AOL, Google, Yahoo Angriff auf die alte Medienwelt

Das Web - wer wollte daran zweifeln? - bewegt sich rasant auf seine nächste Entwicklungsphase zu: Das einstige Lese- mutiert zum Multi-Medium. Leidtragende könnten diesmal Fernsehsender sein - jedenfalls wenn es den Internet-Marken gelingt, selbst ein wenig "TV" zu werden.

Hamburg - Chris Rock gehört zu den angesagtesten Komikern Amerikas - er ist so begehrt, dass sogar eine angeblich biografische Comedy-Serie über seine Kindheit das Potential zum Straßenfeger hat. Die Pilotfolge von "Everybody Hates Chris" aber braucht man sich nicht vorzumerken: Sie bekommt man auch on demand, in vier handlichen Häppchen über das Web serviert. Von wem? Von Google Video natürlich.

Google Video begann Anfang des Jahres damit, das US-Fernsehprogramm mit Standbildern zu indexieren: So etwas gab es in Deutschland schon Ende der Neunziger Jahre, mit Services, die ins laufende Programm hinein lünkerten - bis Fernsehsender und Programmzeitschriften ihnen gerichtlich den Garaus machten.

Keine große Innovation also - was soll die Aufregung?

Die Ausstrahlung der Chris-Rock-Comedy zeigt, wo der Hase wirklich lang läuft: Da beschnuppern sich zwei Medien, die mehr und mehr zur direkten Konkurrenz werden - vor allem, weil sich ihre Möglichkeiten annähern. Googles und Yahoos wachsende Video-Services sind erste Schritte auf einem neuen Terrain. Dass sie sich dort etablieren wollen, steht außer Frage.

Denn das Web wird immer bewegter, schneller, der "Daten-Highway" immer breiter. Spätestens, wenn im nächsten Jahr (nicht nur) in Deutschland die ersten 50 MBit-Verbindungen an Privathaushalte verkauft werden, ist das Web mehr als fähig, das Fernsehen in jeder Hinsicht zu beerben. Von TV-on-demand-Kanälen bis zur regulären weltweiten Ausstrahlung in bester Qualität über das Internet ist dann alles möglich und denkbar.

"Man wird dann keine 1000 Fernsehsender haben", meint dazu Yahoo-Chef Terry Semel, einst bei Time Warner selbst Manager einer klassischen Medienmarke, "sondern eine unbegrenzte Anzahl von Kanälen."

"Ausgestrahlt" über das Web, versteht sich. "Die Inhalte im Internet", beobachtet Michael Wolf, Unternehmensberater bei McKinsey, "verschieben sich von Text hin zu Video."

TV auf dem Weg zum "Alten-Medium"

Die großen Internetfirmen üben schon, während sich die etablierten TV-Sender aus gutem Grunde zieren. Sie wissen, dass sie vor einem massiven Generationenproblem stehen. In Deutschland ist das Fernsehen nach wie vor das beliebteste aller Medien. Die Statistik weist jedoch einige irritierende Lücken auf: Die neue Medien-Generation entscheidet sich ab dem 14. Lebensjahr vornehmlich für das Internet als Leitmedium. Das Fernsehen spielt für das Gros der Generation 14 vor allem als Playstation- und Xbox-Bildschirm eine Rolle und wird davon ab und zu auch gern genutzt, um Filme auf DVD zu sehen. Den Fernsehmachern droht die attraktivste Zielgruppe abhanden zu kommen.

Die ist durch und durch Web-affin. Clevere TV-Macher hoffen darum, sie vor den Bildschirm zurück locken zu können, in dem sie ihre Programme dem Web annähern. Kein geringerer als der Beinahe-Präsident Al Gore machte das im August vor: Sein "Current.tv", dem er nun als Senderchef vorsteht, setzt auf web-hafte Interaktivität. Gore, der sich einst in einem viel zitierten Versprecher selbst zum "Erfinder des Daten-Highway" erklärte, hält das Fernsehen mittlerweile für ein so schutzwürdiges wie reformbedürftiges Medium.

Die Lektion, die das Fernsehen vom Web lernen könne, glaubt er, sei vor allem das demokratische Element der Interaktivität: Der Zuschauer selbst könne zum Mitgestalter des Programms werden, Richtung und Qualität des Informationsflusses durch aktive Nachfrage mitbestimmen.

Gore macht TV "webbiger"

Dazu gehört das aberwitzig anmutende Konzept einer Newsshow, deren Themenplanung an das Verhalten Nachrichten suchender Google-Nutzer gebunden ist. Innovativer ist da der Ansatz - die Video-Blogger wird das freuen - den Zuschauer mit seinen Filmen und Berichten aktiv ins Programm einzubauen. Das funktioniert über das Web: Im "Studio"-Bereich der Webseite kann man sich zum einen mit eigenen Beiträgen als Mitarbeiter bewerben, und andererseits per Abstimmung über dort gestreamte Videos entscheiden, welche Beiträge "reif" zur Ausstrahlung im TV sind - als ob "TV" in irgendeiner Hinsicht synonym für "höhere Qualität" stünde.

Auf der anderen Seite des Spektrums stehen Medien-Unternehmer wie Ingo Wolf, der schon heute über rund 220 TV-"Sender" herrscht, die allesamt nur über das Internet "ausgestrahlt" werden. Die BBC experimentiert derweil mit einem BitTorrent-ähnlichen Internet-Verteilsystem für Medieninhalte, um mittelfristig über das Web ein TV-on-demand-Netzwerk aufzubauen.

Kein Zweifel: Player aus beiden Märkten sondieren da den sich verändernden Markt. Doch diesmal geht es um mehr, als nur um die Frage eines Verteilungsweges: Über das Web vertrieben hört "TV" auf, eine mediale Einbahnstraße zu sein. Dafür muss man nicht nur zündende Ideen entwickeln, ein mediengerechtes Programm zusammenstellen - man muss erst einmal auch die nötige Infrastruktur aufbauen, das Know-how anwerben.

Bestens aufgestellt sind da - zumindest in Sachen Finanzen und Infrastrukturen - vor allem die großen, mächtigen Internet-Unternehmen.

Zurzeit schicken sich vor allem drei US-Unternehmen an, den keimenden Markt der Web-basierten TV/AV-Unterhaltung unter sich aufzuteilen: AOL, Google und Yahoo.

Im zweiten Teil: AOL macht Fernsehen, Google spielt damit und Yahoo investiert in Redaktion und Edelfedern. Die Web-Marken warten nicht länger, der Angriff auf die etablierten Medien beginnt. Weiter...

Wie zuletzt in den späten Neunzigern wachsen bei den Internetfirmen wieder die Ambitionen, sich zu echten Medienmarken zu mausern. Die Nase vorn haben AOL und Yahoo: Über ihre Webseiten, letzte Überlebende der "Portal"-Zeit des Webs, binden sie mehr und mehr audiovisuelle Inhalte ein.

Ganz selbstverständlich hören AOL- und Yahoo-Nutzer dort heute Musik, sehen sich die Videos dazu an, holen sich Videoclips zu den Nachrichten und bekommen - insbesondere bei AOL - auch schon mal das eine oder andere Exklusiv-Konzert auf den Desktop gestreamt. Dazu kommen, namentlich bei AOL, regelrechte News-, Reality- und Gossipshows, die exklusiv für die Web-"Ausstrahlung" produziert werden.

Gerade die Musik-"Sender" AOL Music und Yahoo Launch bieten schon heute ein Programm, wie es MTV einst tat und heute nicht mehr kann. Dass die Abwanderung junger Zielgruppen ins Web im vollen Gange ist, kann da kaum verwundern: Den Kids wird dort was geboten.

Web-Nutzer wollen alles

Doch Yahoo und AOL sind noch immer vor allem Web-Marken. Auch ihre Nutzer erwarten von ihnen nicht, dass sie im Web "nur" langsam zu einem TV-Ersatz mutieren. Der Web-Nutzer erwartet zu jedem gegebenen Zeitpunkt grundsätzlich das volle Päckchen der Möglichkeiten - und das bedeutet im Web heute Schrift, Ton, Bild, Video, Interaktion und Kommunikation in verschiedenen Ausprägungen und Kombinationen. Diese Erwartungshaltung kann man bedienen, indem man den Rundumschlag wagt - oder indem man sich spezialisiert und nur Teile davon professionell bedient.

Die "großen Drei" haben sich offenbar für den professionellen Rundumschlag entschieden.

Wie schon einmal arbeitet Yahoo erneut daran, das eigene Profil als "Medienmarke" zu schärfen. Auffällig ist die Wanderbewegung kreativen Personals von den klassischen Medien in Richtung Web-Marken. Vor Jahresfrist holte sich Yahoo den ehemaligen ABC-Manager Lloyd Braun an Bord, um Yahoos Video- und Entertainment-Angebote aufzubauen. Letzte Woche wurde bekannt, dass AOL dem Disney-Konzern den Web-Entertainment-Experten Erik Flannigan abspenstig machte. Derweil sorgt Google mit einer Stellenanzeige für Aufsehen, die darauf hindeutet, dass der Suchmaschinen-Gigant seine "programmbegleitenden" Services weiter ausbauen will.

Yahoo ist da bereits deutlich weiter. Wie Google unterhält auch Yahoo einen Nachrichten-Suchdienst, der die News anderer Anbieter zusammenträgt. Den peppte Yahoo seit August deutlich auf, indem zur schriftlichen Nachricht nun auch Videoberichte von CNN und ABC kamen. Daneben jedoch strickt Yahoo offensichtlich daran, sich mit einem eigenen redaktionellen Profil von den bloßen Sammelservices abzusetzen.

Dazu gehören Angebote wie das "Kriegstagebuch" des Journalisten Kevin Sites, das Yahoo vor kurzem als Beginn einer redaktionellen Qualitäts-Initiative aus der Taufe hob. Schon bald soll eine Seite zum Thema Reisen und Abenteuer dazu kommen - ein Angebot, dass man im Fernsehen "Doku-Serie" nennen würde, im Web aber wohl "Multimedia-Blog" taufen wird. Doch Yahoo plant mehr als nur Infotainment.

Mit eigenen Meinungsformaten und Feature-Seiten wolle Yahoo fürderhin Glanzpunkte mit Yahoo-Stallgeruch setzen, hieß es Anfang August. Diese Woche zeigte Yahoo, wie es das schaffen will: Allein für die Wirtschaftsberichterstattung heuert Yahoo derzeit 30 Kolumnisten an - glücklich die Tageszeitung, die so etwas bezahlen kann.

Dass Yahoo mit dieser Nachricht trotzdem reichlich Spott erntete, ist kaum verwunderlich. Einerseits fehlt dem publizistischen Angebot Yahoos noch der qualitativ gute Unterbau, auf dem man dann Edelfedern in glaubhaftem Umfeld präsentieren kann: Wer, fragte da mancher, surft zu Yahoo für die aktuelle Wirtschaftsanalyse, statt zum "Wall Street Journal"?

Andererseits könnte hier und dort durchaus leichte Panik keimen. Was gerade die großen Web-Marken aus Sicht der etablierten Medien so gefährlich macht, ist ihre absolute Verfügbarkeit. Das wird sich in den nächsten Jahren aus Sicht von Fernsehen, Radio und Zeitung noch "verschlimmern": Drahtlose Internetzugänge via W-LAN oder Mobilfunk im Verbund mit neuen, portablen Lese-, Hör- und Sehgeräten lassen die Web-Marken zu potenziellen Mega-Konkurrenten wachsen, die nicht mehr an den Computer gefesselt sind.

Das schlimmste aber: Sie haben Geld wie Heu. Ganz im Gegensatz zu den in den letzten Jahren mächtig gebeutelten Medienmarken.

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