Amazon komplett DRM-frei Kopierschutz ist tot
Es fehlte nur noch einer der großen Vier - und auch den hat Amazon nun im Sack. Nach Universal, Warner und Emi willigte jetzt auch Sony BMG in den Verkauf von Musik-Downloads ohne Kopierschutz (DRM) ein.
Anfang der Woche hatte Sony BMG zunächst ein DRM-freies Verkaufsmodell vorgestellt, das im Web als Lachnummer, von Branchenbeobachtern als Realsatire begrüßt worden war. Ursprünglich plante das Musik-Joint-Venture nur, die Kunden vor dem Download in den Laden zu schicken. Dort sollten sie eine Rubbelkarte mit einem Freischaltcode kaufen, mit dessen Hilfe man dann DRM-freie Alben aus dem Web herunterladen können sollte.
Ob geplant war, die Rubbelkarten im Laden direkt neben die CDs zu stellen, ist nicht bekannt.
Jetzt besann sich Sony BMG offenbar eines Besseren und ließ einen Vertrag mit Amazon folgen, der es dem Online-Händler künftig ermöglicht, die Musik-Downloads aller großen Musikfirmen ohne Kopierschutz zu verkaufen. Das ist in zweifacher Hinsicht signifikant: Zum einen dürfte das Konzept DRM damit endgültig tot sein, zum anderen gerät Apples iTunes, das den Download-Markt bisher monopolhaft beherrscht, damit klar ins Hintertreffen.
Es tut weh, wenn der Platzhirsch röhrt
Denn nach wie vor hat iTunes DRM-frei nur die Ware von Emi zu bieten. Die anderen Labels mauern gegenüber Apple, und was dahinter steckt, ist klar: Sie haben ein dringendes Interesse daran, sich aus ihrer noch immer wachsenden Abhängigkeit von Apple zu lösen. Denn nach wie vor befinden sich die Verkaufszahlen für CDs im freien Fall (minus 15 Prozent im Jahre 2007), während der Download-Markt an Wichtigkeit gewinnt. Der aber ist in der Hand von Apple, denn iTunes hält weltweit satt über 70 Prozent des Marktes.
Das vergangene Jahr hat gezeigt, wie souverän Apple darum mittlerweile mit der Musikindustrie umspringt. Versuche, Apples Einheitspreise für Musik durch gestaffelte Preismodelle zu ersetzen, beantwortete Apple im Frühling letzten Jahres mit einem so kühlen wie finalen "No". Als die EU-Kommission Apple Anfang der Woche ein Absenken der iTunes-Preise in Großbritannien verordnete, reichte Apple das einfach als Ultimatum an die Plattenfirmen durch: Die sollten nun binnen sechs Monaten ihre Einkaufspreise senken, oder sie würden aus dem Shop geworfen. Kein Zweifel: Apple diktiert den Plattenkonzernen die Bedingungen und Preise auf dem Download-Markt.
Deals ohne Apple
Seit geraumer Zeit suchen die Firmen darum nach Alternativen, füttern Apple-Konkurrenten an. Das Mittel der Wahl gegen iTunes ist offenbar der Kopierschutz. Wohl kaum zufällig konnte nur Stunden vor Amazon auch das zum Musik-Abodienst gemauserte, aber nicht sehr erfolgreiche Napster verkünden, künftig auf DRM zu verzichten.
DRM-Maßnahmen gelten als das größte Verkaufshindernis für Musikdownloads. Im Gegensatz zu DRM-geschützten Dateien lässt sich DRM-freie MP3-Musik ohne Probleme vervielfältigen und auf allen denkbaren Geräten nutzen. Erste Studien zeigten bereits 2005, wie abschreckend DRM auf Kunden wirkt, seitdem wurden sie zigmal bestätigt: Fast durch die Bank bestätigen Marktforscher, wann auch immer sie die Sache unter die Lupe nahmen, dass DRM mehr Schaden anrichtet als nützt.
Im Frühjahr 2007 dokumentierte eine Jupiter-Studie, dass diese Erkenntnis auch in der Industrie durchgedrungen war: Demnach glaubten schon damals 62 Prozent aller Musik-Manager, dass sich der Verkauf von Musik durch den Verzicht auf DRM steigern lassen könnte. 54 Prozent glaubten, dass die Einschränkungen durch DRM zu weit gingen - und das kam von den Verursachern, Kundenbefragungen fallen da noch weit deutlicher aus.
Eine Hürde sind DRM-Maßnahmen vor allem für Kunden, die sich noch nicht auf eine bestimmte technische Plattform festgelegt haben oder dies prinzipiell nicht wollen. Denn bei DRM ist nach wie vor nicht gesichert, dass die gekaufte Ware auch auf allen Geräten wiedergegegeben werden kann - das gilt für Downloads wie für CDs. Nichts aber ist ärgerlicher, als dazu aufgefordert zu werden, sich zur gekauften Musik erst einmal die passende Hardware zu kaufen - oder erfahren zu müssen, dass eine Scheibe oder ein Download nur noch in bestimmten Räumen, wo zufällig passende Geräte stehen, genutzt werden kann.
Zweischneidiges Schwert
Die Shops fordern von der Musikindustrie darum seit langem die Aufgabe dieses Kunden-Vergraulungsinstrumentes. Dabei ist DRM auch für die Verkäufer durchaus nicht nur von Nachteil.
Apple gründet sogar sein ganzes iTunes-Geschäftsmodell darauf: Das widersinnigerweise "Fairplay" genannte DRM der Firma sorgt dafür, dass iTunes-Kunden ihre im Apple-Shop gekaufte Musik nur über Apple-Programme nutzen können. Das eigentliche Ziel dabei ist die fixe Bindung zwischen iTunes und den iPod-Musikplayern, die wohl auch darum - eigentlich als Spätstarter auf dem MP3-Player-Markt - zu den erfolgreichsten Geräten ihrer Klasse wurden. Deutschlands Verbraucherschützern war das kürzlich gar eine Klage wert. Doch auch Steve Jobs weiß, dass DRM letztlich Kunden vom Kauf abhält und fordert von der Industrie seit langem eine Aufgabe der Kopierschutzmaßnahmen. In Wahrheit stellen Downloads nach wie vor einen verschwindend geringen Anteil des gesamten Musikmarktes dar (siehe Kasten oben).
Kein kleiner: Amazon hat drei Millionen Songs im Programm
Das Placet in dieser Hinsicht bekamen nun zunächst andere. Dabei ist auch das Dickschiff Amazon alles andere als ein leichter Partner für die Industrie. Was Apple bei den Musik-Downloads ist, ist Amazon im CD-Versandhandel. Einen Disput über grenzüberschreitende CD-Verkäufe via Amazon beendete der Online-Händler vor kurzem einfach, indem er die Top-Waren der Musikfirmen für ein paar Tage komplett aus dem Programm nahm. Seitdem sind die Plattenfirmen kleinlaut. Was ihnen äußerst weh tut, kratzt Amazon nämlich nicht im geringsten. Auch hier sind die Abhängigkeiten klar verteilt.
"Indem wir still standen oder uns mit gletscherhafter Geschwindigkeit bewegten, haben wir - ohne das zu wollen - einen Krieg mit der Kundschaft begonnen. Wir verweigerten ihnen, was sie wollten. Die Kunden gewannen."
Warner-Chef Edgar Bronfman, 14. November 2007
Was offensichtlich nichts daran ändert, dass sich die Musikindustrie in ihrer versuchten Online-Emanzipation lieber mit dem Beelzebub einlässt, als mit dem Mephisto Jobs. Doch auch an ihm und iTunes kommt die Branche natürlich nicht wirklich vorbei: Weitere Deals sind für die kommenden Tage und Wochen zu erwarten, und alle werden zum Ende des DRM-Konzeptes beitragen. Es wäre keine Überraschung, wenn Jobs auf der kommenden MacWorld Expo entsprechende Neuigkeiten zu verkünden hätte.
Hierzulande dauert alles wie immer ein wenig länger.
Wann Amazon hier mit dem DRM-freien Verkauf, ja überhaupt mit dem Download-Verkauf beginnt, ist noch nicht bekannt. Auch dass nicht nur das Umdenken, sondern sogar schon das Umschwenken in Sachen DRM und Kundenabmahnung in den USA längst begonnen hat, ist hier längst noch nicht durchgesickert. Immerhin scheint auch das nur eine Frage der Zeit: Wenn auch Apple das Placet für den Verkauf DRM-freier Musik bekommt, wird iTunes für die weltweite Durchsetzung sorgen.
Spätestens dann ist DRM endgültig tot.