Konzentration, bitte! "Babylon Berlin" sucht den roten Faden
Die Serie ist gleichzeitig vorhersehbar und undurchsichtig.
Noch mal nachlesen, was bisher geschah? Hier sind die Besprechungen von 1&2 und 3&4.
Dieser Beitrag wurde am 21.10.2017 auf bento.de veröffentlicht.
Wir haben dich gewarnt. Hier verraten wir alles. Wenn du die Serie oder den Film noch nicht gesehen hast und das noch vorhast, betrittst du diese Seite auf eigene Gefahr.
Außerdem: Zwei Dutzend Nebenfiguren irren durch Berlin und keiner weiß, wo sie hinwollen. Großes Grauen und eine Ahnung von Spannung werfen ihre Schatten voraus – mehr aber auch nicht. Statt ein Netz zu bilden, flattern die Plot-Fäden lose im Wind.
Seit der ersten Folge ist Gereon Rath dem Mysterium um das Foto aus dem Pornofilm keinen Schritt weitergekommen. Der Zug voller Gold liegt weiter auf halber Strecke. Der tote Zugführer kommt erst ganz am Ende im Leichenhaus wieder zum Vorschein. Irgendwie hängen wohl alle drei zusammen. Bloß wie? Diese Fragen müssen wir uns leider weiter stellen. Stattdessen wird gebadet, gejagt, gepredigt – und man fragt sich: Warum?
Puh. Zu viele Figuren laufen ein paar Mal durchs Bild ohne wirklich Einfluss auf die Handlung zu nehmen: Greta, die weniger unbekümmerte, traumatisierte Version und Freundin von Lotte; Katelbach, der andere Mieter in Gereons Pension; die Armenärztin, die politische Reden schwingt – diese Figuren nehmen zu viel Raum und Zeit ein – ohne wesentlich zur Entwicklung der Geschichte beizutragen.
Da ist Helga, die Frau des verschollenen Bruders – aber immer nur am Telefon. Da ist die zart aufkeimende Sympathie zwischen Gereon und Lotte, die zusammen ermitteln, tanzen, Limo trinken. Und plötzlich liegt morgens die Vermieterin Elisabeth neben dem Kommissar im Bett. Hä?
Eine konsequent erzählte Romanze (gleich mit welcher der Damen) des Protagonisten könnte durchaus zur Identifikation mit selbigem führen – diese Chance wird bisher verspielt.
Marlene Dietrich flackert mal kurz über eine Leinwand. Der Name Hitler fällt. Kardakow sagt bedeutungsschwanger über Russland: "Mein Land ist dem Untergang geweiht, ich muss helfen, das zu verhindern", und irgendwie klingt es doch nach Deutschland. Menschen werden zwischen Zuggleisen vergast. Die Frau des Regierungsrats sagt fröhlich, die Familie ihres Mannes sei jüdisch und er weigere sich standhaft, sich taufen zu lassen.
Die Geschichte ist allgegenwärtig, und bleibt doch vage. Ein Mosaiksteinchen hier, ein weiteres dort – so gelingt es nicht, ein zutreffendes Porträt der Zeit zu malen.
Viele Szenen dauern schlicht zu lange. Wäre die Verfolgungsjagd und der Schuss auf Kardakow etwas schneller geschnitten, ließe sich vielleicht ein Hauch Zweifel darüber aufrechterhalten, ob er überlebt oder nicht. Hätte Swetlana vorige Woche nicht gefühlt zehn Minuten lang die Schilder der Zugwagons (in einem Gold, im andere Gas) ausgetauscht, sondern eher eine halbe, wäre die versehentliche Vergasung diese Woche vielleicht ein kleines Überraschungsmoment gewesen.
Zu oft weiß man als Zuschauer ein, zwei Minuten bevor es passiert, was passiert. Und das ist sehr unbefriedigend.
"Babylon Berlin" ist derzeit auf paradoxe Weise gleichzeitig vorhersehbar (auf Szenenebene) und undurchsichtig (in Hinblick auf das Gesamtkonstrukt).
"Wir fangen doch grade erst an", sagt Gereon zu Lotte – am Ende von Folge fünf.
"Geduld, wir haben Zeit", sagt Bruno Wolter zu Gereon – am Ende von Folge sechs.
Und noch stimmt das. Noch ist Zeit. So frustrierend das langsame Erzähltempo und die losen Enden sind – noch besteht Hoffnung, dass die Serie zum Bergfest nächste Woche hin Fahrt aufnimmt, dass "Babylon Berlin", wie es der Regierungsrat irgendwann anmahnt, den entscheidenden Moment nicht verpasst.
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.