FCC-Chef Ajit Pai »Nemesis der Netzneutralität« tritt ab

Ajit Pai: Der Internetregulierer, der viele Internetnutzer gegen sich aufbrachte
Foto: CNP / MediaPunch / imago images»Der meistgehasste Mann des Internets«: Dieser informelle Titel – so selten »meistgehasst« wohl je wirklich quantifiziert wurde – ist von Medien und Internetnutzern schon oft vergeben worden. Mal wurde ein Pharmamanager so bezeichnet, mal der Betreiber einer fragwürdigen »Racheporno«-Website , mal ein Zahnarzt, der einen beliebten Löwen erlegt hatte . Auch der deutsche Europaabgeordnete Axel Voss wurde im Zuge von Protesten gegen die EU-Urheberrechtsreform, die er entscheidend vorantrieb, so tituliert .
Ähnlich viel und im Ton oft unangemessene persönliche Abneigung wie Axel Voss schlug in den vergangenen Jahren dem Vorsitzenden der amerikanischen Telekommunikationsaufsicht, Ajit Pai, entgegen.
Der Republikaner war 2017 unter Präsident Donald Trump zum Chef der Federal Communications Commission (FCC) ernannt worden. Am Montag kündigte Pai im Zuge des absehbaren Regierungswechsels in den USA nun seinen Rückzug aus der Behörde an. Damit geht eine Amtszeit zu Ende, in der sich Pai neben dem »meistgehassten Mann im Netz« mit weiteren unvorteilhaften Beinamen wie »Nemesis der Netzneutralität « und »Der Mann, der das offene Internet zerstören könnte « konfrontiert sah.
Die Aufhebung der strikten Netzneutralität
Die FCC ist zwar unabhängig, es ist jedoch üblich, dass es bei einem Wechsel zwischen einem Republikaner und einem Demokraten im Präsidentenamt auch einen Wechsel an der Spitze der Behörde gibt. In den vergangenen Jahren hatten die Republikaner im fünfköpfigen Entscheidungsgremium der FCC eine Mehrheit. Doch bald dürften die Demokraten eine ebensolche haben, da traditionsgemäß zwei der fünf FCC-Sitze vom US-Präsidenten an die Opposition gegeben werden, womit drei für die eigene Partei bleiben. Ajit Pai war 2012 noch unter Präsident Obama zur Telekommunikationsaufsicht gekommen.
Bei der FCC machte der Republikaner, der zuvor unter anderem für Verizon gearbeitet hatte, vor allem als vehementer Gegner des Prinzips der Netzneutralität von sich reden. So stimmte Pai 2015 gegen einen Netzneutralitätsplan der Behörde, der eine gleichrangige Behandlung aller Arten von Daten im Netz sichern sollte. Der damals mit drei zu zwei Stimmen entlang der Parteilinien trotzdem verabschiedete Plan wurde gemeinhin als deutliches Signal für ein freies Internet interpretiert und von US-Präsident Barack Obama, aber auch von Netzaktivisten euphorisch gefeiert.
2018 allerdings entschied die FCC unter Pais Führung, entgegen massiver Proteste ihre strikten Netzneutralitätsregeln aufzuheben, was vor allem die großen Telekommunikationsunternehmen begrüßten. Millionen Menschen hatten sich zuvor mit Kommentaren in die Debatte zur Netzneutralität eingemischt. Bei folgenden Untersuchungen stellte sich heraus, dass zahlreiche bei der FCC eingereichte Äußerungen gefälscht worden waren , oft im Interesse von Telekommunikationsfirmen.
Immer wieder Beleidigungen und Morddrohungen
In Webforen schlug Ajit Pai im Vorfeld und erst recht infolge dieser Entscheidung zur Netzneutralität viel Hass entgegen. Auf Reddit etwa werden bis heute viele Beiträge mit Bezug zum FCC-Vorsitzenden von einigen Nutzern schlicht mit »Fuck Ajit Pai« kommentiert.
Anfang 2018, noch vor der eigentlichen Entscheidung, war ein Auftritt Ajit Pais auf der Techmesse CES in Las Vegas kurzfristig abgesagt worden, gerüchteweise aus Sorge vor allzu viel öffentlichem Widerspruch gegen Pais Netzneutralitätspläne . Wie später bekannt wurde, hatte Pai Ende 2017 Morddrohungen gegen sich und seine Familie erhalten .
In Pais Amtszeit als FCC-Vorsitzender ging es aber nicht nur ums Thema Netzneutralität. 2019 etwa genehmigte die FCC die Fusion von T-Mobile US und Sprint. Auch in dieser Angelegenheit waren Demokraten und Republikaner im Entscheidungsgremium unterschiedlicher Auffassung.
Weniger Streit gab es bei anderen Abstimmungen: Im Sommer 2020 beispielsweise brachte die FCC einstimmig die Einführung einer landesweiten Seelsorgenummer auf den Weg.
Zuletzt war die Behörde im Zuge der »Section 230« des sogenannten Communications Decency Act in die Schlagzeilen gekommen. Dabei geht es um eine auch von einigen Demokraten unter Beschuss genommene Regelung aus dem Jahr 1996, die Onlinedienste davor schützt, für die Informationen, die Dritte auf ihren Plattformen verbreiten, haftbar gemacht zu werden. Zugleich gibt die »Section 230« den Plattformen weitreichende Freiheit, gegen bestimmte Inhalte oder Nutzer vorzugehen.
Die Trump-Regierung hatte mit Blick auf die »Section 230« erreichen wollen, dass jener Haftungsschutz aufgeweicht wird. Anlass dafür war offenbar ein Streit zwischen Donald Trump und Twitter, im Zuge dessen die FCC aufgefordert wurde, neue Regeln ausarbeiten.
Abgang mit Trump
Wohin die USA in Sachen Internetregulierung nun steuern, wenn Pai den Vorsitz abgibt, wird sich zeigen. Pai hat angekündigt , dass er die Behörde am 20. Januar verlässt, also zum Beginn der Amtszeit von Joe Biden. Es sei ihm ein »besonderes Privileg« gewesen, der erste asiatisch-amerikanische Vorsitzende der FCC gewesen zu sein, so Pai. Die Behörde habe sich »nicht gescheut, schwierige Entscheidungen zu treffen«: »Infolgedessen sind die Kommunikationsnetze unseres Landes jetzt schneller, stärker und umfassender als je zuvor.«
Obwohl Ajit Pai bei vielen vor allem jüngeren US-Internetnutzern ob seiner Haltung zur Netzneutralität schnell in Ungnade fiel, inszeniert er sich auf seinem Twitteraccount bis heute als großer Fan der Netzkultur. An ihn gerichtete Tweets etwa beantwortet Pai öfter wortlos mit GIFs, und selbst bei Webtrends hat der Republikaner kaum Berührungsängste.
2017 wurde Pais Begeisterung für Memes und virale Videos allerdings zum Problem. Damals ging ein wohl humorvoll gemeintes Video online, in dem Pai aufzählte, was auch nach einer Abschaffung der strikten Netzneutralitätsrichtlinien online noch möglich sein werde: vom Essen-Fotografieren für Instagram übers Onlineshopping bis zum »Game of Thrones«-Binge-watchen. Schließlich tanzte Pai in jenem Clip dann auch noch den »Harlem Shake«.
Zur Deeskalation der Debatte konnte der Clip jedoch nicht beitragen, er entfachte sie vielmehr wieder. Dies lag auch daran, dass das Video kein Clip der FCC selbst war, sondern aus einer Zusammenarbeit Pais mit der konservativen Nachrichtenseite »Daily Caller« heraus entstanden war. Zudem tanzte der FCC-Chef in dem Video ausgerechnet neben einer Frau , die online zur Verbreitung des sogenannten Pizzagate-Verschwörungsmythos beigetragen hatte.