Mini-Transistoren Betrug im Vorzeigelabor?
Der Name ist eine absolute Vorzeigeadresse: Den Bell Labs in New Jersey verdankt die Welt zahllose Hightech-Erfindungen, ohne die das moderne Leben wohl kaum vorstellbar wäre: Laser, Datenübertragung über Glasfaserkabel oder moderne Kommunikationssatelliten wurden hier erfunden. Doch vor allem ein elektrisches Bauteil hat das Großlabor, inzwischen Teil des Lucent-Konzerns, berühmt gemacht: der im Jahr 1947 vorgestellte Transistor.
Er löste in Elektrogeräten binnen kürzester Zeit die sperrigen Vakuumröhren und Schaltrelais ab. Unzählige Milliarden von Transistoren wurden seitdem weltweit hergestellt und arbeiten in nahezu jedem Elektrogerät - vom Space Shuttle bis zum Kofferradio.
Eine Aufsehen erregende Weiterentwicklung des allgegenwärtigen Bauteils präsentierte Lucent im vergangenen Oktober. Ein organischer Transistor mit Schaltern, die nur aus einem Molekül bestehen sollten.
Das Bauteil, das eine Million Mal kleiner ist als ein Sandkorn, wurde von dem Unternehmen als "Wegbereiter einer neuen preiswerten Hochgeschwindigkeitselektronik auf Kohlenstoffbasis" gefeiert und zog eine ganze Reihe an Nachfolgestudien nach sich.
Insbesonders der Rolle von Fullerenen und speziellen Kunstsstoffen widmeten Forscherteams der Bell Labs ihre Aufmerksamkeit, veröffentlichten Aufsätze in wissenschaftlichen Fachzeitschriften wie "Science", "Nature" und "Applied Physics Letters".
Unter einigen Wissenschaftlern lösten die Veröffentlichungen allerdings Skepsis aus. Versuche, die Ergebnisse zu reproduzieren, scheiterten zunächst - was allerdings nicht zwangsläufig ungewöhnlich ist.
Wurden Daten manipuliert?
Doch Anfang Mai erreichten Lucent offenbar dringende Signale, dass mit den Forschungsergebnissen etwas nicht stimmen könne.
Der Vorwurf: Daten sollen manipuliert worden sein. Konkret: In fünf verschiedenen Studien der Bell Labs kamen Grafiken zum Einsatz, die angeblich entweder identisch waren oder aber auf identischen Datensätzen beruhten - beides würde die Ergebnisse der jeweiligen Studien diskreditieren.
"Wir haben entsprechende Informationen aus der wissenschaftlichen Community von außerhalb des Unternehmens erhalten", bestätigt Firmensprecher Rich Teplitsky im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Wer genau den Hinweis gab, das will der Firmensprecher lieber für sich behalten.
Doch egal wer es war, es dürfte wohl jemand mit einem gehörigen Maß an Reputation gewesen sein, der Lucent da warnte. Denn die Firma berief kurzfristig eine hochrangig besetzte Untersuchungskommission ein, die vom Stanford-Professor Malcolm Beasley geleitet wird und der auch der deutsche Physik-Nobelpreisträger Herbert Kroemer angehört.
Prestigeadresse: Die Bell Labs sind Lucents Aushängeschild, Forscher heißen hier "Innovators"
Das fünfköpfige Gremium soll nun bis zum Ende des Sommers unter anderem die auffälligen Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Datenreihen untersuchen, die eigentlich rein gar nichts miteinander zu tun haben dürften.
An allen fraglichen Publikationen war der deutsche Physiker Jan Hendrik Schön beteiligt. Er leitete auch das Team, das den vermeintlich kleinsten Transistor der Welt vorstellte. Momentan wolle sich Schön nicht öffentlich zu den Vorwürfen äußern, heißt es bei Lucent. Er werde jedoch mit der Kommission zusammenarbeiten.
In einem Gespräch mit der Internetausgabe des Fachmagazins "Science" hatte der Wissenschaftler seine Datenreihen noch Anfang der Woche gegen Kritik verteidigt. Es sei nicht verwunderlich, wenn ähnliche Experimente auch ähnliche Daten lieferten, sagte Schön.
Ob die Dinge tatsächlich so einfach liegen, muss die Beasley-Kommission nun herausfinden. Von den Ergebnissen hängt auch ab, ob der Name der hochangesehenen Bell Labs Schaden davon trägt. Sorgen um den Ausgang der Affäre müssten sich im schlimmsten Fall allerdings auch die großen Wissenschaftszeitschriften wie "Science" oder "Nature" machen - schließlich hatten die fraglichen Arbeiten das Begutachtungssystem der Publikationen ohne Probleme passiert.