ARBEITSMORAL Wo elektronische Liebesgrüße boomen

Die US-Wirtschaft ist besorgt, weil Mitarbeiter ihre Online-Anschlüsse auch zum Privatvergnügen nutzen. Jetzt wächst die Angst vor Klagen wegen sexueller Belästigung - und der Markt für Filterprogramme.

US-Bohrmaschinenhersteller Black & Decker wollte es vergangenes Jahr genau wissen und untersuchte, was die Angestellten denn so treiben im frisch installierten Internet. "Wir waren schockiert", sagt der für die EDV zuständige Stephen Swam. Nur 23 Prozent des Online-Verkehrs hatte mit dem Geschäft zu tun. Der Rest: Privatvergnügen.

Marktforscher Nielsen ermittelte, daß die Website des Männermagazins "Penthouse" ihre treuesten Fans in den Büros der US-Konzerne IBM, Apple und AT&T hat. Innerhalb eines einzigen Monats rauschten Mitarbeiter auf der Datenautobahn rund 13 000mal zur virtuellen Fleischbeschau. Bei einer durchschnittlichen Verweildauer von 13 Minuten, berechnete die Wirtschaftszeitung "Wall Street Journal", entspricht das 347 Arbeitstagen. Ein Rekord? Von wegen. Beim texanischen Softwareproduzenten EDS brachte es ein Systemverwalter im gleichen Zeitraum auf 15 000 sogenannte Hits bei ein und derselben Porno-Website. Der Dauersurfer wurde freilich gefeuert - zusammen mit fünf Kollegen, die vor lauter Konzentration auf den Bildschirm den eigentlichen Grund ihrer Anstellung vergessen hatten.

"Das Problem wächst und wächst", sagt Richard Power vom Computer Security Institute in San Francisco. Mit der rapiden Verbreitung des Internet in Amerikas Wirtschaft nehme auch der Mißbrauch zu. Und verbummelte Arbeitszeit ist längst nicht das einzige Problem.

Unternehmen zahlten zuweilen saftige Strafen für nicht lizensierte Programme, die sich Mitarbeiter vom Netz kopierten, weiß Power. Viren würden eingeschleppt und legten betriebsinterne Computersysteme lahm.

Ähnliches Chaos richtet auch die Flut elektronischer Nachrichten an. In der Redaktion der Computerzeitschrift "PC Week" etwa entdeckte der Systemverwalter im Februar eine "Riesenmenge unangemessener E-Mails" - einen Tag vor dem Valentinstag. Er sah sich gezwungen, die Computer herunterzufahren, um die angestauten Turtelgrüße zu vernichten.

Außerdem riskieren Betriebe Millionenklagen wegen sexueller Belästigung, falls Mitarbeiter Anstoß nehmen am Bildmaterial, das über die Computerschirme flimmert. Oder am geschriebenen Text. 2,2 Millionen Dollar kostete eine Tochter des Mineralölkonzerns Chevron eine Nachricht, die auf den Rechnern die Runde machte. Ihr Titel: "Warum Bier besser ist als Frauen". Die Investmentbank Morgan Stanley und die Citibank sahen sich jüngst mit Klagen wegen rassistischer E-Mails konfrontiert. Der Prozeß um den Software-Giganten Microsoft führte Amerikas Bossen endgültig die Sprengkraft der oft so salopp verfaßten elektronischen Post vor Augen. Mehr als einmal widerlegte die US-Justiz die Aussagen des Konzernfürsten Bill Gates mit Hilfe von E-Mails, die er selbst vor Jahren geschrieben hatte.

Der virtuelle Buchhändler Amazon.com reagierte bereits: Kürzlich gab das Management eine Direktive an die Mitarbeiter aus, alle Nachrichten zu löschen, die zu Geschäftszwecken nicht länger gebraucht würden. Beim Medienunternehmen Bloomberg sind Programme installiert, die elektronische Post auf unangemessene Vokabeln prüfen. Vollständige inhaltliche Kontrolle scheint aber unmöglich: Die Softwarefirma Netscape schätzte vor zwei Jahren, mit damals 1800 Mitarbeitern, daß täglich 45 000 E-Mails ein- und ausgehen. Um Prozesse und Blamagen zu verhindern, verbieten Firmen und Behörden neuerdings ihren Angestellten, private Nachrichten vom Büro aus zu versenden.

Was zügelloses Surfen betrifft: Hier ist ein ansehnlicher Markt für Filter-Programme entstanden, die den Zugang zu zweifelhaften Websites blockieren. Ursprünglich lautete zum Beispiel das Ziel von SurfWatch, Amerikas Kinderzimmer vor virtuellem Schweinkram zu schützen. Nun zählt auch Rüstungsgigant Lockheed zu den Kunden. Oak Software aus Kalifornien verkauft bereits jedes fünfte Set seines "Cybersitters" an die freie Wirtschaft. Auch im "Wachstumsmarkt Deutschland" stehe der Vertrieb, sagt Marketingchef Marc Kanter.

Manche US-Firmen überwachen sogar die Surfgewohnheiten der Belegschaft. Ein aufwendiger Schritt, den viele Experten für übertrieben halten. Niemand arbeite den ganzen Tag ohne Durchhänger, argumentiert Marktforscherin Emily Coleman aus New Jersey. Angestellte, die geistige Arbeit leisten, dürfe man nicht behandeln "wie Fließband-Roboter". Coleman rät deshalb den Unternehmen, alle Mitarbeiter, die ihren Job gewissenhaft erledigen, "einfach in Ruhe zu lassen".

Rainer Stadler

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