Abmahnungen gegen Blogs Notwehr als Geschäftsmodell

Zeitungen: Das Print-Geschäft in den USA schwindet, Online-News sind unter Druck
Foto: A3276 Martin Gerten/ dpaÜber 100 Blogger und kleinere News-Aggregatorenseiten in den USA haben in den letzten Monaten Post von Righthaven LLC bekommen. Der Inhalt ist immer derselbe: Es ist eine Abmahnung, die für die angebliche Verletzung von Copyrights eines Klienten der Kleinkanzlei 75.000 bis 150.000 Dollar verlangt, sowie die Überschreibung der Webadresse des Rechte verletzenden Blogs auf Righthaven LLC.
Die rührige kleine Firma sorgt damit seit Anfang des Jahres für hitzige Diskussionen - und für das Entstehen eines ganz neuen, kleinen Wirtschaftszweiges: Konkurrierende Kanzleien bieten inzwischen spezielle Beratungs- und Verteidigungsdienste gegen die Abmahnungen der im Web als "Copyright-Trolle" beschimpften Anwaltsfirma an. Auch bei den auf Web-Themen spezialisierten Bürgerrechtlern der Electronic Frontier Foundation EFF häufen sich die Hilfs-Anfragen, die Organisation will versuchen, so viele der Blogger zu verteidigen wie möglich.
Wie viele das sein werden, ist allerdings längst nicht raus: So einige der Hobby-Nachrichtenseitenbetreiber lassen es auf ein gerichtliches Verfahren gar nicht erst ankommen, denn vor dem Kadi drohen im Extremfall drakonische Strafen. Da unterzeichnen viele lieber Unterlassungserklärungen, überschreiben ihre Domains und zahlen eine verminderte Gebühr, die meist zwischen 2000 und 4000 Dollar liegen soll.
Der bisher bizarrste Fall betraf die Drogen-Lobbyorganisation National Organization for Reform of Marijuana Law (NORML): Sie zahlte im Juni 2185 Dollar, um weitere Kosten zu vermeiden - obwohl sie selbst gar keine Urheberrechte verletzt hatte. Auf der Webseite von NORML liefen automatisch eingespielte Schlagzeilen eines News-Aggregators ein, Righthaven klagte daraufhin wegen Rechteverletzung - wegen eines Links hin zu einem Link. Zynikern könnte da durchaus die Frage in in den Sinn kommen, was die denn wohl geraucht haben.
Doch wie man die Sache auch dreht und wendet, ob man sich von der Aggressivität der Methode schockieren oder von den Verrücktheiten so manchen Falles verblüffen lässt - das Geschäftsmodell hat natürlich Erfolg . Allein in der letzten Woche klingelte es mindestens zweimal in der Kasse von Righthaven LLC. Insgesamt sollen in den letzten Monaten rund 30 Blogger und andere Web-Seiten gezahlt haben - Righthavens Umsatz wird längst auf sechsstellige Höhe geschätzt.
Mit gekauften Rechten Abmahner auf eigene Rechnung
Wohlgemerkt Umsatz, nicht Profit, denn Righthaven hat auch Auslagen, die über das bloße Porto hinausgehen: Die Strategie der Firma fußt darauf, die Rechte an von Bloggern abgekupferten Artikeln von den betroffenen Verlagen zu erwerben und dann als Verletzung eigener Rechte abzumahnen. Als Kläger treten so nicht die Verlage und Urheber selbst auf, sondern Righthaven als Verwerter ihrer Rechte. Spätestens an diesem Punkt steigt selbst in der juristischen Kollegenschaft der Adrenalinspiegel: Zu deutlich riecht das nach Geschäftemacherei, nach Ausnutzung des geltenden Rechtes für kommerzielle Zwecke - korrekt in der Sache, aber unethisch im gewählten Ansatz .
Doch offenbar trifft es auf Interesse von Verlagen, die vor allem das abschreckende Potential sehen, und senkt dort auch die Hemmschwellen: Anfang der Woche nahm das in Las Vegas ansässige Righthaven einen zweiten Verlag unter Vertrag , der versucht, sein Geld mit Regionalzeitungen zu machen. Das aber wird in den USA zunehmend zu einem Ding der Unmöglichkeit. Umsätze und Leserzahlen schwinden seit Jahren, der Werbemarkt für großformatige Anzeigen ist kollabiert, während die klassische Kleinanzeige seit Jahren kaum mehr existiert. Dieses einst so lukrative Geschäft der Regionalblätter wurde fast komplett von Ebay und - in den USA - vor allem von Craigslist gefressen.
Immer mehr Zeitungen versuchen darum, Wege zu finden, auch im Web Geld von ihren Lesern zu erhalten. Gerade lokale Nachrichten gelten Experten hier als Königsweg, weil die halt nicht jeder hat. Oder haben sollte, denn die kommen nicht über Agenturen in die Welt, sondern eben über die Lokalzeitungen. Trotzdem aber haben aber auch die ihren Exklusivitätsbonus längst verloren: Allein in Las Vegas, wo Righthaven residiert, soll es rund 150 auf Lokalnachrichten spezialisierte Blogs und Aggregatorenseiten geben. Die meisten davon arbeiten tatsächlich metakommunikativ: Sie schreiben über das Schreiben anderer. Genau hier liegt Righthaven LLCs Ansatzpunkt - die Anwälte greifen da an, wo Zitat auf vermeintliches Plagiat trifft.
In sehr vielen der Fälle hat Righthaven formal gesehen mit Sicherheit recht.
Alles eine Frage der Panik
Das Problem ist nur, dass sich die meisten der Blogger darüber nicht nur nicht im Klaren sein werden - viele von ihnen gehen wahrscheinlich sogar davon aus, ihren Quellen etwas Gutes zu tun: Wo endet denn das Zitat? Ist es nicht völlig okay, auf die Grundelemente einer Geschichte zu verweisen und dann einen Link hin zur Zeitung zu legen?
Juristen sehen so etwas oft deutlich anders als Web-Nutzer: Fast überall in der westlichen Welt macht sich die Grenze des Zitationsrechtes daran fest, ob das Zitat so viel von der Kernnachricht enthält, dass es das Lesen des Ursprungsartikels ersetzt. Ist das so, dann ist es nicht legitim - und so dürfte die Sachlage bei vielen Blogartikeln liegen. Trotzdem: Mitunter sieht es gar nicht gut aus, wenn Urheber ihre völlig legitimen Rechte mit Druck durchsetzen wollen. Sie stehen ihnen zwar zu, sind aber im Web kaum durchzusetzen, ohne die eigenen Leser gegen sich aufzubringen. Der Versuch, ein legitimes Recht durchzusetzen, wirkt nicht gut, wenn das mit Aggressivität und - wie im Falle von Righthaven - Geschäftssinn geschieht.
Auch den Zeitungen, die sich durch Righthaven vertreten lassen, bringt das zwangsläufig geharnischte Kritik der eigenen Leserschaft ein. Die Aktion entwickelt sich zu einem klassischen Schuss, der nach hinten losgeht: Schon kursieren Listen mit aktuell 42 zu blockierenden Zeitungswebsites , deren Aufruf man über ein Firefox-Plugin verhindern kann, um erst gar nicht in Versuchung zu kommen, daraus zu zitieren (oder abzuschreiben). Die Liste wird wachsen, denn die Zeitungen des neuen Righthaven-Partnerverlages sind noch nicht dabei. Dazu kommt, dass das Erscheinen einer Abmahnkanzlei, die legitime Verlegerrechte einklagen will, zu erwarten war. Es wird weitere geben, die mit mehr Fingerspitzengefühl agieren werden, und irgendwann vielleicht - siehe Musikindustrie - auch über Lobbygruppen konzertierte Aktionen. Mit steigender Panik wächst gemeinhin die Bereitschaft zum Einsatz der juristischen Keule.
Schon bald könnten lokale Blogger dabei das kleinste Problem sein, mit dem sich Regionalzeitungen in den USA konfrontiert sehen. Für Alan D. Mutter, selbst einst Journalist und Medienunternehmer, steht die ganze Branche der Lokal- und Regionalblattverleger in den USA mit dem Rücken zur Wand . Denn die Hoffnung auf Pay-Modelle sei vergebens: Schon machten sich Web-Größen wie Yahoo, AOL, die Huffington Post und andere bereit, überall im Land regionale Seiten aufzusetzen. Außer den Blogs würden dann auch die großen Aggregatoren mit der Lokalpresse um die kleinen Märkte konkurrieren.