Berlin.de Vollkommener Fehlstart
Seit drei Monaten ist Sascha Korp von "berlin.de" sehr kleinlaut, wenn er in der Öffentlichkeit erscheint. Gerne entschuldigt er sich dann erstmal für die "Enttäuschungen", die "berlin.de" bei "vielen Netzusern ausgelöst" hat. "Wenige der eigenen Versprechungen" habe man bislang erfüllt, das Projekt habe Anfang Dezember 1998 einen "vollkommenen Fehlstart" hingelegt, "schlimmer hätte es nicht kommen können" - so reumütig zeigte sich Korp zum Beispiel letzte Woche bei dem Berliner Internet-Kongreß "Softmoderne".Das war nicht immer so: Noch vor wenigen Monaten pries Korp bei Veranstaltungen und Kongressen gerne in höchsten Tönen die Vorzüge des neuen Internetangebots der Stadt Berlin, mit dem eine "public-private partnership" zwischen der Berliner Senatkanzlei und Primus-Online Berlin-Brandenburg am 8. Dezember 1998 ans Netz gegangen ist. "Eine interaktive Plattform für alle Berliner" sollte das neue Webangebot werden, das Berlin im Internet repräsentieren soll. Hinter Primus-Online Berlin-Brandenburg stehen in erster Linie debis, die Dienstleistungstochter von DaimlerChrysler und der Metro-Konzern.Außer dem Web-Informationsangebot des Berliner Senats sollte "berlin.de" Dienste und Angebote bieten, die weit über das hinausgingen, was auf der alten Homepage der Stadt Berlin zu finden war. Außer dem Stadtinformationssystem sollte "berlin.de" den Usern Internetzugang, eine eigene E-Mail-Adresse, Speicherplatz für private Homepages und Chats bieten. Webseiten der Bezirke, E-Commerce, ein Stadtplan, Flugpläne, Öffnungszeiten von Museen, Behörden und Bibliotheken und ein Verwaltungsführer sollten das Angebot ergänzen. Da der Senat für sein Internetangebot nichts mehr bezahlen will, müßen die neuen Betreiber von "berlin.de" ihr Angebot mit E-Commerce finanzieren. Auf der Site sollen Berliner Gewerbetreibende ihre Angebote über das Netz vertreiben können. Alles kein Problem, hieß es von der debis-Tochter.Dann kam der Starttermin. Bei der feierlichen Eröffnung mußten Berlins Bürgermeister Eberhard Diepgen und debis-Chef Klaus Mangold erst einmal eine qualvolle halbe Stunde warten, bis sie "berlin.de" per Mausklick eröffnen konnten; immer wieder stürzte der Server ab, noch Tage später bestand das Internetangebot der deutschen Hauptstadt vorwiegend aus Fehlermeldungen. "Berlin.de" war als Königstiger gesprungen und als Schrotthaufen gelandet, die Blamage war perfekt. Bestrebt, alles besser als vorher zu machen, hatte man nichts richtig gemacht.Auch gut drei Monate nach dem Start der komplett neugestalteten Berliner Website sind längst nicht alle Versprechungen aus dem letzten Jahr erfüllt. Die Macher von "berlin.de" sind gut beraten, sich in Selbstkritik zu üben. Bisher existiert auf der Site nicht einmal eine simple Suchfunktion. Die Orientierung ist mühsam, denn die Inhalte sind nach einem gewöhnungsbedürftigen System geordnet.Bisher überwiegen bei "berlin.de" die technischen und organisatorischen Mängel: der angekündigte Verwaltungsführer existiert bis heute nicht, Flugpläne für die Berliner Flughäfen sucht man vergebens, und bisher hat auch noch kein einziges Geschäft bei "berlin.de" eine virtuelle Dependence eröffnet. Auch das Ticketing-System, mit dem man auf der Site Theater- und Kinokarten bestellen können soll, läßt auf sich warten. Daß diese "E-Commerce"-Angebote von Berliner Unternehmen nicht angenommen werden, liegt nicht zuletzt an den hohen Preisen, die "berlin.de" für diese Dienste durchzusetzen versucht. Auch die Formulare des Finanzamts mußten inzwischen wegen formaler Fehler wieder aus dem Webangebot der Stadt Berlin entfernt werden. Und unter den "Nachrichten aus Berlin und den Bezirken" findet sich das Neueste über Monica Lewinsky.Auch von den angekündigten öffentlichen Terminals in der Stadt ist noch nichts zu sehen. Vom angekündigten Zugang mit Settop-Boxen und über Telefone mit optischem Display ist schon gar keine Rede mehr. In den virtuellen "Bürgerforen" herrscht nach wie vor eisiges Schweigen, bei den Berliner Volkshochschulen stimmt keine einzige E-Mail-Adresse, und viele Leerstellen sind inzwischen wieder mit HTML-Seiten aus dem alten Webangebot Berlins aufgefüllt worden. Selbst der Stadtplan funktioniert bis heute nicht, während zum Beispiel bei "stadtplandienst.de" seit Jahren eine brauchbare, interaktive Karte von Berlin zu finden ist.Durch die aufwendige Programmierung der Site werden - wenig bürgerfreundlich - Nutzer mit langsamen Internetverbindungen und älteren Computern ausgeschlossen; eine "Text-Only"-Version für einen schnellen Zugriff existiert nicht. Besonders absurd: wer von einer Seite zurück auf die vorangegangene will, bekommt lediglich eine seltsame Fehlermeldung. Dieses Problem soll nun bis Ende April endlich gelöst sein, dafür werden neue Programmierungen bei "berlin.de" allerdings in der Codesprache Java vorgenommen, die viele ältere Internet-Browser nicht lesen können und welche selbst neuere Browser oft zum Abstürzen bringt.Jetzt werden auch Berlins Politiker langsam ungeduldig: der Abgeordnete Arnold Krause hat die Web-Site der Hauptstadt in einer Pressemitteilung als "Schaden für das Ansehen Berlins" bezeichnet. "Bei anderen Kommunen ist das Web-Angebot viel attraktiver", findet der Grünen-Politiker, der auch kritisiert, daß bei "berlin.de" wieder ein großer Konzern den Zuschlag bekommen habe, während "die kleinen Fische leer ausgegangen sind." Krause, der sich bei "berlin.de" selbst als User angemeldet hatte, konstatiert auch gravierende Probleme mit Zugangssoftware und technischem Service: die Software konnte man nur mit Mühe installieren, die Hotline war mit Fragen zu diesen Problemen überfordert und empfahl den Zugang über einen handelsüblichen Browser. Auch nach Ablauf der Einführungs-Testperiode gab es von "berlin.de" kein neues Angebot. Krause: "So bekommt das Unternehmen keine dauerhaften Nutzer."Auch Horst Ulrich, beim Berliner Senat zuständig für das virtuelle Stadtinformationssystem, ist "mit vielem nicht zufrieden, was am Anfang passiert ist". Doch inzwischen sei die "berlin.de"-Mannschaft personell aufgestockt, und man habe einen Terminplan aufgestellt, bis wann bestimmte Angebote verfügbar sein sollen: der Stadtplan soll in den nächsten Tagen funktionieren, die Suchfunktion Ende März, und mit öffentlichen Terminals ist im Sommer zu rechnen. Der Fehlstart von "berlin.de" sei nicht allein auf das Versagen der Betreiber zurückzuführen. Auch bei der Stadtverwaltung, die ihre Informationen selbst ins System einbringen sollen, würde kräftig gemauert. Ulrich: "Manche Dienststellen wollen noch nicht mal eine eigene E-Mail-Adresse. Die denken sich: Hilfe, da könnte ja jemand schreiben!?"