalen Hörfunks auch mit dem DVB-T-Netz erreichbar wäre. "Radio lebt von seinen lokalen Bezügen", referiert DAB-Berufsoptimist Helwin Lesch, Geschäftsführer der Bayern Digitalradio GmbH. "DVB-T zielt auf große, fernsehgerechte Versorgungszellen."
Bei einem Radio-Vertrieb über das digitale Fernsehen droht vor allem lokalen Radioanbietern die Abkopplung vom digitalen Zukunftsmarkt. Den ARD-Anstalten und landesweiten Privatfunkern wäre dagegen eine Ausblendung lokaler Konkurrenten nur recht, weil so die bis heute gefügte Frequenzüberlegenheit bequem fortgeschrieben werden könnte.
Bis mit DAB eine maßstabsgetreue Abbildung der heutigen Radiolandschaft erreicht werden kann, werden allerdings noch Jahre vergehen. Um auch lokale Radioangebote in das Digitalradio-System zu integrieren, benötigen die Netze eine dreifache Flächenabdeckung. Gebaut wird derzeit erst an der ersten Flächendeckung.
Das Henne-Ei-Problem
Eine 28-Millionen-Mark-Werbekampagne soll nun für eine Digitalradio-Gerätenachfrage sorgen und das viel diskutierte "Henne-Ei-Problem" lösen. Die Geräteindustrie fordert eine größere Programmvielfalt und die Bewerbung des neuen Empfangssystems, die Rundfunkanstalten kontern mit dem Argument zu teurer Endgeräte. Deshalb richten sich alle Augen auf die diesjährige Funkausstellung: Falls die Gerätehersteller mit einer in Auswahl und Preis attraktiven Digitalradio-Palette aufwarten können, besteht die akute Gefahr einer Kundennachfrage.
Nur wenige, von der Industrie weitgehend unabhängige Berater weisen den Medienstrategen der Länder einen Weg aus dem Digitalradio-Dilemma. Reinhard Wartenberg von der BroadCP Consulting in Bonn empfiehlt einen Blick auf das DRM-Verfahren, vorgesehen für die Digitalisierung der Kurz- und Mittelwelle: "Das kann man auch im FM-Frequenzbereich in modifizierter Form einsetzen." Gewachsene Strukturen und Hörgewohnheiten ließen sich so besser berücksichtigen, meint Wartenberg. Mit solchen Ideen sind die Länder freilich überfordert. Schließlich geht es bei DAB um ein Hörfunksystem für ganz Europa, der nationale Alleingänge verbietet.
Der Streit um den richtigen Weg zum Hörer ist noch nicht ausgestanden. Das wissen auch Satellitenbetreiber wie WorldSpace und GlobalRadio, die sich in Europa immer noch Marktchancen ausrechnen. Eine solche Systemvielfalt bringt dem Konsumenten keinen Nutzen: Der neue Hörfunk muss wirtschaftlich tragfähig sein, sonst drohen Payradio-Abonnements und jede Menge Digitalradioschrott im Keller.