Überleben als Schriftsteller Drei Stipendien, vier Jahre, ein Roman

Arbeitsstipendium, Literaturfonds, Geld für eine Option auf die Verfilmung seines Romans "Das Geschäftsjahr 1968/69": Der Autor Bernd Cailloux erzählt, wovon er im Jahr 2011 gelebt hat.
Bernd Cailloux: Der Autor von "Das Geschäftsjahr 1968/69" ist auf Stipendien angewiesen

Bernd Cailloux: Der Autor von "Das Geschäftsjahr 1968/69" ist auf Stipendien angewiesen

Foto: Susanne Schleyer/ Suhrkamp

Bernd Cailloux, 66, wurde in Erfurt geboren und wuchs in Niedersachsen auf. Er arbeitete als Journalist, veröffentlichte in Literaturzeitschriften erste Prosa, 1986 erschien sein erster Erzählband "Intime Paraden", 2005 der erfolgreiche Roman "Das Geschäftsjahr 1968/69 ". Cailloux lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Wovon lebt er? Das Protokoll:

Grundsätzlich würde ich sagen, wenn man zum Schreiben kommt, muss man sich darauf einstellen, dass man nicht unbedingt mit Geld zu rechnen hat. Das ist fast eine Grundvoraussetzung für den Schriftstellerberuf. Also vom Honorar von 2000 verkauften Buchexemplaren kann man kein Jahr leben. Wer schreibt, lässt sich auf einen langen, unberechenbaren Prozess ein.

Ich bekomme seit einem Jahr Rente, seit ich 65 bin. Aber wenn man jahrzehntelang der Künstlersozialkasse Nettogewinne von 8000 bis 10.000 Euro vorweisen konnte, hat man keine großen Rentenversicherungsbeiträge bezahlt, geschweige denn Rücklagen für die Alterssicherung gebildet. Das rächt sich natürlich später. Ich habe immer gedacht, ich arbeite bis zum Schluss, aber da bin ich mir jetzt gar nicht mehr so sicher. Man muss ja auch gefragt sein.

Drei Stipendien in vier Jahren

Ein kleiner Erfolg wie mein Buch "Das Geschäftsjahr 1968/69" von 2005 ist dabei recht hilfreich, dann gibt es vielleicht auch mal ein Stipendium, das man vorher nicht bekommen hätte. Für die Arbeit an meinem neuen Roman "Gutgeschriebene Verluste" habe ich drei Stipendien in vier Jahren verbraucht. Darunter eins vom Literaturfonds, das ein Jahr jeden Monat mit 2000 Euro dotiert war, Verheiratete erhalten etwas mehr. Außerdem hatte ich ein Arbeitsstipendium der Stadt Berlin 2011, das waren 12.000 Euro im Jahr, steuerfrei. Geld wie Heu.

Aber man kann da auch herbe Dinge erleben. Man schaut in die Stipendienboutique und fragt sich, welches Stipendium passt zu mir, vielleicht eins zu 1050 Euro im Monat, wo man Präsenzpflicht in Minden hat und zu Hause 700 Euro feste Unkosten? Da müsste ich vielleicht putzen gehen in Minden. Beim Berlin-Stipendium waren, wenn ich mich recht erinnere, 800 Bewerber, oder 644, jedenfalls eine irre Zahl für 12 bis 13 Plätze. An manchen Stellen gibt es eine unheimliche Konkurrenz.

Als Schriftsteller hat man nur die Wahl, vom Markt zu leben, vom Markt finanziert zu werden, oder man muss eben auf Stipendien zurückgreifen, und mal in diese, mal in jene Hände beißen. Dieser Doppelcharakter von Kunst und Ware kommt übrigens in der römischen Geschichte sehr gut raus. Mäzenas war der Kunstbeauftragte der Kaiser Octavius und Augustus, denen er in der Zeit von Vergil unterstellt war. Die Herrschenden wussten damals nicht mit Bestimmtheit, warum ihr Rom so erfolgreich war, und haben Mäzenas beauftragt, die Gründe rauszukriegen und aufzuschreiben. Und so ist sozusagen das Mäzenatentum entstanden: um etwas lobend auszudrücken.

Der Staat ermöglicht der Kunst ihre Freiräume

Teile von "Das Geschäftsjahr 1968/69" habe ich bestimmt vier- oder fünfmal eingereicht - ich habe kein einziges Stipendium bekommen und wurde nach dem Erscheinen doch für den Deutschen Buchpreis nominiert. Die Mäzenas-Geschichte erzähle ich deswegen, weil Mäzenatentum immer bedeutet, dass man irgendein Zugeständnis machen muss, eine fühlbare Dazugehörigkeit gegeben sein muss. Eine gewisse Gefälligkeit wird erwartet. Aber andererseits, wenn man sich auf den Markt verlässt, wenn man nur versucht, verkäufliche Bücher zu schreiben, wissen manche ja auch, an welchen Stellen dem Publikum entgegenzukommen ist.

Stipendien sind nach wie vor schon sehr hilfreich. Die Buchvorschüsse befinden sich im freien Fall in Richtung des Schillerschen Gotteslohns. Die Verlage gehen immer weniger das Risiko ein, Bücher mit einem Vorschuss von, sagen wir, 30.000 Euro vorzufinanzieren. Der Staat ermöglicht der Kunst ihre Freiräume.

Meine früheren Bücher kamen nie über eine Auflage von 2000 bis 3000 Exemplaren hinaus, aber "Das Geschäftsjahr 68/69" hat sich beständig verkauft, jedes halbe Jahr werden ein paar hundert Stück abgerechnet. Bei E-Books bekomme ich sogar das doppelte Honorar, 20 Prozent des Verkaufspreises, das ist ja nicht schlecht. Im Moment sind E-Books für mich kein großes Thema, aber ein wenig Sorge beschleicht mich schon wegen illegaler Downloadangebote.

Produktionsfirma zahlt für Rechte-Option

Am besten ist es, wenn das Buch verfilmt wird. Und sogar wenn's nicht verfilmt wird, trägt der Posten ganz gut zum "Mischeinkommen" bei, denn die Produktionsfirma muss für die Rechte-Option bezahlen und dann noch mal für die Verlängerung der Option. Der Produzent, der "Das Geschäftsjahr 1968/69" verfilmen wollte, hat drei Jahre lang drei- oder viertausend Euro berappt. Das war mehr als meine Rente heute. Leider ist das Projekt damals aufgrund fehlender Filmförderungsgelder nicht verwirklicht worden. Nun versuchen's andere.

Insgesamt gilt: Hat man erst mal ein bestimmtes Alter erreicht und sich als Schriftsteller an einen asketischen Lebensstil gewöhnt, braucht man nicht mehr sehr viel. Ausgaben für Alkohol, Drogen, Nikotin und größere Eskapaden werden weniger oder fallen ganz weg, große Reisen sind für mich kein Thema. Das ersparte Geld kann wieder in die Kunst gesteckt werden. Ein Auto besitze ich seit 40 Jahren nicht, und ich wohne immer noch in derselben Wohnung. Obwohl die Miete seit 1989 um das Siebenfache gestiegen ist. Und natürlich ist es auch immer wieder prekär: Bricht ein Zahn weg, bricht die Schreibexistenz zusammen.

Auf der Internetkonferenz re:publica präsentiert SPIEGEL ONLINE eine eigene Diskussionsrunde zum Urheberrecht  (Freitag, 11.15 Uhr, Stage 2): Es diskutieren Conrad Fritzsch von tape.tv, Konrad von Löhneysen, Embassy of Music, die Musikerin Roxanne de Bastion und der Komponist Hans Hafner. Moderation: re:publica-Gründer und Musiker Johnny Haeusler. Mehr über das Urheberrechts-Panel

Aufgezeichnet von Jörn Morisse

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