90-60-90 Miss-Wahl programmierter Schönheiten
Sie heißen Katty Ko, Dalila, Kaya und Laelia. Sie haben nicht enden wollende Beine, schmale Hüften und Körbchengröße Doppel-D. Ihre Haut ist rein und faltenlos. Die Stupsnäschen mit den schmalen Nasenrücken recken sie frech in die Kamera, sie lächeln lasziv und zwinkern. Fast könnte man glauben: Die haben es alle nur auf mich abgesehen.
Anfassen kann man die Bellas aber nicht. Es sind leider nur Animationen, von Computerprogrammierern für einen digitalen Beauty-Contest auf den Laufsteg geschickt. "Miss Digital World" ist der erste Schönheitswettbewerb programmierter 3D-Schönheiten. Eine neapolitanische Multimedia-Agentur richtet die Miss-Wahl aus, die heute um Mitternacht entschieden wird. Die schönen Kandidatinnen präsentieren sich teilweise schon seit November 2003 auf dem virtuellen Laufsteg. "Wir suchen das aktuelle Schönheitsideal, gesehen durch Brille der virtuellen Realität", sagt der Agenturchef Franz Cerami.
Der Phantasie der Teilnehmer hat er dabei keine Grenzen gesetzt: Anders als die realen Miss-Wahlen, wo die Models im Einheitslook auftreten, ist das digitale Schaulaufen eine Veranstaltung mit vielen Überraschungen. Da tänzelt ein pralles Mädel im silberfarbenen Catsuit rum. Dawn, ein elfengleiches Wesen mit schwarzen Haaren, hüpft mit Schmetterlingsflügeln über Äste. Die rothaarige Rayne hat Vampirszähne. Eines aber haben sie alle gemein, wie ihre im Internet veröffentlichten Steckbriefe verraten: Die Traummaße 90-60-90.

Digitale Schönheiten: Avatare auf dem Laufsteg
Die Mädchen sind auf dem digitalen Zeichenbrett entstanden. Ihre Erschaffer zeichnen zuerst eine Hülle aus silbergrauen Maschen, dann verpassen sie ihren Figuren ein komplettes Skelett, und zum Schluss überziehen sie den Körper mit einer glatten Haut. Mehrere Monate dauert es, bis so ein Avatar körperlich ausgearbeitet ist. Dann erst haucht ihm sein Animator Leben ein, er lässt ihn wie eine Marionette an seinen Pixelgelenken durch den Raum wandern.
Miss-Wahlen-Veranstalter Cerami preist die Vorteile der formbaren Models an: "Sie können auf Shootings in New York und Paris gleichzeitig sein." Auch als Schauspielerinnen seien sie einmalig: "Sie tun genau das, was der Regisseur von ihnen will." Keine Zicken, keine Kapriolen, keine Sonderwünsche.
Wie die Zeremonie ablaufen wird, wenn heute um Mitternacht der schönste aller weiblichen Avatare gekürt wird, will der Veranstalter noch nicht verraten. Die digitalen Damen präsentieren sich im Netz mit mehreren Fotos und einem Video. Steckbriefe informieren nicht nur über Brust-, Taillen- und Hüftumfang, sondern auch über Herkunft und Hobbys. Letztere reichen vom Kampfsport bis zum Singen. "Training my pixels" nennt Tasha als ihre bevorzugte Freizeitbeschäftigung.
Wer am Ende das Rennen macht, entscheidet keine erlauchte Jury, sondern die ganze Web-Community. Jeder kann sein Votum abgeben. Rund 50.000 Stimmen wurden bereits verteilt. Die zur "Miss Digital World" gewählte Pixelschönheit darf diesen Titel ein Jahr lang tragen, ihr Erzeuger erhält einen Goldbarren im Wert von 5000 US-Dollar.
Die Animatoren sind Computerfreaks, Künstler oder Werber. So manche Miss-World-Kandidatin ist bereits als professioneller Avatar im Einsatz. Webbie etwa ist der weibliche Gegenpart zum Deutschen-Telekom-Robert und wirbt für eine südamerikanische Telefongesellschaft. Wenn die Vampirfrau Rayne nicht auf dem virtuellen Laufsteg steht, verbreitet sie in einem Computerspiel Angst und Schrecken. Pompea, mit 1,60 Metern die kleinste Teilnehmerin, arbeitet in ihrem Alltag in einem Museum in Süditalien. Sie demonstriert den Besuchern das Schönheitsideal und die Kleidung der Antike.
Der Berliner Kai Hofmann, 32, hat Adrien ins Rennen geschickt . "Adrien", sagt er, "ist eine richtige Berlinerin, sie hat die blasse Haut der Hauptstädter und ist ein bisschen 'Eighties'". Pinkfarbenes Rouge schmückt Adriens hohe Wangenknochen, ihr dunkelbraunes Haar klebt in steifen Wellen an ihrem Kopf. Die comicähnliche Anmutung ist gewollt: "Sie ist ja keine Gummipuppe, sondern ein Computeravatar", sagt ihr Erzeuger.
Adriens Hobby ist die Kampfkunst. Wie ein Ninja-Känpfer schwebt sie durch den Raum, schlägt Saltos und dreht Pirouetten. Eigentlich hatte Kai Hoffmann den Avatar zu einem anderen Zweck geschaffen. Adrien sollte als trendige Stadtführerin Touristen durch das virtuelle Berlin führen. Dafür habe sich aber kein Geldgeber gefunden. Der Beauty-Contest war Adriens Rettung vor dem Vermodern auf der Festplatte.
Eine ihrer Konkurrentinnen ist Laelia aus der Animationswerkstatt von Anton Tyrolla, 41, aus Ingolstadt. Der Schönheitsprogrammierer und Vater von vier Kindern versteht sich nicht als Macho, auch wenn sein virtueller Schützling alles hat, was dem Klischee einer Sexbombe entspricht. "Ich bin Künstler und habe den Computer als Medium für mich entdeckt. Toll, welche Ausdrucksmöglichkeiten 3D-Animationen eröffnen."
Eine wahre Computerschönheit zu schaffen ist gar nicht so leicht. Trotz perfekter Maße und makelloser Haut haben die Pixel-Königinnen mit Fehlern zu kämpfen. Laelia watschelt im Entengang über den Laufsteg. Tasha hat offensichtlich Probleme mit der Hüfte und Dalila einen sonderbaren Tick: Jedes Mal, wenn sie den Mund zum Reden öffnet, ziehen sich ihre Augenbrauen zusammen und sie blinzelt.
Klare Favoritin der Wahl zur "Miss Digital World" ist Katty Ko . Die dunkelhaarige Klassefrau ist das Abbild einer chilenischen Schauspielerin, die in einer beliebten südamerikanischen Soap-Opera mitwirkt. Die echte Katty heißt mit Nachnamen Kowaleczko, ihr virtuelles Pendant ist ein Geschenk von ihrem Ehemann. Einen Tag vor der Entscheidung hat Katty Ko bereits 17.000 Stimmen erhalten und damit ihre Konkurrentinnen weit hinter sich gelassen.
Seine Beliebtheit verdankt das virtuelle Model wohl der Bekanntheit seiner Schwester aus der realen Welt. Inzwischen haben sich die Verhältnisse fast schon umgekehrt. Die südamerikanischen Medien reißen sich mehr denn je um die Schauspielerin, weil sie das Vorbild von Katty Ko ist, dem vollbusigen Superstar aus dem virtuellen Beauty-Contest.