Anonyme Arzt-Bewertungen Die wichtigsten Fragen und Antworten zum BGH-Urteil

Patient beim Arzt: Anonymes Bewerten bleibt möglich
Foto: CorbisDer Bundesgerichtshof (BGH) hat am Dienstag ein wichtiges Urteil gefällt. In dem Verfahren ging es um einen Arzt aus Schwäbisch-Gmünd, der sich an mehreren Bewertungen eines Nutzers im Online-Bewertungsportal Sanego störte. In den Beiträgen wurde unter anderem behauptet, der Patient habe drei Stunden lang warten müssen und der Arzt lagere Patientenakten in Wäschekörben. Allein im Juni 2012 wiederholte ein Nutzer diese nach Feststellung der Gerichte unwahren Behauptungen drei Mal. Auf Beschwerde des Arztes löschte der Portalbetreiber diese jeweils. Ab Juli 2012 war auf dem Portal erneut eine Bewertung mit gleichen Aussagen zu lesen, diesmal zumindest für vier Monate.
Zusätzlich zum Löschen der Bewertungen verlangte der Arzt von Sanego, Name und Anschrift des Kommentators preiszugeben. Das Unternehmen weigerte sich jedoch, die Auskunft zu erteilen. Das Stuttgarter Landes- und Oberlandesgericht sprachen dem Arzt ein Recht auf Auskunft zu, Sanego legte daraufhin Revision ein. Der Fall landete so vor dem BGH, der nun seine Entscheidung bekanntgegeben hat.
Wie hat der BGH entschieden?
Der BGH hat entschieden, dass Internetdienste die Namen anonymer Nutzer nicht an Privatpersonen herausrücken müssen. Der VI. Zivilsenat des Gerichts hat damit den Schutz der Anonymität im Internet gestärkt. Gleichzeitig bekräftigte der BGH einen "Unterlassungsanspruch gegen den Diensteanbieter". Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hatte Sanego nämlich schon rechtskräftig dazu verurteilt, die Falschbehauptungen immer wieder zeitnah zu löschen. Alternativ könne der Anbieter technische Vorkehrungen wie Wortfilter treffen, damit die entsprechenden Kommentare gar nicht erst wieder auf der Plattform auftauchen.

Bewertungsportal Sanego: Falschbehauptungen müssen gelöscht werden
Insgesamt ist das BGH-Urteil aber im Sinne der Bewertungsportale ausgefallen: Ihre Nutzer können sich jetzt sicher sein, dass ihre Anonymität auch bei kritischen Kommentaren gewahrt wird.
Wie hat der BGH sein Urteil begründet?
Die Anonymität der Nutzer dürfe nach den Bestimmungen des Telemediengesetzes (TMG) nur in wenigen Ausnahmen aufgehoben werden, sagte der Vorsitzende Richter Gregor Galke bei der Entscheidungsverkündung. Er zählte Strafverfolgung, Gefahrenabwehr und die Durchsetzung von Urheberrechten auf. "Der Schutz der Persönlichkeitsrechte ist nicht genannt", betonte Galke. Der Senat habe geprüft, ob es sich dabei um ein Versehen des Gesetzgebers gehandelt habe: "Das war nicht der Fall."
Der Berliner Rechtsanwalt Thomas Schulte meint: "Auf jeden Fall ist die Entscheidung juristisch einleuchtend: Grundsätzlich haftet der Betreiber eines Bewertungsportals für Äußerungen auf seinem Portal nicht, es sei denn, er hat sich die Bewertungen redaktionell angeeignet und zeichnet für sie mit seinem Namen." Eine generelle Pflicht, die von den Nutzern ins Netz gestellten Beiträge schon vor der Veröffentlichung auf mögliche Rechtsverletzungen zu prüfen, gebe es nicht.
Wen betrifft das Urteil?
Es handelt sich um ein Grundsatzurteil - insofern dürfte das Urteil auch für andere Bewertungsportale von Bedeutung sein. Solche Plattformen gibt es im Internet in großer Zahl. Neben Ärzten kann man zum Beispiel Restaurants, Hotels und Reiseanbieter bewerten. In der Regel kommentiert man auf den Portalen unter Pseudonym, und selbst bei der Registrierung bleibt fraglich, wie viele Nutzer hier überhaupt korrekte Angaben zu ihrer Person machen.
Muss man Rufschädigungen im Netz jetzt einfach hinnehmen?
Natürlich nicht. Wird auf einer Plattform Falsches oder Rufschädigendes behauptet, kann man die entsprechenden Beiträge beim Betreiber des Portals melden. Der muss die Vorwürfe prüfen und gegebenenfalls die Kommentare löschen.
Geschädigte können auch weiterhin eine Strafanzeige bei der Polizei stellen. Ermittelt dann ein Staatsanwalt und erwirkt eine richterliche Anordnung, müssen Internet-Dienste den Behörden die Daten eines anonymen Nutzers vorlegen. Per Akteneinsicht kann man auf diesem Weg an die Daten des Kommentators kommen.
Und welche Möglichkeiten gibt es ohne Strafanzeige?
Manche Bewertungen sind auch dann unliebsam, wenn darin keine falschen Tatsachen behauptet werden - etwa, weil sie einen falschen Eindruck wecken. Man stelle sich etwa einen verärgerten Patienten vor, der an einem besonders stressigen Tag mit vielen Notfällen in eine Praxis gekommen ist und deshalb lange warten musste - was allerdings eine Ausnahmesituation ist und nicht die Regel.
In so einem Fall hilft es schlicht, als Arzt selbst aktiv zu werden und eine Antwort auf die Online-Beschwerde zu schreiben. Diese ist für die anderen Leser einsehbar und hinterlässt meistens einen guten Eindruck - weil sie zeigt, dass der Arzt die Bewertungen ansieht und Beschwerden ernst nimmt. Sind die Vorwürfe wirklich unzutreffend, springen dem zu Unrecht Kritisierten oft auch andere Bewerter zur Seite. Und wer sich gar nicht erst bewerten lassen will, hat zumindest bei Sanego die Möglichkeit, den Eintrag der eigenen Praxis verbergen zu lassen - und damit gar nicht mehr sichtbar aufzutauchen.