Pannenserie – oder steckt mehr dahinter? Amazon, Netflix und Microsoft ziehen rätselhafte Ankündigungen zurück

Netflix-Logo auf einem Gebäude in Hollywood: Was plant der Streamingdienst?
Foto: Robyn Beck / AFPSagen wir es mal so: Glaubwürdig waren alle drei Ankündigungen, die in den vergangenen Tagen im Netz die Runde machten.
Amazon Deutschland verkündete auf einer offiziellen Hilfeseite, der Mindestbestellwert, ab dem auch Kundinnen und Kunden ohne Prime-Paket keine Versandkosten mehr zahlen müssen, sei von 29 auf 39 Euro gestiegen – und das gleich zweimal in kurzer Zeit.
Nachdem Netflix schon seit Längerem Maßnahmen gegen das weitverbreitete Accountsharing in Aussicht gestellt hatte, fanden sich auf der Hilfeseite des Streaminganbieters plötzlich Details zu neuen, im Vergleich zu vorher drakonischen Regeln. Dabei sollte plötzlich das heimische Netzwerk eine wichtige Rolle spielen.
Und auf einer offiziellen Xbox-Hilfeseite war Gamern ein Hinweis aufgefallen, der sich so interpretieren ließ , dass Microsoft plant, im Mai den Onlinestore für seine 2005 erschienene Konsole Xbox 360 dichtzumachen.
Mittlerweile jedoch sind all diese Angaben wieder von den Hilfeseiten verschwunden. Amazon erklärte die Angaben, »die kurzzeitig auf unserer Hilfeseite angezeigt wurden«, für »falsch«. Netflix wiederum sagte US-Medien, für kurze Zeit sei »ein Help-Center-Artikel mit Informationen, die nur für Chile, Costa Rica und Peru gelten« in anderen Ländern veröffentlicht worden. Und Microsoft betonte, seine Nachricht sei »irrtümlich gepostet« worden: Man könne bestätigen, dass der Xbox 360 Marktplatz nicht im Mai 2023 geschlossen werde.
War es das jetzt wirklich?
Gleich drei Techgiganten, die binnen weniger Tage fälschlicherweise Ankündigungen machen, die ihren Kunden eher missfallen dürften? In dieser Häufung und angesichts der unterschiedlichen Themen wird dies eher Zufall sein. Zugleich aber fällt bei allen drei Meldungen auf, dass die Dementis windelweich sind. So betont Amazon zwar, dass es seinen Kunden »weiterhin« seinen kostenlosen Standardversand für Bestellungen über 29 Euro anbietet. Auf welchen Zeitraum sich dieses »weiterhin« bezieht, bleibt aber unklar.
Und auch Netflix scheint die Stellungnahme bewusst knapp gehalten zu haben: Es wird zwar gesagt, dass die zu lesenden Regeln eigentlich einen anderen Markt betreffen. Zugleich wird aber nicht ausgeschlossen, dass sie bald auch in Deutschland gültig sein könnten. Denn dass Netflix das Accountsharing einschränken will, hat die Plattform längst angekündigt – und, auch das ist bemerkenswert, die Regeln lagen nicht nur auf Englisch vor, sondern auch auf Deutsch. Irgendjemand hatte sie offensichtlich bereits übersetzt.
The Xbox 360 marketplace will not close in May 2023, a Microsoft spokesperson has confirmed to Gematsu. A listing stating it would close, which appears when searching for "Xbox 360 Markteplace" on the Xbox Support website, was posted in error. pic.twitter.com/NYL41C0pW5
— Gematsu (@gematsu) February 3, 2023
Im Fall von Microsoft lässt das Dementi ebenfalls Raum für baldige Kehrtwenden. Wenn der Konzern zu Protokoll gibt, dass es den Onlinestore der Xbox 360 »nicht im Mai 2023« schließt – macht er dies dann vielleicht einfach kurz danach? Auf der jetzt angepassten Xbox-Hilfeseite hieß es wörtlich: »Wir werden den Xbox 360 Marktplatz im Laufe des nächsten Jahres schließen, daher ermutigen wir Sie dazu, Xbox-360-Games und DLC [also Zusatzinhalte; Anm. der Red.] bis Mai 2023 zu kaufen.«
Der nächste Schritt der Firmen wird spannend
Wie genau es bei den drei Themen nun weitergeht, wird sich zeigen. Für die betroffenen Kunden könnten die offiziell versehentlichen Veröffentlichungen unter dem Strich vielleicht sogar von Vorteil gewesen sein, weil sich – vor allem im Fall von Netflix – online sogleich massiver Protest gegen die Änderung formierte. Manche Nutzer kündigen in Foren sogleich an, ihr Abo kündigen zu wollen. Netflix dürfte sich nun vielleicht noch einmal mehr überlegen, ob es die skizzierte Regelung in absehbarer Zeit auch in Märkten wie den USA und Deutschland umsetzen möchte.
Zugleich ist es auch keine unrealistische Taktik, dass Techunternehmen unangenehmen Ankündigungen mit »Versehen« oder gezielten Leaks möglicherweise absichtlich den Boden bereiten. Denn wäre es für die Unternehmen nicht sogar hilfreich, wenn harte Einschränkungen etwa für langjährige Netflix-Account-Sharer oder die letzten verbliebenen Xbox-360-Nutzer nicht einfach aus dem Nichts kämen? Wenn die Kunden vorher schon grob wüssten, was sie erwartet, und sei es aus Foren? Wenn der eine oder andere, der bei einem Dritten Netflix mitschaut, sich proaktiv doch lieber ein eigenes Abo holt? Oder wenn jemand sich jetzt doch ein Prime-Abo zulegt, weil er befürchtet, dass man bald mehr Versandkosten zahlen muss?
Präzedenzfälle gibt es genug: Kurz nach der Übernahme von Twitter hatte Elon Musk öffentlich mit der Idee gespielt , 20 Dollar pro Monat für einen verifizierten Account zu verlangen – um dann schließlich den Dienst für acht Dollar als Schnäppchen anzupreisen.
Vielleicht haben am Ende aber auch wirklich nur Mitarbeiter in gleich drei Konzernen versehentlich auf einen »Veröffentlichen«-Knopf gedrückt. Oder alle nur ein wenig zu früh.