Müll-Problematik Flut der Silberscheiben
Das Recycling überflüssig gewordener CD-Datenträger geht selten geregelte Wege. Was man aus Britney Spears, Shakira, Harry Potter oder dem Deutschen Digital-Telefonbuch alles machen kann, zeigen findige Medienkonsumenten. "Wir sind immer wieder von der Phantasie der Nutzer überrascht", sagt Eric Völter, der Geschäftsführer der Verwertungsfirma Remedia im schleswig-holsteinischen Vaule.
Die gebrauchten CDs, aufgehängt an Büschen und Bäumen, dienen beispielsweise im ländlichen Raum zur Wildabwehr an befahrenen Straßen. In den Aluminium-bedampften, silbrigen Beschichtungen reflektiert das Licht der Autofahrer und warnt querende Tiere. Andere hängen sich die glänzenden Scheiben an den Rückspiegel in der Hoffnung, die Radarfallen der Polizei auszutricksen. Nach Meinung von Fachleuten kein probates Mittel, da man schon "eine ganze Batterie" (Völter) im Kampf gegen das behördliche Blitzen aufhängen müsste.
Ungeliebten Nachbarn kann man dagegen den TV-Genuss mit ein paar geschickt im Signalstrom zwischen Satellit und Schüssel aufgehängten Alt-CDs vermiesen das Bild flackert. Segler finden wiederum ihre Freude an den Zentimeter großen Löchern der stabilen und wasserresistenten Plastikscheiben an Bord, die sich zum gezielten Absetzen von Notrufsignalen einsetzen lassen und in der Rettungsausrüstung teurere Spiegel ersetzen können.
Auch flacher Müll türmt sich zu Bergen
Der praktische Datenträger Compact Disk, CD, und seine Verwandten wie CD-Rom oder DVD sind weltweit weiter auf dem Vormarsch. Waren es zur Jahrtausendwende noch 20 Milliarden Silberscheiben, verdoppelte sich bis 2005 die Zahl der jährlich hergestellten Scheiben auf 40 Milliarden auf jeden Erdenbürger kommen statistisch knapp 7 Scheiben pro Jahr.
Die aber leben nicht ewig - oder werden irgendwann schlicht nicht mehr gebraucht. In Deutschland sind es geschätzte 400 Millionen Scheiben, die jährlich aussortiert werden. Immer häufiger setzen Verlage die multimedialen Datenträger als kostenlose Werbemittel ein, die sich bei den Verbrauchern stapeln. Ein Großteil davon wandert über die Hausmülltonne in die Verbrennung - trotz mehrjähriger Aufklärungskampagnen des Umweltbundesamtes (UBA), dass die "Alt-CDs für die Mülltonne zu wertvoll" seien.
Tatsächlich liegt die Recyclingquote für die 8000 Tonnen jährlichen Scheibensalats nach Branchenschätzungen lediglich bei fünf Prozent. "Die Umweltämter wuppen es einfach nicht vernünftige Sammelsystem einzurichten", sagt der CD-Fachmann Völter, der jetzt sogenannte "small bags" für Firmensammlungen entwickelte. Denn das Zeug ist in Zeiten des Klimaschutzes einfach zu schade zum wegwerfen. Jede CD besteht aus hochwertigem Polycarbonat, ein vielfältig verwertbarer Kunststoff, der mit Aluminiumpartikeln als Datenträger und Lacken beschichtet und bedruckt ist.
Recycling erhöht den Wert
Nachdem Spezialmaschinen bei den mittelständischen CD-Recyclern Beethoven, Bach oder den Tom Cruise-Blockbuster abgerubbelt haben, bleibt ein grauer Plastik-Rohling übrig. Jede Scheibe entspricht dem Rohstoffwert von 30 Gramm Erdöl, aus dem die Scheibe entstand. Mit den millionenschweren CD-Beilagen der großen Publikumszeitschriften könnten Reihenhaussiedlungen den Winter durchheizen.
Aus dem geschredderten und eingeschmolzenen Material entstehen bei der Fachverwertung gebrauchte Plaste. Die sind dann geeignet für Brillengestelle, Monitorgehäuse oder Stoßfänger in der Autoindustrie. Der Preis für das Recyclat erreicht auf Grund der Nachfrage aus China derzeit immerhin bis zu 1200 Euro pro Tonne, während CD-Abfall bereits ab 200 Euro zu haben ist.
Auch Fehlpressungen oder Remittenden erhöhen den europäischen CD-Berg. "Früher hatten wir Milchseen und Butterberge", sagt Christoph Osterroth von der bayerischen Fachfirma Newcycle. Hier lagern auf dem Betriebshof in Großhelfersdorf bei München auch die feinen Überproduktionen von Hörbuchverlagen, Klassikanbietern oder Softwarehäusern. Die flache Ware wird lieber vernichtet, als auf Gebrauchtmärkten oder via Wühltisch verhökert. Nur so können die Plattenfirmen auch die fälligen Gema-Gebühren sparen.
Die Einweg-CD: Eine Verschlimmbesserung?
Aber der CD-Berg wird weiter wachsen. Schon entwickeln Marketingstrategen die "Einweg-CD" oder "Einweg-DVD", die sich nach einmaligem Konsum selbst auflöst. Durch das Abspielen über den Laser wir eine Lackschicht gestrafft, die wiederum die darunter liegenden Daten zerstört.
Der Scheiben-Suizid wird von US-Firmen wie Spectra Disc oder Flexplay als "ideale Werbemöglichkeit" propagiert. Für das Ausleihgeschäft von Videotheken gäbe es sogar ökologische Vorteile, da der klimabelastende Rücktransport der DVD mit dem Auto wegfiele. Für Rüdiger Rosenthal vom Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland birgt die Wegwerf-CD die Chance, dass ein "vernünftiges Recycling" zwingend notwendig wird. Abfallfachmann Martin Waldmann aus dem Bundesumweltministerium hält die Instant-CD dagegen für "wenig begrüßenswert".
Dass die CD, nach Schellack-oder Vinylplatte, Magnet-Tonband, Tonbandkassette oder Mini-CD selbst kein sicherer Datenträger ist, haben inzwischen eine Reihe von Alterungsstudien ermittelt. Je nach Gebrauch, Lichteinstrahlung oder Temperatur geben skandinavische Simulations-Versuche den Silberscheiben nur eine Laufzeit von rund drei Jahrzehnten. Zur Zerstörung der Datenbasis reicht schon eine leichte Welle auf dem Datenträger durch Sonneneinstrahlung.
Und noch ganz andere gefräßige Gegner warten auf die Silberscheiben. Am Museum für Naturgeschichte in Madrid wurde ein Pilz aus der Familie der Geotrichum aus dem mittelamerikanischen Belize identifiziert, der sich gerne auf modernen Compact Disks ansiedelt. Er zerlegt die Aluminiumbeschichtung und Polycarbonat auf natürlichem Wege, sofern Luftfeuchtigkeit und Raumtemperatur stimmen.