Behörden online Wie der Bund eGovernment schön rechnet
Mit dem eGovernment-Projekt "BundOnline 2005" will die Bundesregierung 400 Millionen Euro pro Jahr einsparen, und ein überzeugter Innenminister verspricht den Bürgern eine "komplett modernisierte Bundesverwaltung" bis zum Jahr 2005. Deutschland hat Nachholbedarf beim eGovernment, liegt nach einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung Accenture, auf die das Innenministerium stolz verweist, im Europavergleich aber immerhin auf Platz 9. Doch ob sich das Projekt für den Steuerzahler finanziell wirklich auszahlt, ist längst nicht ausgemacht.
Kein Zweifel: Die Bundesregierung macht ernst. Die Initiative "BundOnline 2005" hat sich zum Ziel gesetzt, alle internetfähigen Dienstleistungen online verfügbar zu machen. Das sind, so hat das federführende Bundesministerium des Inneren bereits Ende 2001 festgestellt, 376 von 383 Diensten und betrifft 107 Bundesbehörden.
Die Entwicklung eines Masterplans für die Erneuerung der Bundesverwaltung wurde seit dem Herbst 1999 verfolgt und kann nun in die Phase der schrittweisen, praktischen Umsetzung starten. Mit der Zustimmung des Bundesrats zu einem Gesetzesvorschlag, der die rechtsverbindliche Kommunikation zwischen Bürger und Verwaltung regelt, wurden letzte juristische Hemmnisse beseitigt.
eGovernment: Besser und billiger?
Das angedachte Regiment der Bundes-Server besteht aus sechs Komponenten. Dazu zählen unter anderem ein zentrales Content-Management-System, ein Formularserver, der alle Bundesformulare ausgeben kann, ein Online-Bezahlsystem und Instrumente für Datensicherheit.
Wie diese Komponenten funktionieren, soll - nomen est omen - "SAGA" definieren. Das steht für die "Standards und Architekturen für eGovernment Anwendungen." Und die Initiative BundOnline übt sich schon einmal in Netikette: An der "SAGA" arbeiten Experten aus Verwaltung und IT-Industrie, und sogar interessierte Bürger dürfen, in den Foren des Serviceportals www.bund.de, mitreden und mitgestalten.
Die wenigen Bürger, die diese Möglichkeit derzeit nutzen, fragen vor allem, was das alles eigentlich soll.
Die Antwort darauf: "SAGA" soll verhindern, dass Behörden eigene Entwicklungen betreiben, weil die geplanten zentralen Systeme Geld sparen helfen - und das ist, neben Serviceverbesserungen für Bürger und Wirtschaft, eins der Hauptargumente für die eGovernment-Initiative.
Schnell "geklickt" ist halb gespart
Sparen ist gut und tut Not, denn billig ist das Vorhaben nicht gerade: Bis zum Jahr 2005 wird man 1,65 Milliarden Euro in das System gesteckt haben.
Zum Glück kann - nach "vorsichtigen Berechnungen" - die elektronisch modernisierte Verwaltung angeblich 400 Millionen Euro pro Jahr einsparen. Nach etwas über vier Jahren hätten sich die Investitionen also amortisiert.
Stellt man den Einsparungen allerdings die Betriebskosten des Systems, die sich bis 2005 auf 303 Millionen Euro pro Jahr summieren sollen, gegenüber, zeigt die Einsparung ab 2006 noch ein Abtropfgewicht von mageren 97 Millionen Euro.
Im Klartext: Für die Laufzeit der Aufbauphase sind die Betriebskosten gedeckt und das System entfaltet mit zunehmender Implementierung ein bis auf 400 Millionen ansteigendes Einsparungspotenzial. Sobald es dieses jedoch erreicht, müssen daraus die laufenden Betriebskosten refinanziert werden - und die theoretisch vorhandene Einsparung beginnt, sich stückweise aufzulösen. Der Eindruck der schnellen Refinanzierbarkeit binnen vier Jahren, dem niemand im Ministerium gern widerspricht, ist eine Täuschung.
"Es ist eine Selbstverständlichkeit", erklärt Ministeriumssprecher Dirk Inger, "dass eGovernment auch laufende Kosten verursacht. Die Aussage, dass sich der 'Return On Investment' nach vier Jahren ergibt, bezieht sich auf die einmaligen Investitionen für die Einführung von Online-Diensten."
Weiter heißt es in einer schriftlichen Antwort auf eine Anfrage von SPIEGEL ONLINE: "Die in dem Umsetzungsplan aufgeführten laufenden Kosten lassen sich im Übrigen nicht von jenen Kosten trennen, die für den Betrieb einer leistungsfähigen und sicheren IT anfallen, die die Bundesverwaltung auch unabhängig von eGovernment ohnedies betreiben muss."
Klar - bis auf den Umstand, dass in der Investitionssumme von 1,65 Milliarden Euro die jeweils anfallenden Betriebskosten bis zum ersten geplanten Vollbetrieb in Jahr 2005 bereits enthalten sind. 2006 ist die Investition abgeschlossen, die Betriebskosten von 303 Millionen Euro pro Jahr bleiben aber bestehen.
Das Innenministerium spricht keck von 400 Millionen Euro jährliche Einsparung, kann das Zustandekommen der Zahl aber nicht schlüssig erklären. Letztlich beruht sie auf Prognosen - und die sind zum Teil recht optimistisch. Weiter
Rechnung mit Unbekannten
Eine Berechnung der tatsächlichen Einsparpotenziale der eGovernment-Initiative lässt sich aus diesen wenigen Eckwerten noch lang nicht ableiten: Als harte Größe fehlt hier unter anderem noch die Angabe, wie hoch die Betriebskosten derzeitiger, durch das neue System teilweise oder vollständig zu ersetzender Systeme sind. Doch entsprechende Anfragen verhallen ohne konkrete Antwort.
Die zweite, zur Abschätzung des Einsparpotenzials notwendige Größe verlangt den Blick in die Zukunft: Letztlich entscheidet sich die Frage daran, wie viele Bürger und wie große Teile der Wirtschaft das System annehmen und nutzen werden.
Die Parole der "vorsichtigen Berechnung" lässt sich also als drohendes Ungemach deuten: Stimmen die Prognosen nicht, könnte sich das Einsparpotenzial, das das Investment rechtfertigt, drastisch reduzieren. Die Sparschätzungen wurden anhand der verschiedenen Dienstleitungstypen an Beispielen hochgerechnet. In jedem Fall unterstellen die Berechnungen, dass die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger im Jahr 2006 den virtuellen Weg ins Amt nutzen wird.
Doch wie viele Bürger müssen eigentlich beim eGovernment mitmachen?
Rechtsverbindliche Transaktionen setzen eine qualifizierte, digitale Signatur voraus. 100.000 solche Sicherheitszertifikate sollen, laut Bundesinnenminister Otto Schily, bis Ende dieses Jahres ausgegeben worden sein - vornehmlich an Partner in der Wirtschaft, wo am Konzept erheblich höheres Interesse besteht. "So soll die kritische Masse zum Breiteneinsatz erreicht werden", erklärte der Minister seinen Behördenleitern.
Damit geht Schily auf Nummer sicher: Weder die Signatur, noch der unsichere Faktor der Bürgerbeteiligung sollen den Masterplan des Bundes aus der Bahn werfen. Ein großer Teil der Einsparungen soll bereits aus einem effizienteren Zusammenspiel der Bundesbehörden gewonnen werden, weiterhin beschleunigen sich Dienstabwicklungen zwischen Behörden und geschäftlichen Nutzern.
Für den Bürger interessante Anwendungen gibt es bereits in Form von Pilotprojekten, zum Beispiel die elektronische Steuererklärung "Elster", den Online-BAFöG-Antrag oder den Onlinekredit für berufliche Fort- und Weiterbildung. Eine digitale Signatur ist lediglich bei 100 der geplanten 350 Online-Dienste erforderlich.
Auch aus diesem Grund registriert das Innenministerium Hoffnungszeichen, die bereits in die Prognosen über zu erwartende Bürgernutzung des Systems eingeflossen sind: Der Zuspruch zu den bisherigen Onlineprojekten übertraf die Erwartungen deutlich - wohl auch, weil sich die Nutzung als unerwartet unkompliziert erwies.
Allein das Online-BAFöG erzielt Einsparungen von 4,5 Millionen Euro pro Jahr. Ob die schöne, neue, digitale Bundesverwaltung letztlich allerdings rentabel sein kann, bleibt trotzdem unabsehbar. Die Regierung geht optimistisch von einer "alltäglichen" Internetnutzung durch die Mehrzahl der Bürger im Jahre 2006 aus. Die meisten der einschlägigen Prognose-Produzenten in Marktforschungsunternehmen und Unternehmensberatungen sehen das inzwischen aber etwas anders: Demnach hat "Online" das Potenzial, im Augenblick rund die Hälfte der Bevölkerung zu erreichen - und viel mehr kommt in dieser Generation nicht mehr hinzu.
Das ist keine Frage der Rahmenbedingungen. Rund die Hälfte der Deutschen sind vor allem aus einem triftigen Grund offline: Sie haben keine Lust auf PC und Web - oder eGovernment.