Aufstand der Sexfilmer Kampf dem Erotik-Klau

Webseite des CPR-Treffens: Wiederbelebung für das Porno-Business?
Glaubt man Vertretern der US-Porno-Branche, dann stehen sie mit dem Rücken zur Wand. Zwar ist das Web voll mit ihren Waren, Geld verdienen damit aber nicht die Unternehmen, sondern andere: Porno-Piratenseiten, die die Filme der Sex-Studios unautorisiert weiterverbreiten.
Und weil sie das auch noch kostenlos tun, beklagen Porno-Produzenten zunehmend Einnahmeausfälle. Ihr Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr - und das wollen die Anbieter nicht länger hinnehmen. Mitte Oktober trafen sich Vertreter der wichtigsten Unternehmen konspirativ an einem geheim gehaltenen Tagungsort in Tucson, Arizona, zur Branchen-Krisensitzung.
Thema der Veranstaltung: Wie zwingt man Porno-Piraten in die Legalität oder fegt sie aus dem Web? Wie soll man gegen Porno-Kunden vorgehen, die unautorisiert Waren weiterverbreiten, an denen sie keine Rechte halten? Oder noch konkreter: Soll die Porno-Branche nach dem Vorbild der Musikindustrie damit beginnen, ihre eigene Kundschaft mit Abmahnungen und Klagen zu disziplinieren?
Sollte das geschehen, hätte das massive Auswirkungen auf das gesamte Web. Denn auch wenn es heute selten thematisiert wird, ist Pornografie nach wie vor eine der populärsten Anwendungen des Webs.
Die Porno-Branche: Niedergang mitten im Sex-Boom
Mehr noch: Die Pornografie war und ist einer der wichtigsten Entwicklungsmotoren von Internet und WWW. Nackte Tatsachen gehörten zu den ersten erfolgreichen kommerziellen Angeboten in jenen Zeiten, als der Begriff Online noch für Dienste wie BTX, Compuserve oder America Online stand. Bis zu zehn Mark zahlten BTX-Kunden Anfang der neunziger Jahre für den Aufruf eines einzigen Pin-up-Bildes.
Heute erscheint das in mehrfacher Hinsicht unglaublich. Galt die Sexbranche einst als Pionier des E-Commerce, ist sie heute die gebeuteltste aller Entertainment-Branchen. Porno ist "Commodity" - etwas, das so selbstverständlich verfügbar ist, dass kaum mehr jemand dafür bezahlt. Zwar fehlen belastbare Zahlen, doch lässt sich der Einbruch der Umsätze der Porno-Branche schon an den Aktienkursen einzelner Firmen ablesen.
Beate-Uhse-Aktie etwa steht seit Jahren unter Druck. Playboy-Papiere legten zuletzt zwar wieder zu, notieren aber noch immer bei nur einem Drittel ihres Wertes von vor fünf Jahren. Kleinere US-Porno-Produktionsfirmen sind in der Regel nicht börsennotiert, dennoch zeigten auch sie zuletzt Krisensymptome: Publikumswirksam verlangten führende Unternehmen der Branche im vergangenen Jahr staatliche Beihilfen in den USA, um angebliche Umsatzeinbrüche in Milliardenhöhe auszugleichen. Ihre deutschen Wettbewerber nahmen die Idee auf und wiederholten den PR-Stunt wenige Tage später, um ebenfalls auf ihre Not hinzuweisen.
Kein Zweifel, alle Branchengrößen leiden. Der DVD-Absatz kollabierte von 2004 bis 2008 erst um angeblich 50 Prozent, um im Anschluss zu einem Marginalgeschäft zu verkümmern. Zwar wachsen die Online-Umsätze der Unternehmen, aber nicht so schnell, wie ihre Offline-Umsätze wegbröckeln.
Schuld sind Videoseiten nach dem YouTube-Modell
Die Ursache gilt als ausgemacht. Pornografie ist seit den Anfängen des Internet allgegenwärtig, kostenfrei und vermeintlich anonym abrufbar. Zeitweilig hat die damit verbundene Sexualisierung des öffentlichen Raums der Branche wohl sogar genützt. Spätestens seit dem Frühjahr 2007, als plötzlich eine ganze Reihe von Videoportalen eröffnete, kollabieren die Umsätze mit pornografischen Copyright-Materialien aber auch im Web. In der Porno-Branche wiederholte sich so die Leidensgeschichte der Musik- und Filmindustrie - nur schlimmer. In ihrem Fall heißt der Feind "-tube".
Tube-Seiten sind Videoportale nach YouTube-Vorbild. Sie verteilen ohne Alterskontrolle oder Zahlung Porno-Clips, ihre einzige Einnahmequelle ist Werbung. Die erfolgreichste Seite ist YouPorn, in den Statistiken von Alexa immerhin auf Rang 72 der erfolgreichsten Webseiten der Welt verzeichnet. Noch erfolgreicher ist eine Seite, die nach dem gleichen Muster arbeitet, allerdings ohne das "Tube" im Namen auskommt - Pornhub. Sie ist Alexa zufolge sogar populärer als das Web-Angebot von CNN.
Wenn es nach dem Willen von Vertretern der Porno-Branche geht, die sich Mitte Oktober geradezu konspirativ in Tucson trafen, wäre nicht nur diese Seite innerhalb von 15 Monaten entweder aus dem Web verschwunden oder würde Copyright-Abgaben an die Rechteinhaber der dort unlizenziert verteilten Fleischfilmchen zahlen.
Denn das ist das Ziel, dass sich die US-Porno-Branche gesetzt hat. Bis Januar 2012 sollen die unlizenzierten Verteiler entweder in die Legalität gepresst werden oder verschwinden. Ein ziemlich ambitioniertes Ziel, wenn man bedenkt, dass man etwa im Fall YouPorn bis heute nicht weiß, gegen wen man da eigentlich klagen soll: Die Betreiber sind unbekannt, Gerüchten zufolge sitzen sie entweder in Malaysia oder Deutschland, zumindest die Server stehen aber in den USA.
Es ist nicht der erste Angriff der US-Sexbranche auf die Porno-Parasiten der Tube- und P2P-Betreiber. Schon 2007 gründete sie mit diesem Ziel die PAK Group, die in den folgenden Monaten mit einigen erfolglosen Klagen gegen Tube-Seiten Schlagzeilen machte - und virtuell, aber wohl weitgehend untätig bis heute fortbesteht. Schon damals war einer der Initiatoren das Unternehmen Pink Visual.
Die aufs Web-Geschäft und iPhone-Pornografie spezialisierte Firma steht nun auch hinter dem " Content Protection Retreat"-Kongress, kurz CPR. Mit der Namenswahl bewiesen die Macher Sinn für Humor, denn das Kürzel CPR steht im Englischen auch für Wiederbelebung durch Beatmung.
Die Beatmung der Branche, die Pink Visual nun vorschwebt, sollen Anwälte übernehmen. Drei Tage lang berieten die Branchenvertreter darüber, ob man schwerpunktmäßig eher den Betreibern von Tube-Seiten an die Wäsche gehen soll - oder nach Vorbild der Musikindustrie auch den Nutzern solcher Portale und P2P-Börsen, wenn sie Copyright-geschützte Schlüpfrigkeiten weiterverbreiten.
Was der erste Erfolg der neuen Strategie ist
Als Referenten traten auf dem Branchengipfel vor allem Anwälte von auf Copyright-Themen spezialisierten Kanzleien auf. Was bei den Diskussionen herauskam, ist nur gerüchteweise bekannt: Einigkeit soll darüber geherrscht haben, den Tube-Betreibern gemeinsam Paroli zu bieten. Streit gab es dagegen über die Frage, ob man wirklich Porno-Konsumenten, die ohne kommerzielles Interesse Filme, an denen sie keine Rechte besitzen, per Portal oder P2P-Börse weiterverbreiten, zu Tausenden abmahnen sollte.
Tatsächlich hat das in den USA schon längst begonnen. Seit dem Sommer soll es mehrere tausend Klagen gegeben haben. Die Befürworter der Strategie versprechen sich von einer solchen Abmahnwelle eine noch höhere Erfolgsquote als beim Musik- und regulären Film-Business. Der Grund dafür ist der Scham-Faktor: "Ich vermute, das wird ziemlich peinlich für einen User, der wegen der Nutzung eines Zwitter-Filmes verklagt wird", beschrieb Pink-Visual-Chef Allison Vivas im letzten Monat der Nachrichtenagentur AFP seine Theorie zur erhöhten Zahlungsmotivation der Abgemahnten.
Was wohl nicht zufällig nach einer Drohung klingt: Seit August durchforsten spezialisierte Fahnder einschlägige BitTorrent-Verteilkreise, fast 700 Anzeigen wurden allein im September durch eine einzige Firma, von Larry Flynt Publishing, auf den Weg gebracht. Doch die eigentliche Hoffnung setzt die Branche auf die Konfrontation der Tube-Szene. Pink Visual klagte bereits im Februar gegen die Betreiber der Brazzers-Kette, die mindestens fünf Tube-Seiten unterhält.
Die Klagewelle kommt
Und siegte: Anfang Oktober einigten sich die Unternehmen außergerichtlich auf einen Schadensersatz in nicht bezifferter Höhe - vor Gericht waren 6,7 Millionen Dollar eingefordert worden. Wichtiger aber als Zahlungen dürfte Pink Visual sein, dass die Brazzers-Seiten dazu verpflichtet wurden, Copyright-Filter, die auf digitalen Wasserzeichen beruhen, einzusetzen. Im Gegenzug verpflichteten sich zehn der größten Porno-Studios der USA, auf weitere Klagen gegen Brazzers zu verzichten.
Das eingesetzte Überwachungsprogramm ist FSC APAP der sogenannten Free Speech Coalition (FSC), einer politischen Lobbyorganisation der US-Sexbranche. Das Programm wurde im Rahmen des CPR-Kongresses ausführlich vorgestellt. Es ist ein gemischter Ansatz aus technischen und juristischen Dienstleistungen: APAP umfasst das Einfügen digitaler Wasserzeichen, Crawler-basierte Web-Suche nach unlizenziertem Einsatz solcher gekennzeichneter Videos und die sofortige Abmahnung solcher Verstöße. Als Zugeständnis für Tube-Seiten-Betreiber offeriert die FSC andererseits, für die Ersetzung beanstandeter Clips durch werbliche Materialien, sogenannte Promo-Clips, kleinere Zahlungen. Auf diese Weise sollen die Porno-Piraten-Plattformen in Werbe-Websites für die Branche umgewandelt werden.
Auch der Einsatz solcher Content-Filter folgt dem YouTube-Vorbild und soll dafür sorgen, dass Copyright-Verletzungen umgehend eingestellt werden - oder eben adäquate Tantiemenzahlungen oder werbliche Leistungen erfolgen. Über die Einhaltung solcher Regeln wachen neben der FSC auch spezialisierte Unternehmen wie die Media Copyright Group oder Copyright Enforcement Services. Alle Agenturen waren in Tucson prominent vertreten - als Referenten und wohl auch zur Kundenakquise.
Die Klagewelle dürfte also nicht mehr lang auf sich warten lassen: Sie hat das Potential, im Web für erhebliche Unruhe zu sorgen und das Medium wieder einmal zu verändern. Ob es dadurch aber wie beabsichtigt gelingen wird, Web-Nutzer dazu zu erziehen, wieder Geld für Schlüpfrigkeiten auszugeben, darf getrost bezweifelt werden. Das Web hat kein Rotlichtviertel, das man so einfach kontrollieren könnte - es hat eine Rotlichthälfte.