Konzepte hinter Vista "Microsoft hat aus Fehlern gelernt"
SPIEGEL ONLINE: Im November kommt das neue Windows Vista auf den Markt, im Januar auch für Privatanwender. Lohnt sich der Umstieg?
Jörg Geiger: Es gibt auf jeden Fall gute Argumente dafür. Ich würde aber nicht gleich am ersten Tag umsteigen. Denn in der Praxis zeigt sich, dass in den ersten Wochen trotz ausgiebiger Beta-Tests noch Probleme bei ganz neuen Betriebssystemen auftreten, die noch behoben werden müssen.
SPIEGEL ONLINE: Was spricht für Vista?
Geiger: Ein großer Bereich ist die Sicherheit. Es ist zwar nicht so, dass mit Vista alle Probleme gelöst sind: Ein revolutionär neues Sicherheitskonzept konnten wir zumindest bisher nicht erkennen. Microsoft hat aber Fehler aus Windows XP ausgebügelt, Dinge die dort vom Konzept her nicht stimmig waren. Zum Beispiel die Steuerung von Benutzerkonten. Unter XP konnte man nur komfortabel arbeiten, wenn man Administrator war. Viele Programme funktionierten nicht richtig mit eingeschränkten Rechten. Das Problem ist bei Vista elegant gelöst: Selbst wenn man als Administrator unterwegs ist, stellt das System die Nutzerrechte so ein, dass man alle Arbeiten, die sich mit eingeschränkten Rechten erledigen lassen, auch damit erledigt. Erst wenn ich die Systemeinstellungen ändern oder eine Software installieren will, kommt eine gezielte Nachfrage.
SPIEGEL ONLINE: Das hat sich Microsoft offensichtlich von Linux und Mac OS abgeschaut.
Geiger: Diese Trennung von Administrator und normalem Nutzer ist nicht wirklich neu bei Microsoft. Sie war aber nicht konsequent umgesetzt. Wir haben uns immer gefragt: Warum richtet Microsoft XP nicht mit eingeschränkten Nutzerrechten ein? Das Problem: Dies hätte einige Softwarehersteller gezwungen, ihre Programme so zu schreiben, dass sie auch mit eingeschränkten Nutzerrechten funktioniert. Das hat Microsoft nie gewagt.
SPIEGEL ONLINE: Aber bringt die Benutzerkontenkontrolle denn so viel?
Geiger: Sie ein Schritt nach vorn. Wir erwarten deshalb von Vista einen Sicherheitsschub.
SPIEGEL ONLINE: Und was halten Sie von dem Phishing-Filter im neuen Internet Explorer 7?
Geiger: Der ist eine gute Sache. So etwas gehört zu einem aktuellen Browser, wie ja auch bei Firefox zu beobachten ist. Überhaupt ist der Explorer 7 in puncto Sicherheit ein Fortschritt. Wobei man sagen muss, dass der Internet Explorer 6 absolut unterirdisch war - ein völlig veralteter Browser, den man niemandem mehr empfehlen konnte.
SPIEGEL ONLINE: Vista hat mit dem Windows Defender eine Anti-Spyware-Programm an Bord. Warum liefert Microsoft nicht gleich einen Virenscanner mit?
Geiger: Das wäre sicher für die Benutzer besser. Aber eine ganze Fraktion von Antiviren-Software-Herstellern will das nicht. Zudem hat Microsoft in Europa schon genug Probleme mit der Integration zusätzlicher Software in Betriebssysteme. Es gibt ohnehin Ärger mit dem Windows Defender, weil Microsoft da auch ein bisschen unsauber arbeitet. Die Antiviren-Software-Hersteller haben uns berichtet, dass Microsoft seinen Defender sehr tief ins System einbaut und den anderen nicht die Schnittstellen zur Verfügung stellt, die der Defender nutzt. Angeblich soll sich das aber noch ändern.
SPIEGEL ONLINE: Halten Sie den Defender denn für eine gute Sache?
Geiger: Ja. Uns stört aber, dass dieses Anti-Spyware-Tool ungefragt nach Hause telefoniert. Die Software arbeitet nicht nur mit Signaturen, um womöglich schädliche Programme zu erkennen, sondern benutzt auch eine Anti-Spyware-Community. Da wird geprüft, ob ein Programm, das über keine Signatur zu identifizieren ist, eventuell schon ein anderer aus der Community auf seinem System installiert hat und was er damit macht. Der Defender macht sogar Vorschläge, wie man mit dem Programm umgehen soll. Das Problem ist, dass man automatisch in dieser Community ist, die witzigerweise auch noch Spynet heißt, wenn man die empfohlenen Sicherheitseinstellungen auswählt. Unter XP lässt sich der Defender auch nutzen. Hier wird man aber auf die Community hingewiesen. Bei Vista ist der Defender dabei, und man sieht davon nichts. Von der Idee her ist eine solche Community sicher nicht falsch, aber es fehlt ein Abfragefenster: "Wollen Sie Mitglied bei Spyware werden? Dann werden folgende Daten übertragen..."
SPIEGEL ONLINE: Zur Bedienung: Wie finden Sie Vista im Vergleich zu XP und Mac OS X?
Geiger: Wer XP kennt oder frühere Windows-Versionen, kann Vista ohne Probleme benutzen. Wir haben aber festgestellt: Wer XP besonders gut kennt und viele Shortcuts nutzt, hat erst einmal einige Anlaufschwierigkeiten, weil einiges ein bisschen anders ist. Die Oberfläche wurde aufpoliert, man ist da noch verspielter geworden als bei XP. Das geht alles in Richtung Mac OS X. Auch die 3D-Effekte kennt man vom Mac, da hat man sich wohl inspirieren lassen. Uns gehen die Neuerungen aber nicht weit genug.
SPIEGEL ONLINE: Warum nicht?
Geiger: Bei vielen Funktionen an der Oberfläche hat man den Eindruck, als wollte man zeigen, was für nette grafische Funktionen mit neuer Technik möglich sind. Mitunter fragt man sich, was einem das bringt. Was ich cool fände, aber nicht verwirklicht wurde: Eine Funktion, durch die ich per Shortcut alle offenen Fenster eines Programms einblende.
SPIEGEL ONLINE: Vista wird in fünf Versionen erscheinen von Home Basic über Business bis Ultimate. Welche empfehlen Sie für Privatanwender?
Geiger: Die Versionen unterscheiden sich nicht so dramatisch. Die kleinste Ausgabe "Home Basic" hat die neue Oberfläche noch nicht, auch das Media Center fehlt. Deshalb erwarten wir, dass die meisten OEM-PCs mit der Version "Home Premium" kommen. Da gibts die neue Oberfläche, das Media Center - also alles, was man von einem modernen Heim-PC erwartet, den man für Multimedia nutzen will. Die Ausgaben "Business" und "Enterprise" sind nur für Firmen interessant. Die "Ultimate"-Ausgabe hat alle Funktionen an Bord, unter anderem eine Funktion zum Verschlüsseln der Festplatte. Die meisten Privatanwender dürften aber mit "Home Premium" gut bedient sein.
SPIEGEL ONLINE: Was halten sie vom Aktivierungszwang und der Beschränkung, dass Vista nur zweimal installiert werden kann?
Geiger: Das sehen wir sehr kritisch. Das System schaut immer wieder nach, ob die Lizenz noch gültig ist und ob der Rechner auch korrekt aktiviert wurde. In den Lizenzbestimmungen steht auch explizit, dass das System ab und zu nach Hause telefoniert. Sollte es Probleme geben, wird das System in seinen Funktionen beschnitten, es wird dann praktisch unbenutzbar.
SPIEGEL ONLINE: Das Ganze soll ja Raubkopien verhindern.
Geiger: Microsoft versucht hier gegen Raubkopierer vorzugehen, erwischt aber den normalen Nutzer. Man stellt alle Anwender unter Generalverdacht. Die Praxis zeigt nur, dass Raubkopierer immer einen Weg finden. Dadurch dass Microsoft alle fünf Vista-Versionen auf eine DVD brennt und die jeweilige Variante erst über den Key beim Installieren ausgewählt wird, öffnet das Unternehmen aus unserer Sicht Raubkopierern Tür und Tor. Die Leute kaufen sich dann eine "Home Basic" und cracken sich einen Key für die "Ultimate". Es ist ja fast schon eine Herausforderung, dies zu tun.
Die Fragen stellte Holger Dambeck