Brexit-Propaganda Die Bots wollen raus aus der EU

Beim Wahlkampf um das EU-Referendum im Vereinigten Königreich mischen automatische Meinungsmaschinen in sozialen Netzwerken kräftig mit. Das könnte einige Wähler durchaus beeinflussen.
Pro-Brexit-Demonstrantin mit "I'm In"-Aufkleber auf dem Handy

Pro-Brexit-Demonstrantin mit "I'm In"-Aufkleber auf dem Handy

Foto: BEN STANSALL/ AFP

Der Wahlkampf um den Verbleib der Briten in der Europäischen Union geht am Donnerstag mit dem Urnengang zu Ende. Während die Wahlkämpfer auf der Straße in den letzten Tagen noch von Tür zu Tür zogen, um für ihre Sache zu werben, haben in den sozialen Netzwerken Maschinen diese Aufgabe übernommen. Und die hatten jede Menge zu tun. Das legt zumindest eine Studie von zwei Soziologen  nahe. Sie kommen zu dem Schluss, dass ein beachtlicher Teil der Tweets zum Thema Brexit von Bots stammt. So nennt man Nutzerprofile, hinter denen keine Menschen, sondern Computerprogramme stecken.

Die Studie bezieht sich zwar auf das EU-Referendum der Briten, sie gibt aber einen Hinweis darauf, wie Wahlkämpfe in Zukunft ablaufen könnten - in einer Zukunft, in der Politiker und Interessengruppen immer öfter auf Maschinen zurückgreifen, um die Willensbildung zu beeinflussen.

Bei den Autoren der Studie handelt es sich um Philip Howard von der University of Oxford und Bence Kollanyi von der Budapester Corvinus-Universität. Sie haben die Verteilung von Hashtags untersucht, die mit dem Referendum in Verbindung stehen. Dabei unterschieden sie zwischen Hashtags, die auf eine Tendenz in Richtung Austritt hindeuten, wie etwa #voteleave oder #takecontrol, und solchen, die eher für einen Verbleib in der EU werben, also #strongerin oder #remain.

Twitter geht gegen die Meinungsmaschinen vor

In einem Zeitraum von sieben Tagen fanden die Forscher über 1,8 Millionen Tweets mit diesen Begriffen. Die Hälfte davon bewerteten sie als Pro-Brexit, 15 Prozent als Contra-Brexit, der Rest war neutral oder zeigte nur leichte Tendenzen. Dann sahen sich die Wissenschaftler an, wie viele Bots an den Tweets beteiligt waren. Dabei stießen sie auf eine interessante Zahl: Ein Prozent der an der Diskussion beteiligten Nutzerprofile war für über 30 Prozent aller Tweets verantwortlich. Im Klartext: Eine kleine Gruppe dominierte die Diskussion. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich zumindest bei einem Teil davon um Bots handelte.

Insgesamt ermittelten Howard und Kollanyi, dass bei beiden Lagern etwa 15 Prozent der Tweets von Bots oder zumindest von teilweise automatisierten Nutzerkonten stammen. Nur ein winziger Bruchteil davon gab sich tatsächlich als Bots zu erkennen. Inzwischen, so schreiben die Forscher, seien einige dieser Konten gesperrt - Twitter geht also gegen die Meinungsmaschinen vor.

Das Phänomen, dass Maschinen, die sich als Menschen ausgeben, für den Wahlkampf eingesetzt werden, ist nicht neu. In den USA und Kanada etwa sind sogenannte Robocalls seit Jahren verbreitet. Dabei rufen Computerprogramme potenzielle Wähler an, geben sich teilweise als echte Menschen aus und machen Werbung für eine politische Position. Manche dieser Praktiken sind inzwischen verboten. 2011 kam es bei den Wahlen in Kanada zu einem Skandal. Damals hielten Robocalls Wähler vom Urnengang ab: Sie waren darauf programmiert, die Angerufenen von einer vermeintlichen Verlegung der Wahllokale zu überzeugen.

Diese Methode ist von vorneherein manipulativ

Doch in Zeiten, in denen immer mehr potenzielle Wähler in sozialen Netzwerken erreichbar sind, verlassen sich manche Politiker lieber auf Bots. Das fängt damit an, dass sich manche automatisierte Twitter-Follower kaufen, um ihre Kanäle aufzupeppen. Das Analyse-Tool TwitterAudit  bewertet etwa 30 Prozent der Follower von Donald Trumps Account als automatisiert, bei Hillary Clinton sind es immerhin noch zehn Prozent. Wobei man nicht sagen kann, ob diese Bots tatsächlich von den beiden Präsidentschaftskandidaten oder deren Teams beauftragt wurden.

Längst beschränken sich die Aufgaben der Maschinen nicht mehr darauf, Accounts echter Menschen gut aussehen zu lassen. Es gibt auch direkte Manipulation: 2010diskreditieren Twitter-Bots die Demokratische US-Senatskandidatin aus Massachusetts . Und 2012 sollen bei den Wahlen in Mexiko mehr als 10.000 gefälschte Nutzerprofile die "institutionalisierte Revolutionspartei" unterstützt haben. Das ist aber nur der Anfang: Die Autoren der Brexit-Bot-Studie berichten von automatisierten Lobby-Aktionen in mindestens 13 Staaten.

Was das Referendum in Großbritannien angeht, schätzt die London School of Economics, dass 30 Prozent der Wähler erst diese Woche entschieden haben werden, für wen sie stimmen. Groß ist also das Potenzial einer automatisierten Twitter-Kampagne. Das ist problematisch. Denn Nutzer von sozialen Netzwerken erkennen die Bots oft nicht als solche, gerade wenn diese Maschinen sich als Menschen ausgeben. Leicht kann so der Eindruck eines überwältigenden Meinungsübergewichts für eine bestimmte Position erzeugt werden - dabei zetern in Wahrheit nur die Maschinen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten