Angst vor Manipulationen der Bundestagswahl Was plant Moskau?

Vor zwei Jahren haben russische Hacker den Bundestag angegriffen. Werden sie nun kurz vor der Wahl die erbeuteten Daten platzieren? Behörden zweifeln mittlerweile daran - und sehen eine ganz andere Gefahr.
Foto: imago/ Ikon Images

Es gibt einen Text, den man sich in Deutschlands Sicherheitsbehörden in diesen Wochen gern hin- und herschickt. Der Artikel stammt aus der Zeitschrift "Foreign Policy" und trägt die Überschrift "Russian Hackers Can't Beat German Democracy" (zu Deutsch: Russische Hacker können die deutsche Demokratie nicht schlagen).

In dem Text wird spekuliert , wie Russland die Bundestagswahl stören könnte. Dass es solche Versuche geben wird, setzt die Zeitschrift voraus, kommt aber zu einem Fazit, das aufhorchen lässt: Der Kreml werde aller Voraussicht nach scheitern. Denn Deutschland sei für Angriffe exzellent gerüstet, Politik und Bürger seien für die Gefahren sensibilisiert und das Mediensystem sei ein Schutzschild gegen Desinformationskampagnen.

Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, seit geraumer Zeit der eifrigste Mahner in Bezug auf Russlands langen Arm, sagte der "Welt am Sonntag", es sei fraglich, ob Desinformationskampagnen in Deutschland "in die aktuelle politische Agenda des Kreml passen". Nachdem monatelang unablässig vor Einflussoperationen Moskaus gewarnt wurde, berichtete auch die "Süddeutsche Zeitung"  diese Woche gar von "vorsichtiger Entwarnung". Man halte es in Sicherheitsbehörden "nicht mehr für wahrscheinlich, dass es zu Störversuchen kommen wird".

Angriffe auf das Ergebnis der Bundestagswahl

Doch ist tatsächlich Entwarnung angesagt? Eher nicht: Denn zugleich gerät nun ein bislang weniger diskutiertes Szenario in den Blick. Dabei geht es um Akteure, die gezielt Zweifel am Wahlergebnis säen könnten. Hintergrund sind dabei - wie bei anderen Befürchtungen auch - die Erfahrungen der Präsidentschaftswahl in den USA. Dort hatten nach dem von vielen als Schock empfundenen Wahlsieg Donald Trumps Einsprüche der Grünen-Kandidatin Jill Stein erhebliche Bedenken verstärkt.

Stein, die als Kandidatin bei einer Russia-Today-Gala neben Putin dinierte, hatte Millionen gesammelt, um Neuauszählungen in drei Bundesstaaten anzuordnen. Bis Gewissheit herrschte, dauerte es mehrere Wochen.

In dem für die Wahlsicherung zuständigen Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) rechnet man mit solchen Versuchen auch in Deutschland. Zwar ist die elektronische Stimmabgabe in manchen US-Bundesstaaten viel anfälliger für Zweifel und Manipulationen als der deutsche Prozess - weil hier Kreuzchen immer noch auf Papier gesetzt werden.

Doch BSI-Präsident Arne Schönbohm betont gegenüber dem SPIEGEL, neben Hackerangriffen auf sensible Daten von Kandidaten und Parteien sei es die größte Gefahr für den Wahlprozess, dass "Täter versuchen könnten, IT-Systeme anzugreifen, die für die Wahl verwendet werden". Es geht dabei etwa um die Wahlsoftware, die Ergebnisse aus Wahlkreisen zusammenträgt.

Er warnt außerdem: "Auch nach der Bundestagswahl können Täter versuchen, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Wahl zu beeinträchtigen, indem sie falsche Behauptungen über Unregelmäßigkeiten streuen."

Kommt der perfekt terminierter Angriff mit Bundestagsdaten?

Selbst wenn sich dieses Szenario nicht bewahrheiten sollte, steht ein anderes nach wie vor im Raum, das Politik, Behörden und Medien eigentlich fest einkalkuliert hatten: eine perfekt terminierte Attacke auf den Bundestagswahlkampf, gespeist aus der Daten-Beute des Cyberangriffs auf den Bundestag im Jahr 2015. Die Vermutung war immer, dass die damals von russischen Hackern gestohlenen Informationen im nächsten Wahlkampf lanciert werden. Denn immerhin 16 Gigabyte an Daten flossen damals ab, vor allem wohl Inhalte von E-Mail-Postfächern. Mindestens 16 Abgeordnetenbüros waren betroffen, darunter das Wahlkreisbüro von Angela Merkel.

Internationale Vorbilder für solch ein Vorgehen gibt es: Zum einen wären da die geleakten E-Mails aus Hillary Clintons Wahlkampfteam und der Demokratischen Partei. Zum anderen wurden Datensätze aus Emmanuel Macrons Kampagne kurz vor der französischen Präsidentenwahl veröffentlicht.

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Und: Die Hackergruppierung, die den Bundestag angegriffen hat, ist tatsächlich dieselbe, die für die Attacken auf die US-Demokraten und Macron verantwortlich gemacht wird. Die Gruppe kursiert in der Szene unter Namen wie APT28, Fancy Bear oder Pawn Storm. IT-Sicherheitsforscher und westliche Sicherheitsbehörden sie in Verbindung mit Moskaus Militärgeheimdienst GRU - auch wenn der Nachweis, wer hinter einem konkreten Hackerangriff steckt, schwer zu erbringen ist.

Deutschland ist ein Hauptziel dieser Vereinigung geblieben, auch nach dem ersten Hack: 2016 griff sie die SPD-Fraktion im Bundestag an sowie die saarländische CDU. Auch bei Angriffsversuchen auf CDU und SPD nahestehende politische Stiftungen entdeckten Sicherheitsforscher Spuren von APT28.

Russlands strategische Ziele

Einig sind sich deutsche Behörden auch darin, dass Angela Merkel ein wichtiges Ziel russischer Politik ist. Merkel ist treibende Kraft hinter den Sanktionen gegen Moskau und eine der wenigen verbliebenen geopolitischen Gegenspielerinnen Putins. Strategische Ziele wären auch abseits eines Kanzlerinnensturzes erkennbar. Das Bestreben, Spaltungen in der Gesellschaft zu befördern, ebenso wie jene Kräfte zu pushen, die für einen russlandfreundlicheren Kurs stehen wie AfD, Linke und Teile der SPD.

Die neue deutsche Sprachregelung zu diesem Bedrohungsszenario um den Bundestagshack lautet auch deshalb immer noch: Es kann nicht ausgeschlossen werden. So klingt es beim BSI. "Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die gestohlenen Daten im Vorfeld der Bundestagswahl veröffentlicht werden oder dass es weitere Angriffe auf die Institutionen oder Parteien geben wird", so Schönbohm.

Der BSI-Präsident war länger zurückhaltender in seinen Warnungen als Verfassungsschutz-Chef Maaßen. Doch vor dem Hintergrund neuer demonstrativer Entspanntheit betont er nun: "Unabhängig von der Risikoeinschätzung Dritter hat das BSI seine Lagebeobachtung bis zum Abschluss der Bundestagswahl 2017 intensiviert und hält erweiterte Krisenreaktionskapazitäten für eventuelle Vorfälle bereit."

Was gegen einen Bundestagsleak spricht

Doch trotz der anhaltenden Vorsicht: Es werden mittlerweile einige Gründe betont, die dagegen sprechen, dass die Daten aus dem Bundestagshack kurz vor den Wahlen in Deutschland noch als Störfaktor auftauchen könnten:

  • Die Bundestagswahl steht nicht auf der Kippe: Anders als bei den Präsidentschaftswahlen in den USA und Frankreich treten nicht zwei Kandidaten in einem engen Direktduell gegeneinander an. Das deutsche Wahlsystem an sich ist schon schwerer direkt zu beeinflussen. Hinzu kommt: Es sieht anders als zu Jahresbeginn nicht danach aus, dass Bundeskanzlerin Merkel zu stürzen wäre. Der Vorsprung ihrer CDU in den Umfragen scheint stabil - das Primärziel, das russischen Geheimdiensten unterstellt wird, scheint außer Reichweite.
  • Frankreich könnte abschreckend gewirkt haben: Der E-Mail-Leak aus der Kampagne Macrons, erbeutet von russischen Hackergruppen, kurz vor dem Wahltag schadete dem Kandidaten kaum und nutze seiner Kreml-freundlichen Kontrahentin Marine Le Pen nicht. Frankreich war vorbereitet, Macrons eigene Leute hatten selbst nutzlose und falsche Daten im Paket platziert. Es wurde kein politischer Zündstoff daraus.
  • Auch in Deutschland ist die Gesellschaft vorbereitet. Die Methoden strategischer Leaks und Desinformationen sind mittlerweile allgemein bekannt. Das Thema wurde seit der US-Wahl ausführlichst debattiert. Manche Medien haben mit dem Aufbau von Verifikationsteams auf eine Welle von Falschmeldungen reagiert. Auch die großen Internetplattformen wie Facebook und Twitter arbeiten in Deutschland mit Behörden zusammen, um Accounts von Politikern und Parteien vor Hackerangriffen zu schützen.
  • Plus: Die Daten sind mittlerweile über zwei Jahre alt. Einer der Bundestagsabgeordneten, deren Büros gehackt wurden, spricht jetzt von "kaltem Kaffee". Im Frühjahr hatte er sich bei den Behörden noch einmal erkundigt, ob es neue Erkenntnisse gibt. Nun hat er den Fall zu den Akten gelegt.

Unabhängig von einzelnen Einschätzungen und Spekulationen, sind sich die Behörden beim Gesamtbild einig: Russland verfolgt strategische Interessen in Deutschland, auch mittels Taktiken der Desinformation und der Spaltung. Wie sehr dafür etwa Teile der Community der Russlanddeutschen empfänglich sein können, zeigte der Fall Lisa.

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Nach der teils hysterischen Debatte um Fake News wiegt nach wie vor die Tatsache schwer, dass es einen steten Fluss an Falschinformationen aus russlandfreundlichen Accounts sowie von staatlich gelenkter Medien gibt. So wirken etwa die deutschsprachigen russischen Staatsmedien RT Deutsch oder Sputnik in den sozialen Netzwerken als wichtige Multiplikatoren in einem Netzwerk, das von prorussischen Aktivisten bis zu rechtsextremen Accounts in Deutschland und den USA reicht. Das Ziel ist dabei häufig Angela Merkel und die Einwanderungspolitik, für die sie tatsächlich und vermeintlich steht.

Solche Desinformationskampagnen sehen auch die Behörden nach wie vor als große Gefahr im Wahlkampfendspurt.


Hörtipp zum Thema: In Folge zwei des Netzwelt-Podcasts "Netzteil"  sprechen Redakteur Fabian Reinbold und Moderatorin Teresa Sickert darüber, welchen Einfluss Fake News auf die Bundestagswahl haben könnten. Zudem geht es um die Frage, was an Netzmanipulationen perspektivisch noch alles möglich ist.

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Mitarbeit: Jörg Diehl
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.

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