Wahrnehmung Feel good
Der erste Prototyp war "beleidigend groß". Grinsend beschreibt Louis Rosenberg mit beiden Armen einen Kasten, fast halb so groß wie ein Schreibtisch. In dieser enormen schwarzen Box steckte die Technologie für eine besondere Erfindung: die erste Computermaus, die den Bildschirm mit Gefühl versehen soll. Zusammen mit zwei weiteren Stanford-Abgängern schleppt Rosenberg das unförmige Teil von Präsentation zu Präsentation, auf der Suche nach Investoren. Heute, fünf Jahre später, ist die Box so klein wie eine Zigarettenschachtel, die Feelit-Mouse beinahe serienreif und Rosenberg Chef einer 45-Mitarbeiter-Firma mit Millionen-Dollar-Etat.
Fühlen, was am Bildschirm sichtbar ist? Viele, die das zum ersten Mal hören, denken an Science-Fiction-Filme oder auch: Ein schlechter Witz! Den Präsidenten von "Immersion" überrascht das nicht. Deshalb läßt Rosenberg Besucher gern an den Firmencomputer, weil sich so die Tragweite der Idee viel schneller erschließt. Tatsächlich: Was auch immer auf dem Bildschirm auftaucht, hat den versprochenen Touch. Ein Klick auf einen blauen Kreis und plötzlich entsteht unter dem rechten Zeigefinger ein klebrig-öliges Gefühl, wie Melasse. Ein paar Mal mit dem Cursor über die grüne Streifenfläche das fühlt sich an wie Cordsamt. Die Ecken von Schreibdokumenten ziehen den Cursorpfeil an wie ein Magnet. Jetzt zum digitalen Eiswürfel: An dem gleitet der Zeigefinger scheinbar ständig ab.
Dieser Ansturm auf die Sinne wird möglich mit einer Maus, die so grau ist wie jede andere Computermaus. Eine Überraschung gibt es bei der Benutzung: Das Teil vibriert leise unter den Fingerspitzen, ein zartes kratzendes Geräusch ist zu hören. Die futuristische Maus ist fest mit ihrem MausPad verbunden, das am Ende leicht erhöht ist, um die Elektronik unterzubringen.
Das Experimentier-Utopia vergeht im Flug. Eine halbe Stunde später geht leise die Tür auf und ebenso zurückhaltend kommt der Mann wieder herein, der den Tastsinn des einfachen Computerbenutzers erwecken will. Louis Rosenberg ist 29 Jahre alt und auf Long Island aufgewachsen, im USBundesstaat New York. Leicht gerötete Wangen im blassen Vollbartgesicht, brave Manieren und auch so angezogen. "Just a regular guy", sagen die Amerikaner. Natürlich nicht ganz: Rosenberg hat an der kalifornischen Eliteuniversität Stanford studiert und seine Dissertation in Haptik verfaßt, der Lehre des Tastsinns. Womit wir beim Thema wären.
Von Computern war er früh fasziniert. Im Alter von 14 Jahren programmiert der Sohn eines Zahnarztes und einer Lehrerin pädagogische Spiele. Eine Leidenschaft für greifbare Ergebnisse? Nichts dergleichen. Trocken erzählt der Firmenchef, daß er während seines Studiums in Stanford hin- und hergerissen war zwischen "Ingenieurwesen und der Psychologie der Wahrnehmung." So ergibt es sich, daß er die Experimente für seine Doktorarbeit am Ames Forschungszentrum der NASA im nahen Mountain View macht.
Die Einrichtung verfügt aber damals über den einzigen "Joystick mit Gefühl" in den USA, entwickelt für die Raumfahrt. Die Technologie, die dabei genutzt wird, ist heute etwa 25 Jahre alt und heißt Force Feedback. Ein komplexes System von Mikroprozessoren und Sensoren erlaubt Wissenschaftlern den Tastsinn zu simulieren, etwa wenn sie einen Roboter im Ferneinsatz lenken. Um manchen am Computer Vergnügen zu bereiten, war die Technologie jedoch zu unförmig und zu teuer: "Für die Experimente brachten wir viele Leute von der Straße rein und alle sagten: Zu schade, daß der Steuerknüppel 100.000 Dollar kostet und nicht 100 Dollar". Der junge Student sieht eine Marktlücke. 1993 gründet Rosenberg die eigene Firma, noch während er seine Dissertation schreibt.
Wie sich das für eine gute Silicon-Valley-Firma gehört, fing das Unternehmen klein an, in einem 20 Quadratmeter-Labor im Städtchen Palo Alto bei Stanford. Schwierigkeiten, Geldgeber für die Idee zu finden? Keine, sagt Rosenberg knapp und schüttelt den Kopf. Zweifel? Nicht wahrnehmbar. Die Firma wächst schnell. Alle sechs Monate fast muß der Büroraum verdoppelt werden, die Zahl der Mitarbeiter steigt. Die ersten drei Jahre wird bei Immersion rund um die Uhr gearbeitet. Rosenberg hat kein freies Wochenende und keinen Urlaub. Seine Frau beklagt sich nicht. Sie studiert in der Zeit Veterinärmedizin und ist genauso "busy" wie er selbst, sagt der junge Ehemann. Heute läuft der Laden, der Firmenchef muß an den Wochenenden nicht mehr in der Firma arbeiten, "höchstens von zu Hause aus".
Anfang 1997 kommt die Anerkennung eines Branchenriesen: Dem Startup gelingt es, den Computergiganten Intel für das ungewöhnliche Objekt zu gewinnen. Eine Million Dollar Kapital kommen rein. Das war natürlich "erfreulich", Champagnerkorken knallen dennoch keine. Rosenberg nüchtern, als ginge es um eine Einladung zum Pizza-Essen: "It was no big deal, really". In diesem Jahr ist die Firma Logitech zum größten Geldgeber geworden, Intel investiert ebenfalls weiter in die Technologie.
1996 kam Immersion mit I-Force auf den Markt, einer Technologie, die an bisher 18 Firmen lizensiert wurde. Damit lassen sich Steuerknüppel und Lenkräder für Computerspiele "aufmotzen". Wer etwa am Bildschirm mit dem Rennwagen über Pflastersteine rast, kann das Geholper am Lenker spüren. 19 US-Patente hat die Firma, weitere 50 sind beantragt. Soviel Erfindungsreichtum weckt Interesse: "Microsoft wollte 1995 exklusive Rechte für unsere Technologie kaufen", sagt der Firmenchef mit regungslosem Profigesicht. Weil das "Ende der Unabhängigkeit droht", bleibt der Softwareriese jedoch erfolglos.
Rosenberg träumt davon, daß "feel" genauso wie Sound und Audio demnächst Teil der täglichen Computererfahrung wird. Mit der Feelit-Maus soll der finanzielle Durchbruch gelingen: Ab 1999 erwartet Rosenberg Gewinne für sein Unternehmen. Die sinnliche Maus, die Mitte nächsten Jahres für 129 Dollar auf den Markt kommen soll, entfaltet ihr Eigenleben mit Windows 95 und 98. Denn für das neue Bildschirmgefühl muß auch die Software jeweils programmiert werden. Bald dürften jedoch mehr Programme Gefühl zeigen: Hunderte von Softwareentwicklern hätten sich registrieren lassen, mit Apple arbeite man ebenfalls zusammen, sagt Rosenberg. "Wer es einmal ausprobiert hat, stellt fest, wie sehr der digitalen Welt der Touch fehlt", schwärmt der Firmenchef. Er sieht zahllose Möglichkeiten für den Einsatz des Tastsinns am Schirm: Von Software für den Unterricht, über Design bis zur Werbung im Netz. Und natürlich, räumt er leicht verlegen ein, könnte die Gefühls-Maus eine Branche besonders beflügeln: Die Cybersex-Industrie.
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