Elektronische Zeitungen Der Anfang vom Ende gefällter Bäume
Was für eine Aussage für einen Zeitungsverleger: Sein Haus, sagte Phillippe Jannet von "Les Echos" auf einem Verlegertreffen in Cannes, werde künftig keine Leute mehr bezahlen, "Zeitungen zu drucken". Er ziehe es vor, Journalisten für die Produktion von Nachrichten zu bezahlen - und ansonsten den Druck als Auftrag an andere Firmen zu vergeben. Jannet wörtlich: "Wir investieren nicht in Druckpressen, wir ziehen es vor, in elektronisches Publishing und in die Inhalte unserer Blätter zu investieren."
Ist es wirklich schon so weit? Das Zeitalter des elektronischen Papiers, in dem die Zeitung aufhören wird, gedruckt zu werden und stattdessen über elektronische Lesegeräte zum Leser kommt, steht uns nach Meinung der Branchenauguren schon seit Mitte der Neunziger unmittelbar bevor. Immer wieder sollte es "im nächsten Jahr" geschehen, dass er kommt: der flexible, aufrollbare, später gar Multimedia-fähige Mobilbildschirm für die Jackettasche. Bisher blieb der jedoch Vision.
Dass die endlich Wirklichkeit wird, darauf können und wollen die Verleger allerdings nicht mehr warten. Erste Prototypen solcher Flex-Medien existieren und sind vielversprechend - aber längst noch nicht fit für den täglichen Einsatz. Dafür gibt es inzwischen Lesegeräte, die Bild und Schrift in hoher Qualität darstellen können, die über ansprechende Kapazitäten verfügen und leidlich bezahlbar (Größenordnung: 300 bis 400 Dollar) sind.
Grund genug für eine ganze Reihe von Zeitungsverlagen, zeitgleich mit einem über den internationalen Verlegerverband Ifra koordinierten Feldversuch zu beginnen. Große Namen finden sich darunter: Die "New York Times" ist dabei, deren Chef Arthur O. Sulzberger Jr. schon vor Jahren meinte, er werde seinen Lesern die Zeitung auch telepathisch ausliefern, wenn die das so wollten. Er steht für eine Verlegergeneration, für die "Zeitung" nicht mehr an die physische Gestalt des Trägermediums gebunden ist, sondern an die Art und Qualität der Inhalte.
Zeitung: Alte-Leute-Medium?
Vor wenigen Jahren lachten gestandene Zeitungsleute noch über solche Ansichten, inzwischen ist ihnen das Lachen vergangen. Die anhaltende Zeitungskrise beutelt eine Branche, die vor allem daran leidet, dass ihre Zielgruppe immer älter wird: Inzwischen wird immer mehr Verlegern klar, dass Medienrezeption vor einer grundlegenden Veränderung steht. Wie das Produkt Zeitung in einigen Jahren gelesen werden wird, ist eine Altersfrage: Alt liest Papier, Jung liest elektronisch.
Oder auch nicht. Aus einem Leserbrief zu diesem Artikel:
"Ich, 81 J., lese seit sechs Jahren nur noch elektronisch.
W. Dobisch"
Neben der "New York Times" sind beim bereits laufenden Modellversuch, bei dem Gruppen von Abonnenten mit elektronischen Lesegeräten von iRex ausgerüstet werden, auch die Hearst Corp. mit zwölf ihrer Zeitungen, Pearson in Großbritannien, "Les Echos" in Paris, das belgische Finanzblatt "De Tijd", in Deutschland die direkten Konkurrenten "Rheinische Post" und "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" mit an Bord. Insgesamt verhandelt der internationale Verlegerverband Ifra, der die Versuche in seiner auf drei Jahre angesetzten eNews Initiative koordiniert und begleitet, mit 21 Zeitungen in 13 Ländern. Sie alle setzen auf E-Ink-Technologie, wie sie seit Jahren vor allem von Xerox, vom Massachusetts Institute of Technology MIT und Philips forciert wird.
Dem jetzt vorgelegten iRex-Reader iLiad liegt allerdings die E-Ink des gleichnamigen Unternehmens zugrunde, basierend auf den Entwürfen des Media Lab am MIT. Zu den Investoren von E-Ink zählen unter anderem Intel und Philips, aber auch Vivendi, Motorola oder Degussa. Auch Sony und Seiko Epson werden noch in diesem Sommer mit dem Verkauf solcher Geräte beginnen, der französische Testlauf soll von Sony bestückt werden - und wieder einmal werden für das nächste Jahr flexible Versionen erwartet.
Ziel: die Schriftrolle
Das Rennen läuft hier vor allem zwischen E-Ink sowie Xerox Corp. und Hewlett-Packard, die alle binnen Jahresfrist flexible, bezahlbare E-Papiere vorlegen wollen. Die Vision, wie das am Ende aussehen wird, ist allen gemein: Irgendwann einmal soll man die elektronischen Papiere, die dann über Onlinemedien stets frisch beladen etliche Inhalte vorhalten sollen, aufrollen und in die Tasche stecken können. Vielleicht steht am Ende eine Schriftrolle, die man aus einem Kuli-ähnlichen, schlanken Schutzzylinder zieht - doch das ist zunächst Zukunftsmusik.
Für die beteiligten Verlagshäuser steht jedenfalls fest, dass heute die Weichen für die Zeit nach dem Papier gestellt werden. Investitionen in Drucktechnik brauchen 25 Jahre, um sich zu amortisieren - da kommen manchem Zweifel. Der wichtigste Grund, der den flächendeckenden Erfolg der neuen Lesemedien noch verhindern könnte, ist ihr Preis: Wer gibt schon mehrere Hundert Euro für ein Gerät aus, mit dem man nur lesen kann?
Silizium und Plastik statt toter Bäume
Die Verfechter der Technik glauben, dass dies eine Menge Menschen tun werden: Mobiltelefone seien zu klein für echte, vertiefte Informationen, Laptops eher Arbeitsgeräte. Unterwegs werde sich der Konsument aber auch in dreißig Jahren noch lesend die U-Bahnfahrt verkürzen wollen.
Dieser Medienwechsel muss irgendwann eingeleitet werden. Zur Not werden Verleger ihn möglicherweise subventionieren müssen - mit Lesegeräten zum Abo. Schon aber ist auch da Land in Sicht: Aus Asien könnten in Kürze Lesegeräte kommen, die wenig mehr als 150 Euro kosten.
Das würde die Sache vor allem für die Verleger verbilligen, denn selbst das würden heutige Kunden vielleicht noch als zu viel empfinden - eine Zeitung kostet schließlich wenig. Die Verleger andererseits haben sich längst daran gewöhnen müssen, dass sie mitunter einen iPod oder ein Mountainbike drauflegen müssen, wenn sie ihr Produkt noch verkaufen wollen. Gerade bei neuen Technologien aber hält sich die Masse gern eine Weile zurück.
Zumal die Technik noch ihre Tücken zu haben scheint, die jedem Computernutzer nur allzu vertraut sind: "Mijn device is stuk, wat moet ik doen?" heißt die erste FAQ-Frage, die "De Tijd" für ihre am Lesetest teilnehmenden Abonnenten im Internet hinterlegt hat - "Mein Gerät ist hängen geblieben, was muss ich tun?"